Fossiler Zündstoff im Gewerbeverband

Eins ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Die Opposition des politisch konservativen Gewerbeverbands gegen anstehende Klimamassnahmen. Gewisse KMUs sehen das als verpasste Chance.

Gewerbeverband
Bekommt neue Chefs: Der Basler Gewerbeverband. (Bild: Gewerbeverband BS)

Draussen ist es heiss. Drinnen in den Sitzungszimmern debattieren sie über Mittel und Wege, die Erhitzung aufzuhalten. Dabei ist klar, ohne KMU geht gar nichts. Ob die Politik beschliesst, Heizungen zu ersetzen, Solarzellen zu montieren oder Elektroladestationen zu bauen: Es braucht dazu das Gewerbe.

Das kann man als Chance für neue Aufträge sehen. Oder als Zumutung. Der politisch konservative Gewerbeverband sieht vor allem letzteres. Und das nicht nur in Basel-Stadt, sondern auch in Bundesbern.

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Was heisst eigentlich Netto-Null?

Das Zauberwort der Klimapolitik heisst Netto-Null.  Dass es passieren muss, ist klar. Das Wie ebenso: Unter anderem fossile Brennstoffe reduzieren, bei Heizungen genauso wie bei Fahrzeugen. Es ist das Wann, das für Streit sorgt. Netto-Null heisst, dass weltweit nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gehen, als  ihr entzogen werden.

Kürzlich gabs in Basel-Stadt diesbezüglich wieder besten Anschauungsunterricht. Der Grosse Rat beschloss, bis 2035 alle fossilen Heizungen zu ersetzen. Der Gewerbeverband fand das zu früh. Patrick Erny, Leiter Politik, sagte: «Den Heizungsunternehmen fehlen schlichtweg die Fachkräfte, um dieses Tempo und die überambitionierten Ziele einzuhalten.» 

Bei Tschantré, einem der grossen lokalen Gebäudetechnik-Unternehmen, kam das schlecht an. Geschäftsführer Dominik Tschon, sagte: «Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe.» Tschantré sei «überparat» für die Umstellung auf ökologischere Heizformen wie Fernwärme oder Pellets. Fachkräftemangel und Materielengpässe seien Realität, die Aufgabe aber bewältigbar (Bajour berichtete).

Rolf Loosli
«In 95 Prozent der Fälle kein Problem»

Seid ihr parat für den Klimaumbau, haben wir Gewerbler gefragt. Das sagt Rolf Loosli von der DachTec GmbH Loosli für Bedachungen und Spenglerei:

Dämm-Massnahmen werden subventioniert. Der U-Wert muss mindestens 0,20 sein. Dieser gibt an, wie schnell Wärme wandert. Je niedriger, desto besser. 

Punkto Photovoltaikanlagen ist die Frage, wie sehr das Ortsbild tangiert ist, die Politik ist da noch am Diskutieren. Aber in 95 Prozent der Fälle ist es für uns eh kein Problem, diese anzubringen. (sas)

Tschantré ist nicht der einzige, der das so sieht. Der Klima-Konflikt zwischen Gebäudetechniker und Gewerbeverband spiegelt sich auch auf nationaler Ebene. Das zeigt ein Anruf bei Suissetec, dem Schweizer Gebäudetechnikverband. «Wir sind Mitglied beim Schweizerischen Gewerbeverband, fühlen uns aber nicht immer gut vertreten», sagt Christian Brogli, Leiter Marketing und Kommunikation. «Im Bereich Klima und Energiepolitik haben wir klar eine andere Haltung.» 

Suissetec vertritt die Interessen der Heizungsmonteur*innen, Spengler*innen etc. in der Schweiz und Lichtenstein und hat etwa 3500 Mitglieder. Zum Vergleich: Der Schweizerische Gewerbeverband vertritt rund 500’000 kleine und mittlere Unternehmen aus allen Branchen.

Christian Brogli
Christian Brogli: «Wir fühlen uns nicht immer gut vom Schweizerischen Gewerbeverband vertreten.» (Bild: zvg)

Auch auf nationaler Ebene dreht sich der Streit unter anderem um Heizungen: Der Nationalrat hat letzte Woche das Klimarahmengesetz angenommen, ein Kompromiss zur Gletscherinitiative. Diese will fossile Brenn- und Treibstoffe per 2050 verbieten. Der Kompromiss fordert netto null bis 2050, ohne Brennstoffverbot. Ausserdem will der Nationalrat 2 Milliarden Franken in den Ersatz fossiler Heizungen und 1,2 Milliarden Franken in klimafreundliche Technologien investieren. Als nächstes ist die Umweltkommission des Ständerats dran.

«Bei den Service-Wägen gibt es Potenzial»

Seid ihr parat für den Klimaumbau, haben wir Gewerbler gefragt. Das sagt Cihad Mekikli vom Elektrotechnik-Unternehmen Schachenmann + Co. AG:

Bei der Digitalisierung sind wir schon relativ weit fortgeschritten. Rapporte werden kaum noch auf Papier gedruckt. Bei den Offerten gibt es aber noch Luft nach oben. Die Entsorgung respektive Verwertung von Materialien ist ebenfalls schon viel weiter als früher. Nachholbedarf besteht bei den Service-Wägen. Hier sollten E-Autos verwendet werden. Auch bei intelligenten Steuerungen gibt es viel Potenzial. Man kann den Energieverbrauch durch Licht und Heizung optimieren.

Dieser Prozess läuft schleppend. Einerseits liegt das an den Installateur*innen, die noch besser beraten könnten. Andererseits scheuen sich Kund*innen vor den höheren Initialkosten. Längerfristig fährt man so aber viel günstiger. (sas)

Doch: Während im Nationalrat SP bis FDP mehrheitlich hinter diesem Kompromiss stehen und Economiesuisse obendrauf, macht der Gewerbeverband auf Widerstand, zusammen mit der SVP. So ein Entscheid müsse durch das Parlament und vors Volk, argumentiert er.

Suissetec stösst das sauer auf. Dessen Direktor Christoph Schaer sagte kürzlich der NZZ: «Vielleicht ist ‹Gewerbeverband› nicht mehr der richtige Name. Die Energie- und Klimapolitik des Verbands ist in erster Linie auf die Interessen von Grosskonzernen ausgerichtet.» Zum Beispiel auf die Erdölimporteure. Deren Organisation ­Avener­gy kündigte vor zwei Jahren die Mitgliedschaft bei Economiesuisse und trat dem Gewerbeverband bei. 

Das könnte man vordergründig auch dem lokalen Gewerbeverband in Basel-Stadt vorwerfen. Auch hier sträubt sich der Verband gegen eine ökologische Verkehrspolitik und setzt sich seit Jahren für Parkplätze und Verbrennungsmotoren ein. Aber dass er dabei die Erdöllobby im Blick hat statt das Gewerbe, ist zu bezweifeln. 

Vielmehr geht es wohl um die Einstellung: Der Gewerbeverband scheint sich in den letzten Jahren zu einer Oppositionsorganisation entwickelt zu haben. Brogli von Suissetec kritisiert, dass der «Gewerbeverband vor allem Probleme und Hindernisse sieht, statt die grossen Chancen für einheimische KMUs». Er finde das schade «und nicht wirklich im Interesse des Gewerbes».

Zumindest in Basel-Stadt hat das mehr mit dem Personal und weniger mit der politischen Ausrichtung zu tun: Im Verband sind alle bürgerlichen Parteien vertreten. Hinter vorgehaltener Hand trauern selbst sie (vielleicht mit Ausnahme der SVP) den früheren Leadern des Verbands nach, dem verstorbenen Peter Malama (FDP) und dem ehemaligen Regierungsrat Christoph Eymann (LDP). 

Doch jetzt ist ein Wechsel in Sicht: Hansjörg Wilde (parteilos) soll ab 2023 Marcel Schweizer (FDP)* als Präsident ablösen. Auch Gabriel Barell (parteilos) hat angekündigt, zurückzutreten. Wer sein Nachfolger wird, ist noch nicht bekannt. Vielleicht ändert sich mit den neuen Gesichtern auch die Tonalität des Verbands. 

«Wir sind mit Know-How und Material parat»

Seid ihr parat für den Klimaumbau, haben wir Gewerbler gefragt. Das sagt Roman Probst vom Elektrotechnik-Unternehmen Butz + Werder:

Es werden keine schädlichen Materialien mehr angeboten. Altes Material wird, wenn möglich, wiederverwertet oder fachgerecht entsorgt.

Im September 2023 wird der Verkauf von FL-Lampen oder FL-Leuchtmitteln verboten. Ab dann kann es sein, dass beispielsweise eine Leuchte mit defektem Leuchtmittel komplett ausgewechselt werden muss. Aber wir sind mit Know-How und Material parat. (sas)

In Bezug auf den aktuellen Konflikt gibt er sich sehr diplomatisch und konstruktiv. So schreibt Pressesprecher Daniel Schindler Bajour: ​​«Der Gewerbeverband Basel-Stadt hat mit dem Branchenverband ‹suissetec Nordwestschweiz› ein sehr gutes Einvernehmen. Wir pflegen mit unserem Mitgliedsverband ‹suissetec Nordwestschweiz› hier in der Region Basel eine intensive Zusammenarbeit. Das ist für den Gewerbeverband Basel-Stadt der entscheidende Punkt.»

***

Korrektur: Wir haben Marcel Schweizer einfach in die SVP gesteckt. Das ist natürlich falsch und tut uns sehr leid! Herr Schweizer ist Freisinniger. Und Herr Barell schreibt sich nur mit einem r. Exgüsi!

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Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


Foto Pino Covino

Bei Bajour als: Journalistin.

Hier weil: Das Hobby meines Mannes finanziert sich nicht von alleine.

Davor: Chefredaktorin im Lokalmedium meines ❤️-ens (Bajour), TagesWoche (selig), Gesundheitstipp und Basler Zeitung

Kann: alles in Frage stellen

Kann nicht: es bleiben lassen

Liebt an Basel: Mit der Familie am Birsköpfli rumhängen und von rechts mit Reggaeton und von links mit Techno beschallt zu werden. Schnitzelbängg im SRF-Regionaljournal nachhören. In der Migros mit fremden Leuten quatschen. Das Bücherbrocki. Die Menschen, die von überall kommen.

Vermisst in Basel: Klartext, eine gepflegte Fluchkultur und Berge.

Interessensbindungen:

  • Vorstand Gönnerverein des Presserats
  • War während der Jugend mal für die JUSO im Churer Gemeindeparlament. Bin aber ausgetreten, als es mit dem Journalismus und mir ernst wurde.

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