Französisch erst ab der Sek?
Im Kanton Zürich will der Kantonsrat den Französischunterricht aus der Primarschule verbannen. «Eine Fremdsprache in der Primarschule (Englisch, Anm. der Redaktion) ist genug», sagte Ursula Junker (SVP) gemäss SRF. In Appenzell-Ausserrhoden hat das Parlament die gleiche Forderung erhoben und ähnliche Vorstösse gibt es auch in St. Gallen, Thurgau und in Bern. Die Debatte um das sogenannte Frühfranzösisch wird derzeit in grossen Teilen der Deutschschweiz geführt. Im Baselbiet ist seit einigen Monaten ein Lehrer*innenmangel für den Französischunterricht bekannt. In der BaZ verweist der Präsident des Lehrer*innenverbands Baselland (LVB) Philipp Loretz auf kürzlich publizierte Forschungsergebnisse: Wer ab der dritten Klasse schon Französisch lernt, kann die Sprache später nicht besser als jene, die sie erst ab der Oberstufe lernen. Nach der 11. Klasse haben in der Schweiz nur die Hälfte der Schüler*innen ein Grundverständnis der französischen Sprache. Die Werte in Baselland und Basel-Stadt weichen davon nicht signifikant ab.
Für mich ein Rätsel
Seit mindestens 50 Jahren ist es ein Dauerthema in der Bildungspolitik und im Sommerloch der Medien, ab wann die erste Fremdsprache unterrichtet werden soll. Alle wissen es: Kinder lernen je früher, desto besser. Ich habe erlebt, wie Dreijährige, die kein Deutsch sprechen, in einer Spielgruppe in wenigen Monaten lernen, sich auf Deutsch zu verständigen. Ich kenne zwei achtjährige Jungs aus der Ukraine mit russischer Muttersprache, die hier zur Schule gehen und in drei Jahren gelernt haben, sich mit Standarddeutsch und Dialekt zurechtzufinden. Daneben besuchen sie am Samstag einen Kurs in Ukrainisch. Steinerschulen praktizieren seit 100 Jahren zwei Fremdsprachen ab der ERSTEN Klasse. Mit unterschiedlichem Erfolg, aber doch spürbaren Resultaten — und sei es nur in der Sensibilisierung für eine andere Sprache, eine andere Kultur. Andere Schulen scheinen unfähig, das umzusetzen. Woran das liegen mag?
Was ist das Ziel?
Was ist das Ziel? Dass wir am Ende der Volksschule auf Französisch kommunizieren können, ein grundsätzliches Verständnis der Sprache haben, sogar Freude daran. Laut Studien bringt Frühfranzösisch uns nicht an dieses Ziel. Bleiben wir trotzdem aus politisch-symbolischen Gründen dabei? Angst, der Röstigraben werde dadurch noch tiefer? Das Thema muss ent-emotionalisiert werden und didaktisch betrachtet werden. Das Ziel: die Landessprache Französisch, die für uns eine Fremdsprache bleibt, zu beherrschen. Übrigens: Frühfranzösisch wurde auf Kosten der musisch-gestalterischen Fächer eingeführt. Aus pädagogischer Sicht, ein teurer Preis ohne erkennbaren Mehrwert! Wie kommen wir zum Ziel? Den Unterricht neu denken, statt an etwas nicht-Bewährtem festhalten! Später dafür intensiver? Regelmässige Austauschwochen mit Klassen in der Romandie? Ein Immersionsangebot Deutsch-Französisch an einem Basler Gymi? Ohne Freude und Motivation ist es nicht Identitätsstiftend und führt nicht zum Ziel.
parlez!
wir müssten uns als CH gesellschaft klar werden, warum unsere kinder eine zweite landessprache lernen sollen. solange wir das schriftliche mit einbeziehen, sind wir auf dem holzweg. warum wollen kinder und die meisten erwachsenen eine sprache lernen? wohl, um zu kommunizieren u/o um gelesenes grosso modo zu verstehen! darum ist der jetzige ansatz völlig falsch. an der primarstufe muss v.a. gesprochen werden mittels rollenspielen, alltagssituationen, wiederholungen (wo auch fehler spielerisch “ausgebügelt“ werden). aussprache und schriftbild klaffen im französischen ja weit auseinander. deshalb: parlez! parlez, was das zeug hält! man/frau kann ja einige sätze auf tafel oder tablet schreiben, damit die lernenden mitlesen können, welche dies wollen, und so sich langsam an das vertrackte schriftbild gewöhnen können (für später mal). ich spreche sls ehemaliger franzilehrer, der leider auch auf akzenten und endungen herumreiten musste…
Sprachunterricht
Wir hatten damals ab Gymnasium, das war ab der 5. Klasse, Französisch und wohl zwei Jahre später Englisch. Nach acht Jahren Französisch konnten wir zwar anspruchsvolle Texten übersetzen, aber, etwas vereinfach gesagt, kein Bier bestellen. Französisch habe ich dann erst nach der Matura gelernt im Kontakt mit französichsprechenden Menschen, d.h. wenn es nicht mehr anders ging. Immerhin denke ich, dass das in der Schule Gelernte noch immer eine solide Basis ist. Wichtig ist aber das Anwenden der Sprache. Englisch lag mir besser, ich empfinde es der deutschen Muttersprache näher. Doch Frühfranzösisch bzw. Frühenglisch ab der dritten Klasse finde ich unsinnig.
Wir hatten (Stadt Zürich) im Gym Latein ab dem 7. Schuljahr, Franzi ab dem 8. Schuljahr, English ab dem 9. Schuljahr. Rückblickend habe ich nicht den Eindruck, wir hätten besser oder schlechter als andere Französisch oder Englisch gelernt. Ok, wir hatten drei Jahre mehr Zeit als in der Sek, aber am Schluss war der Unterricht bei gewissen Lehrkräften einfach nur noch mühsam. Ich sehe die Probleme auf einer anderen Ebene, aber die passt offenbar nicht zu unserem Lernkontroll-gesteuerten Schulsystem: Um eine Sprache zu lernen braucht es Interesse, Betroffenheit, Kontakte mit Menschen, die diese Sprache sprechen, Interesse an der Kultur, in der die Sprache gesprochen wird. Was man ohne direkt erkennbaren Nutzen eingetrichtert bekommt, ist nach der Lernkontrolle oft schon wieder weg. Und dies besonders dann, wenn jemandem schon in der eigenen Hauptsprache die entsprechenden Strukturen fehlen.
Hä?
Ich verstehe die Antworten nicht.
Wichtige Frage?
Französisch früher oder später: Ob dies wohl wirklich eine bedeutsam wichtige Frage sein mag? Schulen, wie sie als System die Bildung organisieren, sind ein Teil einer Zivilisation, die in einer Sackgasse steckt. Menschen, die frei sich bilden, entfalten und entwickeln ihr Potenzial bestmöglich ihren Interessen und Talenten sowie ihrem Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit entsprechend. Menschen, die frei sich bilden, leben gemeinsam mit anderen frei in ihrer Welt.