Frau. Grün. Migrantin.

Keine verkörpert das Klima- und Frauen*jahr wie die BastA!-Politikerin Sibel Arslan. Eine Analyse.

Basel hat gewählt. Weiblich, grün und jung.

Staatsschreiberin Barbara Schüpbach musste am Wahlsonntag mit den Politiker*innen im Congress Center schimpfen: «Basel-Stadt hat fünf Nationalratssitze.» Sie war erst dazu gekommen, drei zu verlesen. Als sie den Namen «Sibel Arslan» ausgesprochen hatte, gab es zuerst Jubel, dann Sprechgesang. Politiker*innen des Grünen Bündnisses, Jugendliche, Kinder hüpften durch die Halle und riefen: «Sibel, Sibel, Sibel». Schüpbach kam nicht mehr zu Wort.

Basel hat gewählt. Weiblich, grün und jung. Am Wahlsonntag vom 20. Oktober manifestierte sich das Frauen*- und Klimajahr 2019. Die Bewegungen, die auf der Strasse begonnen hatten, schlugen sich an den Basler Wahlurnen nieder. Deutlich sichtbar wurde das sowohl beim Bündnis Grüne/BastA!, als auch den Grünliberalen. Sowohl auf den Stammlisten, als auch bei den Jungparteien, waren es Frauen*, die die meisten Stimmen holten. Die Männer* landeten konsequent auf den letzten Plätzen.

Kein*e Politiker*in verkörpert die Klima- und Frauen*bewegung wie Sibel Arslan. Im lachsfarbigen Anzug, Pünktlibluse und mit roten Lippen stand sie am Wahlsonntag inmitten von Politiker*innen in dunklen Anzügen und weissen Hemden und jubelte.

Medien und gestandene Politiker*innen sahen den Sitz verloren

Wir wollen nicht sexistisch das Aussehen einer einzelnen Politikerin* hervorheben. Aber so bunt Sibel Arslans Erscheinung, so unangepasst ihre Politik und Persönlichkeit sind, so farbig war auch ihr Wahlkampf. Und obwohl die Medien ihr das immer wieder zum Vorwurf machen, liegt genau darin eine ihrer Stärken.

Das Establishment hatte die 39-Jährige mit kurdischen Wurzeln schon vor ihrer Wahl vor vier Jahren für erledigt erklärt. Damit hörte es seither auch nie mehr auf. Medien und gestandene Politiker*innen sahen den Sitz verloren.

Und was passierte? Zuerst das, was häufig passiert: Ein alter, weisser Mann betrat im Sommer 2018 die Bühne. Der ehemalige Regierungsrat Guy Morin (Grüne) gab bekannt, er wolle den Sitz sichern und stelle sich für eine Kandidatur zur Verfügung. Die BastA!-Frauen* waren not amused.

Von Sibel Arslan hörte man lange nichts

Doch dann kam alles anders. Morin gab seinen Verzicht bekannt, das Frauen*- und Klimajahr 2019 brach an. Schweizweit gingen beim Frauen*streik Hunderttausende, bei den Klimaprotesten Zehntausende Menschen auf die Strasse. In Basel startete die SVP eine neue Runde der Selbstzerfleischung und brachte damit den eigenen Nationalratssitz ins Wanken.

Von Sibel Arslan hörte man lange nichts. Sehr lange. Die Medien verloren sich in arithmetischen und und weniger arithmetischen Auseinandersetzungen darüber, ob Arslan ihren Sitz halten könne oder trauerten Morin hinterher.

Derweil gleiste eine Gruppe von Leuten rund um den Studenten Marco Piffaretti in letzter Minute eine Kampagne für Sibel Arslan auf. Piffaretti gehört keiner Partei an, er machte das als Privatperson. Mit dabei ist auch Che Wagner. Der Mann, der auch bei der Abstimmung übers Grundeinkommen mit am Drücker war und der mit Kampagnen-Guru Daniel Graf am Aufbau der Stiftung für direkte Demokratie beteiligt war. Wagner mobilisierte «Sibels Freundinnen und Freunde»: Feminist*innen, Klimaaktivist*innen, Migrant*innen, ausserhalb des Establishments, das nicht an die Wiederwahl glaubte.

Gegen den Angriff von rechts verteidigen

Und dann, der September ist schon fast vorbei, sieht man plötzlich Schüler*innen der Klimajugend (beispielsweise Pauline Lutz) oder Feminist*innen (wie Franziska Schutzbach) Stimmung für Sibel Arslan machen. Stossrichtung: Diese grüne, linke Frau mit Migrationshintergrund muss man gegen den Angriff von rechts verteidigen. «Sibels Freundinnen und Freunde» mobilisierten nicht über die traditionellen Medien, sondern über ihre eigenen Kanäle in den Sozialen Medien, an Veranstaltungen und auf der Strasse.

Diese Kampagne ist Teil des Triumphs: Sibel Arslan macht das drittbeste Resultat der fünf Nationalrät*innen. Der gestrige Wahlsonntag war deshalb nicht nur ein Tag der Frauen* und des Klimas, es war auch ein Tag der Zivilgesellschaft.

Die Geschichte zeigt: Wenn Frauen* auf die Strasse gehen und Forderungen stellen, steigt ihr Anteil in politischen Gremien. Nicht nur bei linken, sondern auch bei bürgerlichen Frauen*. Ein Beispiel sind die Demonstrationen nach der Nichtwahl von Christiane Brunner 1993 in den Bundesrat. Tausende Frauen* protestierten vor dem Bundeshaus. Mit Erfolg: Eine Woche später wählte das Parlament Ruth Dreifuss zur zweiten Bundesrätin.

Im Jahr 2019 kam der Klimastreik obendrauf: Klima- und Frauen*bewegung potenzierten sich gegenseitig. Natürlich, auch die gescheiterte Listenverbindung der bürgerlichen Parteien mit der SVP und der Streit innerhalb SVP spielten eine Rolle, ebenso wie die Tatsache, dass Basel ein Stadtkanton und deshalb tendenziell links ist.

Aber es zeigte sich einmal mehr: Protest auf der Strasse kann die etablierte Politik aufrütteln. Und er kann das unabhängig von den traditionellen Medien.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Arthur Buckenleib

Michelle Isler am 25. April 2025

«Die Sparpläne sind katastrophal»

Kommende Woche soll von Studierenden und Assistierenden der Uni Basel eine Resolution gegen die Sparpläne des Bundesrats verabschiedet werden. Der VPOD hat sich dafür mit weiteren Uni-Organisationen zusammengetan. Die Uni Basel bleibt still.

Weiterlesen
Wochenkommentar Herzstück

Ina Bullwinkel am 25. April 2025

Wir sehen uns 2080! Oder auch nicht.

Wer Projekte bis 2080 plant, kann entweder hellsehen oder mag nicht zugeben, dass man keinen Plan hat. Das de facto begrabene Herzstück sollte uns zum Mahnmal werden, dass wir dringend zukunfts- und gestaltungsfähiger werden müssen, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Weiterlesen
Michael Hug an der St. Jakobs-Strasse

Ernst Field am 17. April 2025

Ärger an der St. Jakobs-Strasse

Ein neuer Veloweg und verschobene und gestrichene Parkplätze sorgen bei Anwohner*innen für Unmut. LDP-Grossrat Michael Hug stellt der Regierung deswegen Fragen.

Weiterlesen
Kommentar Michelle IDG-1

Michelle Isler am 10. April 2025

Hopp, Demokratie

Der Grosse Rat hat am Donnerstag einem Vorstoss zugestimmt, der die Einführung eines Schlichtungsverfahrens im Öffentlichkeitsgesetz fordert. Das ist ein gutes Zeichen für die Demokratie. Ein Kommentar.

Weiterlesen
Foto Pino Covino

Bei Bajour als: Journalistin.

Hier weil: Das Hobby meines Mannes finanziert sich nicht von alleine.

Davor: Chefredaktorin im Lokalmedium meines ❤️-ens (Bajour), TagesWoche (selig), Gesundheitstipp und Basler Zeitung

Kann: alles in Frage stellen

Kann nicht: es bleiben lassen

Liebt an Basel: Mit der Familie am Birsköpfli rumhängen und von rechts mit Reggaeton und von links mit Techno beschallt zu werden. Schnitzelbängg im SRF-Regionaljournal nachhören. In der Migros mit fremden Leuten quatschen. Das Bücherbrocki. Die Menschen, die von überall kommen.

Vermisst in Basel: Klartext, eine gepflegte Fluchkultur und Berge.

Interessensbindungen:

  • Vorstand Gönnerverein des Presserats
  • War während der Jugend mal für die JUSO im Churer Gemeindeparlament. Bin aber ausgetreten, als es mit dem Journalismus und mir ernst wurde.

Kommentare