«Nicht auf Komponistinnen zu setzten, ist eine verpasste Chance»
Im März singt der Chor Rheinstimmen unter der Leitung von Reiner Schneider-Waterberg an zwei Konzerten ausschliesslich Werke von Frauen. Im Interview erläutert er, warum das nicht nur ein Statement, sondern auch eine Bereicherung ist.
Reiner Schneider-Waterberg, den Chor Rheinstimmen gibt es schon länger, wie kamen Sie jetzt auf die Idee Konzerte nur mit Werken von Komponistinnen zu machen?
Die Rheinstimmen singen schon seit Jahren immer wieder Kompositionen von Frauen. Jessica Ulusoy-Horsley, die damals die Idee «frauenkomponiert» als Festival ins Leben gerufen hat, kenne ich schon sehr lange von meiner Zeit in Cambridge, wir waren später auch gleichzeitig an der Schola Cantorum hier in Basel. Ich habe mit meinen Chören ihre Kompositionen gesungen und daraus hat sich die Idee einer Kooperation entwickelt. Wir haben beschlossen, dieses Projekt von jetzt an jedes Jahr durchzuführen.
Ist es ein politisches Statement, zwei Konzerte nur mit Werken von Komponistinnen zu veranstalten?
Ja, das ist einer der Aspekte. Ich komme aus dem südlichen Afrika und bin dort mit der Apartheid grossgeworden. Seit den 90er-Jahren kennen wir dort die «affirmative action», also ausgleichende Massnahmen. Ich denke, wenn es ein grosses Ungleichgewicht gegeben hat, ist das eine von mehreren möglichen Strategien.
Gibt diese Konzertreihe ihrem Chor nun die Berechtigung, bei den restlichen Konzerten wieder auf Werke von männlichen Komponisten zu setzen?
Natürlich hat es auch eine problematische Seite zu sagen, wir spielen jetzt bei einem Konzert nur Werke von Komponistinnen. Dann stellt sich die Frage, warum jetzt einmal und nicht immer? Wir versuchen in jedem Programm mindestens eine Komponistin drin zu haben.
Anfang Jahr wurde das Sinfonieorchester Basel kritisiert, weil im Saisonprogramm 2024/25 keine Komponistinnen zu finden sind. Ist diese Kritik gerechtfertigt?
Ich finde es vor allem eine verpasste Chance, keine Werke von Frauen zu spielen. Ich glaube, dass da unterschätzt wird, auf wie viel Interesse das stossen würde. Dirigenten programmieren gerne Werke, die sie schon immer mal angehen wollten und das sind dann meistens Werke von Männern, weil die von Frauen weniger bekannt sind. So wird aber das Image verstärkt, altmodisch und verknöchert zu sein, und das sollte klassische Musik möglichst vermeiden.
Warum sind die Werke von Frauen weniger bekannt?
Frauen wurden nicht ermutigt zu komponieren. Wenn sie doch komponiert haben, wurden sie nicht ernst genommen, wurden die Werke nicht aufgeführt. Sie hatten und haben keine Lobby. Tatsache ist, dass sie total unterrepräsentiert sind und Tatsache ist aber auch, dass es sich ändert.
Wo wird das sichtbar und hörbar?
Es werden mehr Werke von Frauen aufgeführt. Nicht überall, aber in der Tendenz. Aber es hängt sehr stark von der Intendanz oder den Dirigent*innen ab und es gibt immer mehr Intendantinnen und Direktorinnen. Und dort, wo die Frauen in der Leitung sind, werden einfach immer mehr Werke von Komponistinnen gespielt. Es gibt aber auch immer mehr männliche Dirigenten, die sich sehr engagieren für Komponistinnen.
«Es gibt aber auch Komponistinnen, zum Beispiel Helena Winkelmann, die eher nicht in so einem «Quotenkonzert» programmiert werden wollen.»Reiner Schneider-Waterberg, Chorleiter
Haben Sie Beispiele?
Ich habe 17 Jahre lang in einem Vocal Ensemble gesungen und uns war gar nicht klar, dass die Person, von der wir die meisten Werke gesungen haben, eine Frau war. Das waren einfach die besten Werke, die wir hatten und wir haben uns nie weiter Gedanken gemacht.
Wer war das?
Joanne Metcalf. Sie ist jetzt auch mit einem Stück in unserem aktuellen Programm dabei.
Wie waren die Reaktionen, als Sie verkündet haben, ausschliesslich Stücke von Frauen aufzuführen?
Im Chor stiess das uneingeschränkt auf Begeisterung. Es gibt aber auch Komponistinnen, zum Beispiel Helena Winkelmann, die eher nicht in so einem «Quotenkonzert» programmiert werden wollen. Sie möchte unabhängig von ihrem Geschlecht wahrgenommen werden. Das kann ich sehr gut verstehen.
Aber wir sind alle so darauf programmiert, dass Werke von Männern komponiert wurden. Wenn ich dirigiere, muss ich mich zusammenreissen nicht zu sagen «Er wollte das und das …», weil der Fall, dass es eine Frau ist, die das und das wollte, einfach sehr selten ist. Deshalb finde ich es gut so Dinge anzustossen. Ausserdem stösst es auf Interesse.
Ist der Stempel «von Frauen komponiert» also ein Publikumsmagnet?
Ein bisschen schon. Bei unseren Konzerten sind auch ungefähr zwei Drittel der Besucher*innen Frauen, da stösst das auf Freude und Neugierde. Das Konzept bietet aber vor allem die Möglichkeit, Werke von Komponistinnen zu etablieren. Wir sind auf richtig gute Stücke gestossen. Damit sie als solche betrachtet werden, müssen sie immer wieder aufs Programm, immer wieder gesungen werden.
«Vielleicht trauen sich Frauen öfter, eine gewisse Lieblichkeit und Emotionalität einzubringen und versuchen, weniger zu protzen als Männer.»Reiner Schneider-Waterberg, Chorleiter
Ändert sich die Rezeption von Komponistinnen?
Vor 15 Jahren kannte ich noch kein einziges dieser Stücke, die wir jetzt auf dem Programm haben und vor 2,5 Jahren zwei Drittel nicht. Ein Argument, warum weniger Werke von Frauen gespielt werden, ist oft, dass sie schwierig zu finden sind.
Das ist durch das Internet und insbesondere Youtube sehr viel leichter geworden. Natürlich verpasst man auch immer noch sehr gute Komponistinnen, vor allem solche, die nicht die Gelegenheit haben, dass gute Chöre ihre Werke singen.
Die meisten Komponistinnen Ihres aktuellen Programms sind im 20. Jahrhundert geboren, zwei Ende des 19. Jahrhundert. Ist es einfacher, Stücke von aktuellen Komponistinnen zu finden?
Es ist jetzt leichter für sie, gehört zu werden und ich finde es auch sinnvoll, sie zu programmieren, weil sie jetzt noch die Chance haben, sich zu etablieren und sie Unterstützung gebrauchen können.
Gibt es Unterschiede bei den Kompositionen von Männer und Frauen?
Schwer zu sagen. Vielleicht trauen sich Frauen öfter, eine gewisse Lieblichkeit und Emotionalität einzubringen und versuchen, weniger zu protzen als Männer. Aber das sind natürlich auch wieder Klischees und diese haben zwar meistens einen Ursprung, sind aber nicht allgemeingültig. So richtig strahlend, grosse «Hier bin ich»-Werke von Frauen zu finden, finde ich nach wie vor schwierig. Aber im Grossen und Ganzen sind die Unterschiede sehr klein und das waren sie auch früher, Werke von Fanny Hensel wurden unter dem Namen ihres Bruders Felix Mendelsohn publiziert und für seine gehalten.
Konzerte:
Sonntag, 02. März 2025, 16.00 Uhr |‘Rheinkehr‘ , Antoniuskirche, Basel (freier Eintritt, Kollekte)
Samstag, 08. März 2025, 19.00 Uhr | Herz Jesu Kirche, Laufen (freier Eintritt, Kollekte)