Der Basler Rheinhafen ist too big to fail
Die Axpo soll mit einem bis zu vier Milliarden teuren Rettungsschirm gerettet werden, too big to fail. Doch wie steht es um die Basler systemrelevanten Unternehmen?
UBS, Credit Suisse, Raiffeisen, Zürcher Kantonalbank und die Postfinance gelten alle als systemrelevant und sind demnach «too big to fail». Aber was bedeutet das eigentlich und welche anderen Unternehmen sind in der Schweiz systemrelevant?
Unternehmen sind nicht die Infrastruktur
Heutzutage spricht man weniger von Systemrelevanz, sondern mehr von «kritischer Infrastruktur». Das hat mit einem Umdenken zu tun. Güter und Dienstleistungen wie Energie, Kommunikation und Verkehr müssen gewährleistet sein. Fällt die «kritische Infrastruktur» dafür aus oder wird sie zerstört, könne das «schwerwiegende Auswirkungen auf die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen haben», schreibt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS).
Ohne Wasserleitungen kein Wasser, ohne Schienen kein Zugverkehr und ohne Strassen keine Nahrungsmittel.
Wer diese «kritische Infrastruktur» betreibt, spielt dabei eine sekundäre Rolle. Gehen beispielsweise die SBB Konkurs, dann verschwindet nicht automatisch das ganze Schienennetz. Heisst es bei den IWB plötzlich Lichterlöschen, arbeiten die Turbinen im Wasserkraftwerk Birsfelden trotzdem weiter. Das Unternehmen ist für den Fortbestand der Infrastruktur nicht bedeutend. Wichtig ist, dass, ein*e andere*r Betreiber*in schnell übernehmen könnte.
Basel muss zahlen. Über 100 Millionen Franken, wenn die Axpo unter dem vier Milliarden schweren Rettungsschirm Zuflucht sucht. Pro Einwohner*in sind das 500 Franken. Das ist der höchste pro-Kopf-Anteil in der Schweiz. Im Kanton Aargau, der an der Axpo AG beteiligt ist, sind es nur rund 200 Franken pro Person.
Warum? Von den vier Milliarden Franken müssen bis zu zwei Milliarden von den Kantonen kommen. Diese zwei Milliarden werden anhand des kantonalen Bruttoinlandprodukts aufgeteilt. Und das ist in Basel-Stadt höher als im Aargau.
Das war 2008 bei der UBS anders. Ihr Zusammenbruch hätte für die gesamte Schweizer Volkswirtschaft dramatische Folgen gehabt. Die Ersparnisse von einer Million Privatkunden, sowie Girokonten von mehr als 300'000 Unternehmen, hätte sich alles Kapital über 100’000 Franken pro Konto verflüchtigt. Die gesellschaftlichen Auswirkungen wären unabsehbar gewesen. Der Zusammenbruch des Systems «Schweiz» wahrscheinlich.
Zusammen mit der Credit Suisse hielt die UBS zudem 60 Prozent des Marktes für Kredite an mittleren und kleineren Schweizer Unternehmen.
Die Lehre aus dieser Rettungsaktion: Die systemrelevanten Banken müssen das Basel-III-Reformpaket umsetzen. Der wichtigste Punkt darin: Um im Krisenfall widerstandsfähiger zu sein, müssen die Banken mehr Eigenkapitalreserven haben.
Eigentlich geheim, aber …
Eine Liste mit allen kritischen Infrastruktur-Objekten in der Schweiz gibt es. Doch auf Anfrage von Bajour erklärt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz: «Das Inventar der kritischen Infrastruktur-Objekte ist gemäss Informationsschutzverordnung (SR 510.411) des Bundes GEHEIM (sic!) klassifiziert.» Etwas konnte uns das BABS aber bestätigen: Die Basler Rheinhäfen gehören zu diesen kritischen Infrastrukturen.
Daniel Kofmel, Mitglied der Geschäftsleitung und Bereichsleiter Schifffahrt und Hafenbetrieb, beim Port of Switzerland (Schweizerische Rheinhäfen).
Darum trafen wir uns mit Daniel Kofmel, Mitglied der Geschäftsleitung und Bereichsleiter Schifffahrt und Hafenbetrieb, beim Port of Switzerland (Schweizerische Rheinhäfen).
Wieso wurde dieser Knotenpunkt vom BABS als systemrelevant eingestuft?
«10 Prozent, rund 5,4 Millionen Tonnen, aller Schweizer Importe kommen durch den Basler Rheinhafen», erklärt Daniel Kofmel. «Bei Mineralölprodukten ist der Anteil grösser: mehr als 30 Prozent, respektive über 2,3 Millionen Tonnen.». Bei einer Schliessung des Hafens müsste Benzin und Diesel auf Lastwagen geliefert werden. Deutlich mehr Verkehr und höhere Preise wären die Folge.
«Ein durchschnittliches Schiff ersetzt 150 bis 200 Lastwagen. Wenn also alle 126’042 Containereinheiten, die letztes Jahr im Hafen umgeschlagen wurden, auf der Strasse transportiert würden, dann hätten wir ein Problem.» Daniel Kofmel betont die Schifffahrt auf dem Rhein sei energieeffizienter und umweltfreundlicher als LKW-Transporte.
Durch die Klimakrise und längere Trockenperioden besteht die Sorge, dass der zweitlängste Fluss Europas zu wenig Wasser führen wird, um als Transportweg nutzbar zu sein. Kofmel beschwichtigt: Der Rhein werde auch in Zukunft bei tiefem Wasserstand im Sommer befahrbar sein. «Die Binnenschifffahrt setze in diesen Zeiten auf immer längere Schiffe und investiere in leichtere, flachere Schiffsarten. Zudem helfen die verschiedenen Schleusen im Rhein bei der Regulierung des Wasserstands. «Wir können kontrollieren, wie viel Wasser durch den Rhein fliesst», sagt Kofmel. «Austrocknen im Sommer oder Zufrieren im Winter halte ich heute für nicht mehr realistisch.»
Krisensichere, autarke Energieversorgung
Bereitet sich der Hafen auf eine mögliche Energieknappheit diesen Winter vor? «Nein», sagt Daniel Kofmel bestimmt: «Die Hafenwirtschaft investierte in den letzten Jahren viel Geld in Solaranlagen auf Flächen und Dächern. Zudem ist die Revierzentrale nahezu autark. Die Sicherheit ist dadurch immer gewährleistet.» Bei den über 80 Hafenunternehmen aus der Logistik-, Bau- und Rohstoffbranche ist das nicht immer der Fall. Ein Strommangel im Winter wäre möglich. Deshalb arbeiten sie aktuell an Massnahmen, um dies zu verhindern.
Da auf dem Hafengelände neben Benzin, Diesel, Dünger und Weizen, auch Gefahrgut in Pflichtlagern untergebracht ist, wird das Areal zudem als Störfallbetrieb eingestuft. Höhere Sicherheitsvorschriften gemäss Störfallverordnung des Bundesamts für Umwelt (BAFU) und Kontrollen auf kantonaler Ebene sind die Folge.
«Die grössten Gefahren für den Hafenbetrieb sehe ich aus der Natur. Hochwasser und Stürme», sagt deshalb Kofmel. «Da sich das Areal aber auf drei Standorte verteilt – Kleinhüningen, Birsfelden und Muttenz – gibt es im Notfall immer genügend Ausweichmöglichkeiten.»
1974 kamen über 9 Millionen Tonnen Material am Hafen in Basel an. Seither hat sich diese Zahl beinahe halbiert. 2021 waren es noch rund 4,5 Millionen Tonnen. Wie lässt sich dieser Rückgang erklären und verliert der Hafen an Bedeutung? Kofmel beschwichtigt: «Es wird keine Kohle mehr geliefert», erklärt er. «Früher waren die Kohleberge im Basler Rheinhafen meterhoch.»
Für die Zukunft macht sich Daniel Kofmel keine Sorgen, «denn Wandel findet immer statt. Gestern kam Steinkohle, heute ist es Benzin oder Diesel und morgen wird es grüner Wasserstoff sein.» Zusammen mit Partner*innen aus der Energiewirtschaft und Logistik bilden die Häfen Muttenz und Birsfelden optimale Standorte für einen Wasserstoff-Hub. Dabei sollen die Produktion, Verteilung und Anwendung von Wasserstoff entwickelt werden.
Auch in Zukunft wird der Hafen als Knotenpunkt des Güterverkehrskorridors Rotterdam-Basel-Genua eine zentrale Rolle einnehmen. Denn ohne die Mineralöl-, Weizen- und Dünger-Pflichtlager wäre die Schweiz bei der Versorgung ganz abhängig vom Ausland. Und vor allem die Benzin- und Diesellieferungen machen den Rheinhafen zur «kritischen Infrastruktur». Doch auch im Konkursfall des Hafenbetreibers Port of Switzerland müsste man keine Notsituation oder Versorgungsengpässe befürchten. Die Infrastruktur bleibt unabhängig vom Betreiber bestehen und Rettungspläne liegen griffbereit in der Schublade.
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