«Wenn man es sich mit einem Silberrücken verscherzt, dann gute Nacht»

Die Diskussion im kHaus machte sichtbar, wie sehr Betroffene unter Abhängigkeit, Hierarchien und intransparenten Verfahren leiden – und welche Reformen nötig sind.

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Joel Schaad, Anina Ritscher, Moderatorin Ina Bullwinkel, Jonathan Pärli und Aayo Röthlisberger auf dem Podium im kHaus. (Bild: Annalou Baumann)

Am Donnerstagabend hat Bajour-Chefredaktorin Ina Bullwinkel beim Podium im kHaus gemeinsam mit ihren Gästen über strukturellen Machtmissbrauch an Universitäten gesprochen und nach konstruktiven Ansätzen für eine Verbesserung der aktuellen Situation gesucht.

Beim dem Thema könne nicht von Einzelfällen gesprochen werden, leitete Ina Bullwinkel ein, das zeigten mehrere Studien und Recherchen, zuletzt die des Recherche-Kollektivs Reflekt, das in einer schweizweiten Umfrage über Machtmissbrauch an Universitäten im ganzen Land berichtete. Der wunde Punkt des akademischen Mittelbaus – die (mehrfache) Abhängigkeit von mächtigen Professor*innen – bleibe bestehen. Auch an der Uni Basel gab es zwei prominente Fälle von sexuellem Missbrauch, über die die Sendung Kassensturz im Winter 2024 berichtete.

Seither hat die Uni einige Massnahmen eingeführt, aber Aayo Röthlisberger vom Kollektiv Dulifera kritisiert, dass es an der Universität Basel keine externe unabhängige Meldestelle gibt, an die sich Betroffene wenden könnten. Die Reflekt-Recherche habe gezeigt, dass Anlaufstellen für persönliche Integrität nicht immer vertraut werde, vor allem wenn sie inneruniversitär sind und die Betroffenen Sanktionen befürchten müssten, wenn sie sich dort melden, erzählt Journalistin Anina Ritscher.

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«So wie die Professuren im deutschsprachigen Raum organisiert sind, ist es in jeder Hinsicht zu viel.»
Jonathan Pärli, VPOD Mittelbau

Das Kollektiv Dulifera verlangt zudem, dass die beiden beschuldigten Professoren entlassen werden. Da die Uni selbst darauf verzichtete, die Einladung zum Podium wahrzunehmen und deshalb nicht vertreten war, berichtete Moderatorin Ina Bullwinkel, dass die Uni sich habe juristisch beraten lassen, aber keine rechtliche Möglichkeit für eine Entlassung gesehen habe. SP-Grossrätin Amina Trevisan äusserte sich später am Abend zu dieser Thematik und warf ein, dass sie bereits in Erwägung gezogen habe, per Vorstoss eine Anpassung der arbeitsrechtlichen Situation an der Uni zu fordern – allerdings sei eine Aufhebung des Kündigungsschutzes in einigen Fällen auch problematisch, gab sie zu bedenken.

Missbrauchsfolgen und fehlende Unterstützung

Anina Ritscher vom Recherche-Kollektiv Reflekt berichtete, dass sich bei ihrer Redaktion innerhalb von fünf Wochen 180 betroffene Personen gemeldet hatten. Ein Drittel davon habe sich aus den genannten Gründen nicht an eine interne Meldestelle gewandt. Ein grosser Teil derjenigen, die sich der Ombudsstelle anvertraut haben, sei allerdings enttäuscht gewesen vom intransparenten Vorgehen und den ausbleibenden inneruniversitären Konsequenzen. «Die Leute haben das Gefühl, das bringt nichts», sagt sie. Was vor allem auffiel, seien die Gemeinsamkeiten der Betroffenen von Machtmissbrauch gewesen, so Ritscher. Viele hätten ihre akademische Karriere beendet, um sich aus den für sie problematischen Strukturen zu lösen – und noch eine auffällige Gemeinsamkeit habe es gegeben: ein grosser Teil der Betroffenen litt nach den Ereignissen an Angststörungen und Depressionen.

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Anlaufstellen müssen die Situation wirklich ernst nehmen, so Anina Ritscher. (Bild: Annalou Baumann)

Angesprochen auf einen konstruktiven Ansatz, um diese Situation zu verbessern, berichtete Ritscher, dass sie davon ausgehe, dass eine Anlaufstelle, die sich den Betroffenen wirklich empathisch annimmt, die Situation ernst nimmt, Unterstützung bietet und sich kümmert, psychologische Hilfe organisiert und transparent handelt, eine grosse Hilfe wäre. Röthlisberger wies auf die Vorteile einer anonymen Hinweismeldestelle nach dem Vorbild der Uni Luzern hin.

«Halbgötter» in starren Hierarchien

Jonathan Pärli vom VPOD Mittelbau plädierte für ein gemeinschaftlich organisiertes Vorgehen, um die starren Hierarchien und somit das Potenzial für missbräuchliche Arbeitskultur aufzubrechen. Pärli begrüsst grundsätzlich das System des Tenure-Tracks (Wissenschaftler*innen erhalten nach einer befristeten Bewährungszeit eine unbefristete Professur), ist aber der Meinung, dass dadurch das Problem nicht gelöst sei, da die Anzahl der attraktiven unbefristeten Stellen nicht erhöht würde. Ausserdem sprach er die enorme Intensität der Professor*innenstellen an. «So wie die Professuren im deutschsprachigen Raum organisiert sind, ist es in jeder Hinsicht zu viel. Zu viel Arbeit, Verantwortung, Macht.» Die Tatsache, dass es nur so wenige Stellen gibt, mache diejenigen, die dieses akademische Ziel erreichen, zu «Halbgöttern», und das verstärke gefährliche Machtstrukturen. Ausserdem seien die wissenschaftlichen Felder auch international personell überschaubar. «Wenn man es sich mit einem Silberrücken verscherzt, dann gute Nacht», so Pärli.

Joel Schaad von der Initiative «Better Science» weist darauf hin, dass sexueller Missbrauch und struktureller Machtmissbrauch an Universitäten die Spitze des Eisbergs seien und daher die Arbeitskultur insgesamt verbessert werden müsse. Dafür biete «Better Science» Hilfestellungen an. Zum Beispiel solle man vor allem als Führungsperson Arbeitszeiten einhalten und keine Mails in der Freizeit verschicken, um so ein gutes Vorbild – im Sinne von Grenzen setzen – für die Mitarbeiter*innen zu sein.

Prekäre Verträge und soziale Hürden

Pärli wirft an dieser Stelle ein, dass Mitarbeitende sich für die Etablierung einer gesunden Arbeitskultur besser einsetzen können, wenn sie nicht in befristeten Arbeitsverhältnissen sind und unter Druck stehen, die nächste Deadline einzuhalten. Deshalb plädiert er noch einmal für mehr unbefristete Stellen und weist darauf hin, dass die bisherige Praxis die Bildungsungleichheit fördere. Schliesslich sei selbst Exzellenz kein Garant für eine unbefristete Professor*innenstelle, und ohnehin würden die Würfel für diesen karrieristischen Meilenstein meist sehr spät fallen. Den Weg bis dahin müsse man sich leisten können, und das wäre häufig nur für Personen aus «gutem Haus» möglich.

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Jonathan Pärli fordert «organisierten Gegenwind» (Bild: Annalou Baumann)

In der Schlussrunde sagt Schaad, dass nur etwas verändert werden könne, wenn alle handeln. Ritscher betont, dass von Seiten der Politik mehr Druck wünschenswert wäre. Röthlisberger sieht in Basel das Direktorat in der Verantwortung und wünscht sich, dass insgesamt offener über diese Themen gesprochen und weniger unter den Tisch gekehrt wird. Pärli ist der Meinung: «Es braucht gut organisierten Gegenwind.»

Aus dem Publikum wird eingeworfen, dass gute Fähigkeiten im Papers-Publizieren und Daten-Auswerten noch lange nicht bedeuten, dass man ein Team führen kann. Die Wichtigkeit von Professionalisierung in der Bildung und Führung wird betont. Dabei gehe es nicht nur um die Verhinderung von Missbrauch, sondern auch um Effizienz. Schaad stimmt dem zu und weist darauf hin, dass es in Bern einen CAS für akademisches Leadership gebe, der rege besucht wird.

So kamen an dem Abend einige konstruktive Ansätze zusammen, um künftige Generationen akademischer Mitarbeiter*innen vor missbräuchlichen Machtstrukturen zu schützen.

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