Die Beständige

Seit 40 Jahren zeigt die Galerie Gisèle Linder an der Elisabethenstrasse zeitgenössische Kunst. Nur ein Faktor bestimme, wer und was hier ausgestellt werde: «Gefällt mir».

Gisèle Linder vor ihrer Galerie
Gisèle Linder vor ihrer Galerie. (Bild: Ernst Field)

Vor dem Beginn der Art Basel am 13.6. wirft Bajour einen Blick auf verschiedene Basler Galerien. Auch wenn wir nicht alle zeigen können, möchten wir einen kleinen Einblick in die Welt der Galerist*innen geben. Unsere Galerienschau beginnt mit der Galerie Gisèle Linder an der Elisabethenstrasse.

Im Vergleich zu den Gebäuden links und rechts wirkt die Galerie an der Elisabethenstrasse wie ein trotziger Zwerg. Standfest ist sie wohl. Seit fast 40 Jahren zeigt die gebürtige Neuenburgerin Gisèle Linder hier Werke von zeitgenössischen Künstler*innen, aktuell in einer Überraschungs-Jubiläumsausstellung: Jeden zweiten Mittwoch kommt seit dem 14. Februar ein neues Kunstwerk hinzu bis zum Galerie-Geburtstag am 24. August. 

Zwischen den bisher ausgestellten Kunstwerken gibt’s deshalb noch viel Platz für Überraschungen. Schon zu sehen ist ein gold schimmerndes Wandobjekt von Pia Gisler, ein direkt mit Graphitpulver auf die Galeriewand gezeichnetes Werk von Kathrin Kunz oder eine Kohlezeichnung von Luo Mingjun. Auch Künstler gehören zu den langjährigen Ausstellenden bei Linder, zumindest jetzt fallen aber die Frauen auf. 

Graphitzeichnung Galerie Gisèle Linder
Der Innenraum der Galerie, rechts die Graphitzeichnung. (Bild: Ernst Field)

Sie sei schon oft gefragt worden, sagt Linder, ob sie bewusst viele Künstlerinnen in ihrer Galerie ausstelle. Das verneint sie aber entschieden. «Für mich zählen die Werke», sagt Linder. «Das ist unabhängig vom Geschlecht.» Diese politische Dimension spiele für ihre Auswahl keine Rolle. Und war es für sie schwierig, als sie vor 40 Jahren als 38-Jährige mit einer eigenen Kunstgalerie ins Business einstieg? Als Frau? Und als Autodidaktin? «Es gab schon immer viele Galeristinnen», sagt sie zur Frauenfrage und geht weiter zum nächsten Objekt, einer grösseren Installation aus Draht und Wurzeln von Ursula Palla mit dem Titel «Grasses and Roots».

«Grasses and Roots» zwischen leeren Wänden, wo bald andere Kunstwerke der Jubiläumsausstellung hinkommen. (Bild: Ernst Field)

Präsenter ist ihr das «grosse Risiko», das sie damals einging: Linder war zuvor Sekretärin bei Ciba-Geigy, mit dem Schritt zur eigenen Galerie machte sie sich selbstständig. Gelernt, was es alles braucht, um eine Galerie zu führen, habe sie viel aus Büchern. Und mit Fehlermachen. Entscheidend ist bis heute wohl genauso Linders Bauchgefühl. Auch wenn die Galeristin auf über 40 Jahre Erfahrung zurückgreifen kann, schreibt ihre Assistentin Lena Stockmeyer in einer Publikation zum Jubiläum: «Tatsächlich gibt es nur einen Faktor, der bestimmt, wer und was ausgestellt wird, nämlich, wenn Gisèle sagt: ‹Gefällt mir!›»

Sich selbst stellt die Galeristin allerdings nicht ins Zentrum – auch ausserhalb dieses Gesprächs nicht. Sie sei zurückhaltend, wenn sich potenzielle Kund*innen umsehen möchten und laufe ihnen nicht mit der Preisliste hinterher. «Sie können in Ruhe entscheiden.» Und während andere das ganze Jahr auf die Art Basel hinfiebern, winkt Linder ab: Klar, die Präsenz an solchen Messen gehöre zu ihren Aufgaben und es sei auch gut für die Sichtbarkeit der Galerie. Aber: «Ich mache das für meine Künstler, für ihre internationale Ausstrahlung.» Deshalb ist sie auch nach über 35 Jahren dieses Jahr wieder vor Ort.

Accrochage, also Kunstwerke auswählen und eine Ausstellung konzipieren, dafür brennt Linder. Wobei: Wer sich unter einem Konzept ausgeklügelte Pläne der Räume und den darin vorgesehenen Kunstobjekten vorstellt, irrt. «Ich mache das anders als viele», sagt sie. Zuerst müssten alle Kunstwerke um sie herum im Raum sein. Erst dann kann sie entscheiden, welche Fotografie wo hängen, welches Objekt wo stehen soll.

Chambre Jaune Galerie Gisèle Linder
Das «Chambre jaune». (Bild: Ernst Field)

Und so wirkt dieser Ort und die sich langsam zusammensetzende Jubiläumsausstellung hier wie ein Gegenpol zur Schnelllebigkeit unserer Zeit, die Linder als Druck empfindet. Ein Druck, immer noch schneller zu sein und noch mehr zu liefern. «Ich fühle mich wie eine Grossmutter, wenn ich sage, früher war es anders», schmunzelt sie, «aber so ist es nun mal.» Sie zuckt mit den Schultern und geht vorsichtig die schmale Wendeltreppe ins Untergeschoss des Hauses hinab, ins «Chambre jaune». Hier finden sich zahlreiche Projekte aus dem Archiv der Galerie, so zum Beispiel «Petits fours» des amerikanischen Künstlers Barton Lidice Beneš aus medizinischen Pillen. «Einige davon sind von Roche», sagt Linder. Eine Andeutung an ihre Tätigkeit in der Pharmabranche vor so vielen Jahren. 

Schon mehrfach feierte Linder den Geburtstag ihrer Galerie. 25 Jahre. 30 Jahre. Jetzt 40 Jahre. Schon vor 10 Jahren schrieb die Tageswoche, sie denke «noch lange nicht» ans aufhören. Auch wenn Linder nun einen Stock zum Gehen benutzt, ihr Knie schmerzt und die Schnelllebigkeit unserer Zeit eine Herausforderung für sie ist, denkt sie offenbar nicht ans Aufhören. «Ich mache nochmals fünf Jahre bis zum nächsten Jubiläum, wenn es geht.»

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Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


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