Schafft die kantonalen Fachjurys ab!
Zwischen sprachsensiblem Zeitgeist und geopolitischen Spannungen – kulturpolitisches Entscheiden ist anspruchsvoller denn je. Was derzeit im Kulturbetrieb ausgetragen werde, sei beispiellos, sagt Kulturunternehmer und Grossrat Johannes Sieber. In seinem Gastbeitrag provoziert er mit einem gewagten Vorschlag: kantonale Fachjurys? Weg damit!
Diese Woche beantwortet der Regierungsrat zwei Interpellationen zum Thema Kulturförderpreis und Leila Moon. Aus den politischen Polen wurde Kritik laut. Die Rechte verortet die Musikproduzentin, die für ihre «vernetzte und vernetzende Arbeit» von der Jury für den Preis empfohlen wurde, in der «mutmasslich antisemitischen» Ecke – was ihre Auszeichnung unmöglich mache. Die darauffolgende Überprüfung der Preisvergabe kritisiert die Linke hingegen als «Absage aufgrund politischen Drucks».
Das kulturpolitische Agieren im Gefüge der regionalen Auswirkungen aufgrund geopolitischer Spannungen, kombiniert mit sprachsensiblem Zeitgeist, ist anspruchsvoll geworden. Was derzeit im Kulturbetrieb ausgetragen wird, ist beispiellos. Das ist kein Basler Phänomen, doch hier wird die Debatte besonders eng geführt. Bisweilen konzentriert sie sich auf einzelne Wörter oder Posts in Sozialen Medien. Beides ein Unding.
Johannes Sieber ist Kulturunternehmer, Kulturpolitiker und Grossrat. Seit über 20 Jahren ist er engagiert für eine vielfältige Kulturstadt Basel und hat mit seinem Kulturengagement Gay Basel unzählige Veranstaltungen verantwortet. Er war involviert in die Programme «Kultur divers gestalten» (Kanton Basel-Stadt) und «Tandem Diversität» (pro Helvetia).
Sommer 2023: Mit der Notbremse bei der Vergabe eines Werkbeitrags in der Literatur bescherte sich der Kanton bemerkenswerte Aufmerksamkeit der deutschsprachigen Feuilletons. Der renommierte Basler Autor Alain Claude Sulzer lässt im Manuskript seiner Geschichte, die in den 60er-Jahren erzählt, einen Protagonisten in Worten sprechen, die der Duden heute als diskriminierend einstuft.
Obwohl der Fachausschuss das Gesuch «aufgrund seiner literarischen Qualität» gutheissen wollte, sah sich die Verwaltung durch Sulzers Sprachgebrauch in Bedrängnis gebracht. Aufgrund ihres Eingreifens wurden Zensurvorwürfe laut.
Es ist ein Dilemma
Herbst 2024: Die kantonale Jury des Kulturförderpreises will die Musikproduzentin Leila Moon auszeichnen. Wie bei Sulzer handelt es sich um eine Empfehlung zuhanden der Abteilung Kultur. Letztere trägt die Verantwortung – und winkt diesmal die Empfehlung durch.
Die Kritik daran kam postwendend via Interpellation im Grossen Rat. Die Künstlerin nehme «aktiv und einseitig Stellung gegen Israel», sie könne darum, so der Interpellant, als «mutmassliche Unterstützerin der Hamas» bezeichnet werden. Die Notbremse zieht der Kanton dieses Mal erst nach dem Aufschrei: Er sagt die Preisverleihung ab und überprüft den Entscheid.
Im Fokus der Kritik: Katrin Grögel. Die engagierte Basler Kulturverantwortliche dürfte Nachtschichten für Recherche und Rekonstruktion geleistet haben, um eine schlüssige Beantwortung der hängigen Interpellationen zu ermöglichen. Was war geschehen in der Causa Moon? Sind die Vorwürfe berechtigt? Wäre hier ein früheres Eingreifen angezeigt gewesen – oder hätte man damit den Zensurvorwurf von letztem Sommer bestätigt? Es ist ein Dilemma.
«Mitwirkung, Inklusion, Partizipation, ja nichts weniger als die Demokratisierung der Kulturförderung sind die Anliegen der Politik.»Johannes Sieber
Wer die Kulturchefin von Auftritten auf Podien kennt, weiss: sie ist dossiersicher und kann Sachverhalte derart detailliert und zusammenhangsreich erläutern, dass man wahlweise das Gefühl bekommt, man sei entweder zu dumm, sie zu verstehen – oder aber: sie habe wohl recht. Selbstredend, dass die Mehrheit zu letzterem tendiert. Zu voreilig? Denn diese Gabe könnte ebenso zum Anlass genommen werden, sich vor ihr zu fürchten.
Wo führt das hin?
Was bisweilen technokratisch wirkt, ist vor allem eines: wohl überlegt. Denn das Leiten von Kulturabteilungen als Königreiche ist längst Vergangenheit. Das Entscheiden nach persönlichem Geschmack mit einer Brise offensichtlicher Willkür ist heute undenkbar. Stattdessen sind Mitwirkung, Inklusion, Partizipation, ja nichts weniger als die Demokratisierung der Kulturförderung die Anliegen der Politik. Will er standhalten, muss jeder Entscheid niet- und nagelfest begründet sein – zur Not mit Grundrecht und Diskriminierungsschutz.
Wo führt das hin? Zur Frage, ob wir, die kulturpolitische Entscheide fällen und sie eifrig kritisieren, die Verantwortung im aktuell diskutierten Detail überhaupt tragen können. Glauben wir Politiker*innen ernsthaft, den problematischen politischen Hintergrund einer Musikschaffenden an einem Post in den Sozialen Medien nachweisen zu können – und zu müssen? Meinen wir tatsächlich, dass das Verhindern von Literatur zu einem gelingenden Miteinander beitragen wird, und sollen wir uns auch noch zumuten zu entscheiden, welche Wörter uns dazu berechtigen? Beteiligen wir uns mit dieser aktuell geführten, unterkomplexen Diskussion nicht selber am Missbrauch des freiheitlichen Raums der Kunst und Kultur – statt eben diesen zu sichern? Ich habe Zweifel.
«Es wäre prüfenswert, die Verantwortung dort zu platzieren, wo sie hingehört: In den jeweiligen kulturellen Szenen.»Johannes Sieber
Auch zweifle ich an unserem Konstrukt der beratenden Fachjurys, deren Empfehlungen uns offenbar zunehmend in Bedrängnis bringen. Es wäre prüfenswert, diese Verantwortung dort zu platzieren, wo sie hingehört: In den jeweiligen kulturellen Szenen. Entscheide der Förderung von Literatur fallen fundierter im Umfeld des Literaturhauses, die berechtigten Preise an Filmschaffende verleiht Balimage. Gute Entscheide in der Musik fallen im Umfeld des Musikbüros – wie das im Pioniermodell Clubförderung bereits vorgesehen ist. So hätten wir die zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Verantwortung. Wer mitreden und entscheiden will, kann und soll sich dort engagieren. Demokratisierung? Et voilà.
Unsere zahlreichen kantonalen Jurys und Fachausschuss-Gremien für Preise, Projektförderung und Werkbeiträge in der Kultur formulieren lediglich Empfehlungen. Sie fällen keine Entscheide und sie tragen keine politische Verantwortung. Sie sind aufwändig, binden staatliche Ressourcen und halten die Regierung auf Trab. Denn auch als Legitimationsgefüge für die Abteilung Kultur scheinen sie je länger je weniger zu funktionieren. Schaffen wir sie ab!