Gesinnungsprüfung oder sinnvolles Time-out?
Ist es richtig, die Preisverleihung an Leila Moon wegen ihrer Israelkritik zu stoppen? Bei der Frage des Tages und auf Instagram wird heftig diskutiert. Derweil solidarisieren sich mehr als 1400 Menschen mit einem offenen Brief mit der DJ.
Nur einen Tag hat es gedauert, bis das Amt für Kultur die geplante Kulturpreisvergabe an die DJ Leila Moon vorerst auf Eis legte. Wenige Tage danach folgt die öffentliche Solidarisierung: In einem offenen Brief wenden sich mehr als 2100 Menschen (Stand: 19. November, 19 Uhr) an Regierungspräsident Conradin Cramer (LDP) und Kulturamtsleiterin Katrin Grögel. Sie schreiben von einer Diffamierung von Leila Moon durch die SVP und bezeichnen es als «verheerendes Zeichen», wenn die Preisvergabe aufgrund politischen Drucks tatsächlich rückgängig gemacht werde.
Den offenen Brief haben neben vielen Kulturschaffenden auch die Basta-Grossrät*innen Nicola Goepfert, Tonja Zürcher und Oliver Bolliger unterzeichnet. Im Brief heisst es, dass die «kritische Haltung» von Kulturschaffenden auch Positionen zum Staat Israel umfassen müsse. Angesicht der derzeitigen humanitären Situation in Gaza und dem Westjordanland seien kritische Positionen «nicht nur legitim, sondern notwendig für einen demokratischen Diskurs».
Ein Grossteil unserer Leser*innen teilt diese Haltung, wie ein Blick auf die Debatte bei der Frage des Tages zum Thema zeigt: Mehr als 80 Prozent der Frage-des-Tages-Community findet, dass sich das Amt für Kultur zu sehr unter Druck setzen lässt. Schaut man aber in die Kommentare, die eingegangen sind, sieht das Bild differenzierter aus.
«Die Frage ist, inwieweit Kultur politisch ist und es sein soll.»Dan Wiener, Kulturunternehmer
Kulturunternehmer Dan Wiener findet gar, die Frage sei falsch gestellt. Denn: «Die Frage ist nicht, ob sich die Abteilung Kultur von der Politik unter Druck setzen lässt. Die Frage ist, inwieweit Kultur politisch ist und es sein soll.» Wiener schreibt, er würde diese Frage klar bejahen, kritisiert aber, dass Leila Moon zum Boykott von Kunstschaffenden aufgerufen hat, die nicht explizit ihre politische Meinung teilen. «Politische Meinungsäusserung ist das eine, andere auf diese absolute und besserwisserische Art und Weise zu canceln, ist etwas Anderes.» Und er resümiert: «Falls dieses Vorgehen der Jury nicht bekannt war, ist es legitim, den Entscheid noch einmal zu überdenken.»
«Es wäre mehr als unverständlich, wenn Moon den Preis am Schluss doch noch bekäme.»Philip Karger, LDP-Grossrat
Dies bezweifelt LDP-Grossrat Philip Karger, der schreibt: «Dass das Amt für Kultur nichts von der Gesinnung von Leila Moon gewusst habe, ist schlicht gelogen.» Er glaubt, dass es sich entweder um «Arroganz der Verantwortlichen des Amts für Kultur» handle oder, «noch schlimmer, man dachte, dass man schon damit durchkomme». Karger hält es für gut und richtig, die Verleihung zu verschieben und es wäre aus seiner Sicht «mehr als unverständlich, wenn Moon den Preis am Schluss doch noch bekäme».
«Nur weil sich eine Künstlerin gegen den Krieg der israelischen Regierung in Gaza und für Selbstbestimmung in Palästina ausspricht, ist dies kein Grund, ihr Werk nicht zu würdigen.»Oliver Bolliger, Basta-Grossrat
Anderer Meinung ist Basta-Grossrat Oliver Bolliger. Er ist der Ansicht, dass die Fachjury sich aus verschiedenen Blickwinkeln und Gründen für die Basler Künstlerin Leila Moon entschieden hat. «Dies kann man gut oder schlecht finden und darf dies in einer Demokratie auch mitteilen. Nur weil sich eine Künstlerin gegen den Krieg der israelischen Regierung in Gaza und für Selbstbestimmung in Palästina ausspricht, ist dies kein Grund, ihr Werk nicht zu würdigen.»
Bolliger findet es einen «demokratiepolitisch hochproblematischen Vorfall», dass eine Interpellation der SVP zu einer kompletten Neuprüfung der Preisvergabe führt. Denn es könne nicht sein, dass einer einzelnen Partei oder einem Regierungsrat de facto ein Vetorecht für die Preisvergabe von Kulturpreisen eingeräumt wird, «nur wenn die politische Meinung der ausgezeichneten Künstler”innen nicht genehm ist».
«Unter Druck lässt sich das Amt nur setzen, wenn es sich diese Zeit nun nicht nehmen würde.»Andrea Strahm, Mitte-Grossrätin
Mitte-Grossrätin Andrea Stram hingegen findet es nur folgerichtig, ein Time-out zu sprechen und genauere Abklärungen zu machen, wenn das Amt für Kultur nichts von den, wie sie schreibt, «israelfeindlichen Äusserungen» wusste, als die Nomination erfolgte. Unter Druck liesse sich das Amt nur setzen, wenn es sich diese Zeit nun nicht nehmen würde, so Strahm.
«Vor allem darf kein Antisemitismus gefördert werden.»Daniel Albietz, Mitte-Grossrat
Für ihren Parteikollegen, Grossrat Daniel Albietz, hat die Vergabe eines Kulturpreises immer eine politische Komponente. Er schreibt: «Vor allem darf damit kein Antisemitismus gefördert werden.» Er finde, «die Jury solle nach vorgängigen Abklärungen von selbst darauf kommen, dass die Vergabe an eine solche Künstlerin nicht nur unglücklich, sondern inopportun ist». Das, da Leila Moon aus seiner Sicht das falsche Narrativ von Apartheid und Völkermord stereotyp verbreite.
Zwei Völkerrechtsprofessor*innen, Evelyn Schmid und Marco Sassòli, erklären auf Anfrage, dass es weder illegitim, noch antisemitisch sei, Israels Politik als Genozid zu bezeichnen. Sie verweisen auf den Internationalen Gerichtshof (IGH), der die von Südafrika argumentierten Punkte, dass in Gaza die Gefahr eines Völkermords besteht, für plausibel hält. Schon vor zwei Jahren anerkannte das IGH den Vorwurf der Apartheid gegenüber Israel und beschrieb die Besatzungspolitik als Verletzung gegen das Völkerrecht.
Bajour-Leser Thomas Bollinger schreibt, es gehe hier nicht um die politische Meinung und die sicher berechtigte Kritik am Vorgehen Israels nach dem Massaker vom 7. Oktober, sonder darum, «Menschen zu boykottieren, weil sie die ‹falsche› Staatsbürgerschaft oder Ethnie haben».
«Soll man Kunst unabhängig vom Kunstschaffenden beurteilen oder spielt die Person bei der Beurteilung auch eine Rolle?»Mathis Reichel, Pensionierter Tänzer und Musiker
Kritik am Amt für Kultur hat der pensionierte Tänzer und Musiker Mathis Reichel: «Bevor ein Architekt in den Gotthard bohrt, muss er Abklärungen treffen. Ebenso ergeht es dem Chirurgen und Tramchauffeur. Es gibt nur eine Ausnahme: das Amt für Kultur, hier reicht das Bauchgefühl, einmal geht es um Zigeuner, einmal um die politische Einstellung einer Musikproduzentin.» Für ihn lautet die heikle Frage: Soll man Kunst unabhängig vom Kunstschaffenden beurteilen oder spielt die Person bei der Beurteilung auch eine Rolle?
«Kunst ist oft politisch motiviert und ein wichtiges Ventil, um beispielsweise Ungerechtigkeit ein Gesicht zu geben.»Katja Müggler, Organisationsberaterin
Die Organisationsberaterin Katja Müggler findet die Angelegenheit «hochbrisant». Sie pocht auf die Meinungsfreiheit und hinterfragt, ob eine Person, die sich politisch dezidiert äussert, kein Anrecht auf diesen oder solche Preise habe? Sie schreibt: «Kunst ist oft politisch motiviert und ein wichtiges Ventil, um beispielsweise Ungerechtigkeit ein Gesicht zu geben. Ich habe Achtung vor dieser mutigen Frau, die es wagt, sich in Zeiten grosser Repression öffentlich zu äussern. Mir scheint, dass dies immer seltener passiert.»
Bajour-Leser Beat Glesti sorgt sich ebenfalls um die freie Meinungsäusserung. Er schreibt, man erhalte den «Antisemitismusvorwurf heute gratis». Denn wer «Netanjahu und seine ultrarechten Minister» kritisiere, bekomme den Antisemitismusvorwurf «vor allem von den Rechten, die es bei Asyl und anderen Themen (Menschenrechte, Sozialkompetenz, Rassismus etc.) auch nicht sehr genau nehmen.»
Auch auf Instagram entfaltete sich eine lebhafte Debatte zum Thema. User*in Sasha findet, dass es «spalte» und «herablassend» sei, wenn man Leute bestimmter Ethnien «zwinge», gewisse Äusserungen zu treffen. User*in Pyralex widerspricht: «Wer Israeli ist, muss sich klar von seiner/ihrer Regierung distanzieren.» Für Sasha ist das «sippenhaft». User*in Tofumonster zeigt sich derweil besorgt, dass die SVP die Debatte instrumentalisiert, um «wieder einmal die Kulturszene ins Schlingern zu bringen».
Die Entscheidung über eine Kulturförderung sorgt in Basel erneut für Diskussionen. Wird der Preis aberkannt, ist das kein Zeichen gegen Antisemitismus, sondern ein rein politischer Entscheid.