Was ist mit der Unschuldsvermutung, Elena Kasper?
Nach Vergewaltigungsvorwürfen bekämpfen Feminist*innen den Auftritt von Luke Mockridge. Ihr Slogan: «Keine Show für Täter», obwohl der Komiker nie verurteilt wurde. Die Baselbieterin Elena Kasper hat unterschrieben. Warum?
Am Sonntag soll der Komiker Luke Mockridge im Zürcher Hallenstadion auftreten. Mehrere Frauen werfen ihm vor, sie sexuell missbraucht zu haben, eine Ex-Partnerin bezichtigte ihn 2019 der versuchten Vergewaltigung*. Das Verfahren wurde wegen mangelnder Beweise eingestellt.
Die Juso Zürich und das feministische Streikkollektiv Zürich fordern dennoch die Absage des Auftritts in Zürich. Titel ihrer Petition: «Keine Show für Täter». Es sei wegen «Geschichten wie diesen, dass Vorfälle sexualisierter Gewalt nur in den seltensten Fällen angezeigt werden.» Die Täter würden in den meisten Fällen unbeschadet davonkommen.
Das sorgt für Diskussionen. Harte Kritik kommt von Jolanda Spiess-Hegglin, selbst Feministin und Kämpferin gegen Hate Speech (und ehemalige Gärngschee-Moderation für Bajour). Sie schreibt auf Twitter an die Petent*innen: «Gehts. Euch. Eigentlich. Noch. Gut.» Es gebe im Rechtsstaat das Prinzip der Unschuldsvermutung. «Es sind dies die Grundpfeiler für die Freiheit jedes Einzelnen von uns.»
Auch der Komiker Renato Kaiser betont die Wichtigkeit der Unschuldsvermutung. Er hebt aber hervor, wie wichtig es ist, Frauen zuzuhören.
Pfeifen Feminist*innen auf die Unschuldsvermutung und den Rechtsstaat? Das haben wir Elena Kasper gefragt. Sie ist Co-Präsidentin der Juso Baselland, äussert sich in diesem Interview aber als Privatperson und als Politikerin. Sie betont, dass sie nicht für die ganze Juso sprechen kann.
Elena Kasper, Sie haben die Petition gegen den Auftritt von Luke Mockridge unterschrieben. Warum?
Weil ich damit einverstanden bin. Es geht nicht, einem mutmasslichen Täter so eine Bühne zu bieten.
Mockridge wurde aufgrund mangelnder Beweise nicht angeklagt. Trotzdem lautet der Titel des von Ihnen unterschriebenen Aufrufs «Keine Show für Täter». Warum missachten Sie die Unschuldsvermutung?
Er ist ein mutmasslicher Täter. Die Anklage wurde wegen mangelnder Beweise fallen gelassen. Das ist bei sexualisierter Gewalt häufig der Fall wegen des 4-Augen-Prinzips. Die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung macht Sinn. Es gibt aber einen Unterschied zwischen der juristischen Unschuldsvermutung und den gesellschaftlichen Konsequenzen eines Verhaltens. Unabhängig davon, ob er verurteilt wurde oder nicht. Zumal er sich in seiner Show über die Anschuldigungen noch lustig macht. Solche Witze befördern eine Rape Culture und legitimieren sexuelle Gewalt. Ich finde es legitim, als Gesellschaft zu sagen: «Wir bieten so jemandem keine Bühne».
Witze eines Komikers zu kritisieren ist nicht dasselbe, wie einen Mann ohne Gerichtsurteil als «Täter» zu bezeichnen und ihn damit vorzuverurteilen.
Man konnte seine Unschuld nicht feststellen. Das Verfahren wurde aufgrund mangelnder Beweise eingestellt. In einer Spiegel-Reportage erhoben zehn Frauen unabhängig Vorwürfe gegen ihn. Das ist relevant. Danach wurden weitere Vorwürfe laut. Es ist gerechtfertigt, gegen jemanden, gegen den so schwere Vorwürfe im Raum stehen, das Wort zu ergreifen.
In unserem Rechtsstaat gilt: Im Zweifel für die*den Angeklagte*n. Nur, wer erwiesenermassen eine Tat begangen und verurteilt wurde, ist schuldig.
Die Unschuldsvermutung der Täter wird einfach höher gewertet als die Rechte betroffener Menschen. Die Stimmen der Opfer bekommen nicht genug Gewicht. Es geht nicht um diesen einen Fall. Es geht um das ganze System. Das sind patriarchale Strukturen. Vielen Opfern wird nicht geglaubt, wenn sie sich mitteilen, sie werden als Lügner*innen dargestellt.
Sie kehren die Beweislast um: Wollen Sie eine Gesellschaft, in der jede*r als Täter*in gilt, die*der ihre*seine Unschuld nicht bewiesen hat?
Eben weil die Beweislage oft sehr uneindeutig ist, kann nur ein Bruchteil aller Sexualdelikte verurteilt werden. Von hundert Frauen, die vergewaltigt werden, erlebt nur etwa eine einzige eine Verurteilung. Es kann nicht sein, dass allen diesen Frauen ihre Erfahrungen in Abrede gestellt werden und es nicht möglich sein soll, eine Person für ihr Verhalten zu kritisieren. Dann dürften wir ja nur 1% aller mutmasslichen Täter*innen öffentlich kritisieren. Die Forderung, dass es ohne Verurteilung keine gesellschaftlichen Konsequenzen geben darf, finde ich dementsprechend absurd. Aber ich finde es wichtig zu betonen, dass es einen grossen Unterschied zwischen gesetzlicher Verurteilung mit schwerwiegenden Einschränkungen der Grundrechte wie Gefängnisstrafe und gesellschaftlichen Konsequenzen gibt.
Ist Ihnen bewusst, dass es unter Umständen rufschädigend und justiziabel ist, eine Person öffentlich als «Täter» zu bezeichnen und an den Pranger zu stellen?
Ich bin damit einverstanden, dass es korrekterweise «mutmasslicher Täter» heissen müsste. Ich stehe dennoch hinter der Petition. Aus dem Nichts kommen diese Vorwürfe ja auch nicht. Die Gesellschaft muss irgendwie entscheiden, wie sie damit umgehen soll und wenn diese schweigt, ist das wiederum schrecklich für die Betroffenen von sexualisierter Gewalt.
Öffnen Sie mit dem Argument «die Vorwürfe kommen nicht aus dem Nichts» nicht Tür und Tor für Selbstjustiz?
Damit wir als Gesellschaft diskutieren können, braucht es öffentliche Kritik, das ist kein Hate Speech. Die Vorwürfe gegen Mockridge wurden juristisch zwar fallen gelassen, sie stehen gesellschaftlich aber nach wie vor im Raum. Menschen können taktlose Witze machen. Sie müssen aber bereit sein, auch die Konsequenzen zu tragen. Es muss möglich sein eine Person für solches Verhalten zu kritisieren. Sonst stellt man sich auch ein Stück weit auf die Seite von mutmasslichen Täter*innen und unterbindet den öffentliches Diskurs über sexualisierte Gewalt.
Sie kritisieren, dass Opfer von sexualisierter Gewalt in der Justiz zu wenig ernst genommen werden. Sie können sich für andere Gesetze einsetzen. Genau das machen Feminist*innen aktuell, indem sie die «Ja heisst Ja»-Regeln ins Sexualstrafrecht einführen wollen. Das ist der demokratische Weg.
Im jetzigen Gesetz gilt nur vaginale Penetration «bei einer Person weiblichen Geschlechts» als Vergewaltigung. Das muss dringend geändert werden, denn sexualisierte Gewallt fängt schon viel früher an. Jede sexuelle Handlung ohne Zustimmung müsste im Gesetz als Vergewaltigung anerkannt werden. Dazu kommt, dass auch Männer und genderqueere Menschen Opfer sexualisierter Gewalt werden können. Dass diese Anpassungen bis jetzt noch nicht gemacht wurden, sagt auch viel über unsere patriarchale Gesellschaft aus. Gewalt an Frauen und anderen FLINTA*-Personen hat System.
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