«Es ist nicht das Gleiche, ob man gebärt oder nicht»
Die Diskussion rund um die Umstrukturierung der Elternzeit ist in vollem Gange. Für Miriam Dürr von der «Eidgenössischen Kommission dini Mueter» (EKdM) ist klar – Flexibilität darf nicht auf Kosten des Mutterschutzes gehen. Sie warnt vor einem Rückschritt in der Gleichstellungspolitik.
Miriam Dürr, die SGK, die Nationale Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit, gab Ende Mai bekannt, dass sie eine flexible Elternzeit von 16 Wochen befürwortet. Das würde bedeuten, dass junge Eltern nicht mehr Zeit bekommen, aber mehr Flexibilität. Was hat diese Nachricht bei Ihnen ausgelöst?
Die Nachricht hat Entsetzen in mir ausgelöst. Diese Idee wäre ein Rückschritt. Für mich und die EKdM ist der Mutterschutz unantastbar. Gegen einen Abbau wehren wir uns mit Händen und Füssen.
Bedeutet nicht mehr Flexibilität auch mehr Gleichberechtigung?
Wir sind für die Parität, also dafür, dass Mütter und Väter die Möglichkeit haben, bei den neugeborenen Kindern zu sein. Aber nicht um jeden Preis. Es ist einfach nicht das Gleiche, ob man gebärt oder nicht gebärt. Das muss berücksichtigt werden.
Diskutiert wird aktuell auch die Familienzeitinitiative. Sie wurde von der Alliance F, der GLP, den Grünen, den Mitte-Frauen und Travail Suisse initiiert. Sie fordert 18 Wochen Familienzeit für jedes Elternteil. Die SP unterstützt diese Initiative mittlerweile auch. Die EKdM aber nicht. Warum?
Schlicht, weil der Mutterschutz nicht gesichert ist. Wir sind auch dafür, dass es mehr Zeit gibt. Aber es muss zusätzlich sein.
Sind in diesen 18 Wochen nicht 14 Wochen Mutterschutz inkludiert?
Ja, aber es gäbe anteilsmässig ganz viel mehr für die Väter. Das ist dann nicht mehr paritätisch.
Die EKdM hat auch eine Petition gestartet. Was wird dort genau gefordert?
Diese Petition haben wir nach dem Entscheid der nationalrätlichen Kommission ins Leben gerufen. Wir fordern, dass es eine flexible Elternzeit gibt, zusätzlich zum bestehenden Mutterschutz und Vaterschaftsurlaub. Wir fordern gesellschaftliche Anerkennung und finanzielle Kompensation von Care-Arbeit und den vorgeburtlichen Mutterschaftsschutz.
Ihre Petition beinhaltet also auch einen Ausbau der Elternzeit. Wir haben aber Fachkräftemangel. Ist das überhaupt realistisch?
Absolut. Dazu gibt es viele wissenschaftliche Studien. Alle kommen zum gleichen Schluss. Die Investition in Elternzeit lohnt sich. Für die Familie, für die Frauen, für die Eltern, für die Wirtschaft. 70 Prozent der Frauen arbeiten vor der Geburt in 90 bis 100 Prozent Pensen und nach der Geburt in einem kleineren Pensum unter 70 Prozent. Mütter brauchen mehr Zeit, dann bleiben sie auch in ihrem Beruf und steigen nicht komplett aus.
Läuft das darauf hinaus, dass die Mütter neben der Care-Arbeit auch noch den Fachkräftemangel beheben sollen?
Momentan geht es in der Diskussion um die Familienzeitinitiative viel um die Wirtschaft. Es wird argumentiert, dass Mütter möglichst bald wieder arbeiten sollen, etwas für die Wirtschaft leisten – wobei man vergisst, dass Mütter auch arbeiten, wenn sie zu Hause sind. Es ist einfach unbezahlte Arbeit.
Die Entlöhnung von Care-Arbeit ist auch ein Anliegen Ihrer Petition. Wie genau soll die aussehen?
Es gibt verschiedene Ansatzpunkte. Die Betreuungsgutschriften der AHV könnten auf die anderen Sozialversicherungen ausgebaut werden, insbesondere auf die Pensionskasse. Das Thema liesse sich auch vergleichen mit den Direktzahlungen in der Landwirtschaft. Dort werden beispielsweise Bauern für das Wegräumen von Steinen auf Wiesen bezahlt, weil es eine Leistung für die Gesellschaft ist. So ein Modell könnte man sich auch als Zahlung an Haushalte, in denen Kindern aufwachsen, überlegen. Zudem ist auch die bezahlte Elternzeit durch die Lohnfortzahlung eine Art Lohn für bisher unbezahlte Arbeit.
Wieso braucht es Ihrer Meinung nach einen vorgeburtlichen Mutterschutz?
Weil die Schwangerschaft auch zur Mutterschaft gehört. Neben der körperlichen Anstrengung kommt seelisch eine grosse Veränderung auf einen zu. Dafür sollte man Zeit bekommen. Ich sehe das nicht als Luxus, sondern als eine Investition. Wer die Schwangerschaft, die Geburt, die Stillzeit und das Wochenbett gut durchlebt hat, kann sich auch angemessen erholen und mit einem guten Fundament wieder in die Erwerbsarbeit einsteigen.
Viele Frauen werden ein paar Wochen vor der Geburt krankgeschrieben. Reicht das nicht?
Nein. Dadurch entstehen versteckte Kosten im Gesundheitssystem. Es wäre besser, die Dinge beim Namen zu nennen und den vorgeburtlichen Mutterschutz über die Erwerbsersatzordnung (EO) zu bezahlen.
Transparenzhinweis: Miriam Dürr hat die Antwort auf die Frage nach der konkreten Ausgestaltung der Bezahlung für Care-Arbeit nach dem Interview konkretisiert und ausgeführt. Diese Ausführungen wurden in die schriftliche Version des Interviews integriert.