Von Stadtgärten, Unkraut und Wildsalat
Gina Honauer verwandelt Basel in eine essbare Stadt. Wie es dazu kam, warum sie die Stadt dem Land vorzieht und was ein Garten mit Kindern zu tun hat, erzählt sie im Gespräch.
Die neue Kolumne rund ums Essen aus der Markthalle.
Gina Honauer begrüsst mich vor einem unscheinbaren Haus im Kleinbasel, unweit des Erasmusplatz. Durch einen betonierten Keller gelangen wir in den Innenhof: Zwischen grünen Blättern diverser Kräuter und Büsche blitzen kleine blaue Blüten hervor, die Beete sind von Steinen umrandet. Im Hintergrund hört man Vögel zwitschern, und Bienen summen zwischen den Blüten umher. Das verkehrslastige Quartier hinter den Hausmauern ist sofort vergessen – dank Gina.
Gina ist Gärtnerin durch und durch. Sie ist für die Arbeit draussen gekleidet, ihren Kopf schützt sie mit einer Mütze vor der aussergewöhnlich warmen Frühlingssonne und möchte lieber ihren Pflanzen und den Bienen den Platz auf Fotos überlassen, statt sich selbst ablichten zu lassen. Nach einer Ausbildung zur Zierpflanzengärtnerin und einem BSc in Umweltingenieurwesen arbeitete sie zuerst ein paar Jahre als Product Manager für Gartenbedarf. Dann entschied sie sich, ihrer Faszination von Permakultur zu folgen und wieder selbst mit den Händen in der Erde zu wühlen.
Während vier Jahren hat sie im Gemeinschaftsgarten Landhof die Projektleitung übernommen und in dieser Zeit ihr Projekt Edibâle gestartet. Edibâle ist eine Wortschöpfung aus «edible» und «Bâle» und fasst Ginas Vision einer essbaren Stadt perfekt zusammen: Nebst dem Wildsalat und den Kräutern, die sie direkt verkauft, kollaboriert sie auch mit Gastrobetrieben und bietet Kurse an für andere Gärtnerbegeisterte.
Wir sitzen während unseres Gesprächs unter einem der grossen Ahornbäume. Ob diese ausser Schatten noch etwas Erntbares produzieren, möchte ich wissen. Als Antwort kniet Gina auf den Boden, wo hunderte kleine Ahorn-Keimlinge ihre Köpfe aus der Erde strecken. «Als sie noch ganz frisch waren, mischte ich sie mitsamt ihrer Wurzeln als Micro-greens in den Salat, jetzt sind sie aber schon zu gross.» Bleiben dürfen sie vorerst trotzdem. Das ist eines von Ginas Prinzipien: Unerwartetes wird mit einbezogen.
Ungeplant war auch die Art und Weise, wie Gina auf diesen Stadtgarten stiess: Sie fand die Fläche zufällig per Inserat und zahlt heute eine kleine Pacht dafür, dass sie den Garten nutzen darf, für den die Bewohner*innen keine Verwendung haben. Daneben bepflanzt sie noch einen Garten im St. Johann und eine Fläche im 4058, rund um die Genossenschaft, in der sie wohnt – dort hat sie zusätzlich einen Wintergarten. Doch ihre Homebase, sagt sie, sei hier, mitten in der Stadt. In diesem Garten kann sie alleine entscheiden, planen und experimentieren.
Urban Gardening - mehr als Stadttomaten
Als Urban Gardening gilt so ziemlich alles, was die Bewirtschaftung von Flächen im städtischen Raum betrifft: Gemeinschaftsgärten, Guerilla Gardening (also das wilde Säen auf öffentlichen Grünflächen), Dachgärten, Balkonbepflanzung. Die Flächen werden oft – wie auch bei Gina – in Permakultur bewirtschaftet. Permakultur orientiert sich an den natürlichen Zyklen und Abhängigkeiten der Natur. Indem der Ressourcenverbrauch und die Abfallproduktion minimiert werden, entstehen reichhaltige, vielfältige Lebensräume.
Für Gina bedeutet Permakultur langfristig auch weniger Aufwand: sie muss nicht jedes Jahr alles neu ansäen und sich Gedanken machen, was sie wann wo anpflanzen soll. Tomaten zum Beispiel seien nach ihrem Geschmack «zu menschenabhängig»: ansäen, umtopfen, pikieren, die Eisheiligen abwarten und dann hoffen, dass die Schnecken noch was übrig lassen – da ist ein Garten, der seinen eigenen Rhythmus findet viel stabiler im Ertrag. Ein selbst installiertes Bewässerungssystem, das den gesamten Garten bedeckt, nimmt ihr zusätzlich Arbeit ab.
Das Stadtgärtnern habe Ausbaupotenzial, sagt Gina: Es gäbe hier in Basel eigentlich genug Flächen, aus denen man etwas machen könne. In Innenhöfen, auf Dächern, in Hochbeeten oder auf Asphaltplätzen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wie dieser Garten hier beim Erasmusplatz sind allerdings viele Flächen in Privatbesitz und man braucht entweder Mut, um zu fragen, ob man sie bepflanzen darf, oder aber Glück, wenn die Fläche ausgeschrieben wird – was in der Regel mit Kosten verbunden ist.
Die Pflanzen, die bei Gina wachsen, sind bunt gemischt: Einige wurden bewusst aus Sortenlisten gewählt und bei ausgesuchten Produktionsbetrieben sowie übers Netzwerk von ProSpecieRara bestellt. Da gibt es nebst vielem Einheimischem auch sogenanntes Exotisches wie z.B. Epazote (mexikanisches Bohnenkraut) und Kaki. Andere – die teilweise als Unkraut bezeichnet werden – haben selbständig den Weg in den Garten gefunden und werden freudig geerntet. Sie beobachtet viel und versucht abzuschätzen, wo ein Eingreifen nötig ist.
Ein bisschen wie bei der Kindererziehung sei das: «Kinder wissen oft sehr gut, was sie brauchen, auch wenn wir Erwachsenen davon ausgehen, es besser zu wissen. Wenn wir die Pflanzen – genau wie die Kinder – ermächtigen, ihren eigenen Umgang mit Situationen zu finden, entwickeln sie oft ungeahnte Fähigkeiten.»
Edibâle ist Teil von Urban Agriculture Basel, das unter anderem vom Kanton unterstützt wird. Die Urban Agriculture Basel ist ein Zusammenschluss verschiedenster landwirtschaftlicher Projekte in Basel. Es ist Infoportal, Agenda und Vernetzung in einem. Die Plattform wird unter anderem von der Stadtgärtnerei und dem Amt für Umwelt und Energie Basel unterstützt sowie von mehreren Stiftungen, ist jedoch nicht staatlich unterstützt. Ginas Projekt Edibâle ist Teil von UAB, genau wie die Markthalle, foodsharing, Squadra Violi und viele andere, vom Gartenprojekt über Gemeinschaftsküchen zu Anti-Food-Waste-Initiativen. Wer sich fürs Gärtnern und Nachhaltigkeit interessiert, findet hier zahlreiche Projekte zum mitmachen.
Essbare, vernetzte Stadt
Es ist für Gina nie infrage gekommen, irgendwo auf dem Land ein Projekt zu starten, wie es bei anderen Permakulturist*innen oft üblich ist. Am städtischen Umfeld schätzt sie besonders die kleinräumige soziale Vernetzung unter Lebensmittelproduzierenden und -verarbeitenden. Ein weiteres Argument ist die Verfügbarkeit von Bau- und Verbrauchsmaterial – alles ist irgendwo vorhanden. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand im Umfeld ein Dörrgerät ausleihen kann, ist sehr hoch. Und was sie selbst nicht mehr braucht, gibt sie gerne an andere weiter. Manchmal findet man auch Dinge, die man gar nicht gesucht hat, in Ginas Fall mehrere alte Badewannen, die sie zu Beeten oder einem Teich umfunktionierte.
Heute ist bei Gina Erntetag für die Markthalle-Bestellungen. Basilikum, Dost, Knopfkraut, Vogelmiere, Schafgarbe und vieles mehr ist an diesem Tag im Wildsalat (mehr dazu unten) vertreten. Die Hälfte der Kräuter kenne ich nicht, es sind Gewächse, die oft unbeachtet am Strassenrand wachsen. Manchmal ändert die Zusammensetzung des Salates wöchentlich, so viel Verschiedenes wächst an den Standorten der Edibâle-Beeten. Geerntet werden Blüten, Blätter, Knospen, Stiele oder gar Wurzeln, sofern essbar und schmackhaft. Die Pflanzen beschäftigen Gina das ganze Jahr hindurch: wenn sie nicht jätet und erntet, dann plant sie Kurse oder die Umgestaltung von Flächen. Auch wenn sie von ediBâle noch nicht leben kann: Ihr Alltag ist das ganze Jahr hindurch von dem Projekt und der zugrunde liegenden Vision geprägt.
In die Erde, fertig, los!
Die Gartensaison ist in vollem Gange. Für alle, die noch neu starten wollen oder darauf warten, die Setzlinge von der warmen Wohnung raus auf den Balkon oder Garten zu setzen hat Gina noch ein paar Tipps:
1. Überlege, was dich zum Pflanzenanbau antreibt und wie viel Energie du eingeben magst und kannst: Möchtest du ... ein buntes Blumenmeer, um ab und zu Sträusse daraus zu binden? Lebensraum für Kleinlebewesen schaffen? Regelmässig Gemüse ernten? Einfach etwas Wachsendes im Verlauf der Jahreszeit beobachten? Eine grobe Planung hilft, die richtigen Plätze und Pflanzen auszuwählen, rechne aber auch damit, Änderungen geschehen zu lassen. Ginas Einstellung: so undogmatisch sein wie möglich, aber eine Vorstellung vom Ganzen zu haben.
2. Gutes Substrat – also die Erde in der die Pflanzen stehen - ist essentiell. Wichtig ist, dass genügend dauerhaft strukturgebendes Material enthalten ist und – aus ökologischen Gründen – kein Torf verwendet wurde. Passende Mischungen findest du meist im Fachhandel und zwar unter dem Namen «Kübelpflanzenerde» oder «Trogerde». Die im Super- und Baumarkt erhältlichen «Gemüse-, Kräuter- oder Universalerde» taugen leider oft nur für eine Saison (fallen in sich zusammen) und sind teilweise mit Trauermücken belastet. Eine Mischung aus Landerde, Sand, Blähton, Komposterde und etwas Material wie Blätter oder Häcksel hält das Substrat dauerhaft durchlässig und nahrhaft. Kompost findet man in Basel an diversen Kompostplätzen oder du produzierst ihn mithilfe der Kompostberatung gleich selbst.
3. Wenn du Töpfe verwendest, dann bitte mit Löchern, damit das Wasser unten abfliessen kann. Ansonsten staut sich die Feuchtigkeit und die Wurzeln faulen – egal ob Gemüse, Zimmerpflanze oder Kraut.
Und wenn man keinen Garten hat? Auch auf einem Balkon lässt sich so einiges anpflanzen, Projekte wie Urban Roots sind sogar eigens darauf ausgelegt. Zusätzlich gibt es in der Stadt Basel einige Gemeinschaftsgärten wie beispielsweise im Landhof oder im Generationengarten am Hafen, wo man sich einfach den anderen Gärtnernden anschliessen kann. Und auch wenn man Glück haben muss, um so eine eigene Gartenfläche wie sie Gina hat zu finden: Augen und Ohren offen halten ist immer eine Option. Sich mit anderen (zum Beispiel Nachbarn, Arbeitskolleg*innen) zusammentun und nach potenziellen Flächen fragen. Sich einem der vielen offenen Projekte bei UAB anschliessen.
Gärtnern hat auch einen therapeutischen Effekt: umgraben, wässern, pflegen und den Pflanzen beim Wachsen zusehen hat etwas Meditatives an sich. Und besonders jetzt, wo alles etwas ungewiss ist, ist so ein Beet, Topf oder Garten in der Stadt ein Fixpunkt im Alltag. Wenn dann noch Bienen summen und Vögel zwitschern, so wie hier im Kleinbasel, ist Urban Gardening auch Erholung pur.
Wer Ginas Wildsalat probieren möchte, findet ihn hier:
Slow-food für Schnelle
von
Gina Honauer, für 4 Personen
- Reis, Buchweizen, Couscous oder ähnliches
- Wilder Salat von Edibâle
- (Baum)nussöl, ggf. etwas Balsamico, Salz und Pfeffer
- optional: Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne und Nüsse
Reis / Goldhirse / Buchweizen oder ähnliches gemäss Anleitung kochen in der Zwischenzeit eine Hand voll Wilder Salat waschen und mit einer Küchenschere etwas klein schneiden mit einem feinen Nussöl* und Salz unter den frisch gekochten Reis o.ä. mischen Nach Belieben mit einer handvoll gerösteter Kerne/Nüssen ergänzen
Variante für noch schnellere: die leicht zerkleinerten Blätter auf eine, mit Butter bzw. Nussmus beschmierte, Brotscheibe legen (zuvor evtl. leicht salzen) → geniessen
*Olivenöl ginge auch, lässt jedoch den Wilden Salat bitterer schmecken.
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Zur Autorin: Eliane Hofstetter arbeitet im Kommunikationsteam der Markthalle.