Das neue Asylzentrum im Basler Erlenmatt-Quartier hat für Kritik gesorgt. Laut BaZ sorgen sich Anwohner*innen, da nun doch nicht nur wie angekündigt ukrainische Geflüchtete, sondern auch unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) dort einziehen sollen. Die SVP bringt diese Gruppe mit Kriminalität in Verbindung, da statistisch die meisten Straftaten von jungen Männern begangen werden. Laut dem Kriminologen Robert Agnew fördern Belastungen wie Perspektivlosigkeit und das Fehlen positiver Impulse die Gewaltbereitschaft. Im Erlenmatt-Asylzentrum sollen Sozialpädagog*innen rund um die Uhr anwesend sein, da es um die Betreuung von Minderjährigen geht.

Haben junge Geflüchtete in der Schweiz genug Perspektiven?

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Franziska Zambach
Franziska Zambach
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Karl Linder
07. Juni 2023 um 21:55

Ausbildung – Firmen – Perspektiven

Wir haben hier eigentlich gute Voraussetzungen mit der Berufslehre, die es ermöglicht, auch Leuten mit weniger guten Schulkenntnissen eine gute Startposition zu ermöglichen. Und Integration ist primär Fuss fassen im Berufsleben, nicht 08/15-Rhetorik der Politik, plus Landessprache erlernen, Arbeitsethos annehmen, um seine Existenz aufzubauen.

Dafür braucht es auch Firmen (kleine, mittlere, grosse), welche sich Zeit nehmen, Leute im Unternehmen zu integrieren und ihnen Chancen zu geben, sich zu entwickeln. Das bedarf Engagement und auch etwas Verständnis von Verwaltung und Politik. Wir haben an der Gewerbeschule viele verkürzte Anlehren und auch zusätzlichen Support für jene, die mit Sprache und anderen Fächern Mühe haben.

Was die Politik/Verwaltung machen kann: Keine Kosten für Arbeitsbewilligung für die Firmen, welche einem Flüchtling mit Status F (vorläufig aufgenommen) Perspektiven bieten wollen. Dann steigt die Chance, dass Leute von Beginn weg auf die richtige Spur kommen.

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Johannes Sieber
Grossrat GLP

Es braucht politischen Willen

Die berufliche und gesellschaftliche Integration junger Menschen aus dem Asylbereich muss weiter intensiviert werden. Die Ansprüche entwickeln sich und es müssen auch individuelle Lösungen möglich sein. Ämter brauchen Flexibilität für pragmatisches Vorgehen und wir als Gesellschaft den politischen Willen dazu, jungen Menschen Perspektiven zu schaffen.

Nina Vladović HEKS
Nina Vladović
Fachstelle Inklusion HEKS, angefragt von Bajour

Sensibilität der Gesellschaft hilft

Die Perspektive von Geflüchteten ist oft auch mit dem Aufenthaltsstatus verbunden. Wer den Status B hat und als Flüchtling anerkannt ist, hat zumindest formal bessere Voraussetzungen. Personen mit diesem Status dürfen arbeiten und haben Anspruch auf reguläre Sozialhilfe.

Schwieriger sind die Bedingungen für Personen mit Status F oder «vorläufiger Aufnahme». Diese irreführende Bezeichnung stellt ein bedeutendes Hindernis für die berufliche Integration dar, weil die angebliche Vorläufigkeit auf potenzielle Arbeitgeber:innen abschreckend wirken kann. In der Regel bleiben die meisten dieser Personen längerfristig in der Schweiz, zum Beispiel weil in ihrem Herkunftsland Krieg herrscht. Zudem erhalten vorläufig Aufgenommene nur eine reduzierte Sozialhilfe, was ihre Aussicht auf gesellschaftliche Teilhabe stark einschränkt.

Das Gleiche gilt für Schutzstatus S, der erstmals an Geflüchtete aus dem Ukrainekrieg vergeben wurde. Auch sie haben nur Anspruch auf reduzierte Sozialhilfe. Ausserdem wird bei diesem Status offiziell von einer baldigen Rückkehr ausgegangen, was sich logischerweise einschränkend auf die Perspektive auswirkt. In anderen Bereichen haben Personen mit Schutzstatus S mehr Rechte als vorläufig Aufgenommene, wie etwa beim Familiennachzug.

Die Rechte, die sich aus dem Aufenthaltsstatus ergeben, sind von grosser Bedeutung. Wichtig für die Perspektiven der Geflüchteten ist aber auch die Offenheit der Gesellschaft. Die Bevölkerung in der Schweiz ist den Geflüchteten aus der Ukraine mit grosser Offenheit begegnet und viele Gastfamilien haben diesen Menschen die Tür zu ihrem Zuhause geöffnet. Wenn diese Offenheit gegenüber allen Geflüchteten gezeigt würde, könnte dies die Perspektiven für alle stark verbessern.

Daniel Bach Staatssekretariat für Migration SEM
Daniel Bach
Informationschef Migrationsbehörde SEM, angefragt von Bajour

Wir können noch besser werden

Der Bund und die Kantone haben die Integrationsmassnahmen in den letzten Jahren intensiviert. Im Rahmen der Integrationsagenda Schweiz wird die berufliche und gesellschaftliche Integration junger Menschen aus dem Asylbereich gezielt gefördert. Zum Beispiel mit der Integrationsvorlehre, die vielen Jugendlichen einen Einstieg in eine Berufslehre ermöglicht. Aber klar: Man kann immer noch besser werden, daran arbeiten wir.

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Edibe Gölgeli
Grossrätin SP BS

UMA sind in erster Linie Kinder und nicht Flüchtlinge

Ob ukrainische Geflüchtete oder unbegleitete, minderjährige Asylsuchende (UMA), beide Gruppen brauchen Schutz. Flucht ist weder männlich noch weiblich – sondern menschlich. Wie jeder Staat ist die Schweiz verpflichtet, unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden einen besonderen Schutz zukommen zu lassen. Die Kantone sind für die Unterbringung und Betreuung zuständig. Leider ist die Handhabung der Kantone unterschiedlich.

Es ist sehr wichtig, dass UMA Unterkunft, Betreuung (Beistand) und Bildungsmöglichkeiten kriegen. Ein Schulbesuch bedeutet für UMA die Rückgewinnung einer Normalität und eines strukturierten Alltags, der während der Flucht gänzlich verloren gegangen ist.

So stellen wir sicher, dass Kinder und Jugendliche schneller integriert werden und Deutsch lernen und Strukturen kriegen.

terre des hommes


Jugendliche mit Fluchthintergrund in der Schweiz sind mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Häufig geht es bei den Menschen mit Fluchthintergrund auch um psychosoziale Themen wie Isolation, Orientierungslosigkeit, konkrete organisatorische Herausforderungen in einem neuen Land oder Konfrontation mit Vorurteilen und Ausgrenzung. Im Projekt "MePower" von terre des hommes schweiz lernen sie ihre Stärken und Handlungsmöglichkeiten kennen und haben Gelegenheit, sich zu vernetzen. Damit reagieren wir auf das mangelnde Angebot an psychosozialer Unterstützung für junge Migrant*innen. Psychosoziale Unterstützung fördert nämlich auch eine rasche Integration der Jugendlichen mit Fluchthintergrund. Wir sind deshalb der Meinung, dass es mehr psychosoziale Angebote und Perspektiven für junge Flüchtlinge braucht!

Joël Thüring
Joël Thüring
Grossrat SVP

Sie brauchen schnell Gewissheit

Geflüchtete brauchen rasch Gewissheit. Das europäische Asylchaos und der Fakt, dass unkontrolliert zu viele und erst noch die falschen Ausländer in die Schweiz kommen, ist ein riesiges Problem. Illegal Eingewanderte gehören daher rasch ausgeschafft, damit wir Schleppertum unattraktiv machen und denjenigen, die hier bleiben dürfen, mit Integrationsmassnahmen Perspektiven schaffen. Zur Wahrheit gehört aber, dass die Mehrheit illegal einwandert und keinen echten Bleibegrund hat. Die kommenden Monate werden das Asylchaos und die Perspektivlosigkeit verschärfen.

Ueli Keller
07. Juni 2023 um 15:19

Ob es wohl Schule bringen kann?

Schule, so wie sie die Bildung organisiert, vermag vielen Menschen, die in der Schweiz geboren sind, keine Perspektive zu eröffnen. Sie kann auch für Flüchtlinge zum Problem werden, und nicht die Lösung sein.

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