Happy end is coming

Tim Fehlbaums neue Post-Apokalypse steckte lange in der Corona-Warteschlaufe. Jetzt kommt sein zweiter Film «Tides» endlich in die Schweizer Kinos.

Tim Fehlbaum, Regisseur
Optimistischer als man denkt: Tim Fehlbaum bei der Arbeit. (Bild: Gordon Timpen)

Der Basler Nachwuchs-Regisseur Tim Fehlbaum musste lange warten, bis sein zweiter Film «Tides» zum ersten Mal gezeigt werden konnte. Dieses Jahr an der Berlinale war die Weltpremiere. Am kommenden Donnerstag, 26. August 2021, kommt der Science-Fiction-Streifen nun in die Schweizer Kinos. Sieht so aus, als würde der Film ein Erfolg – er ist bereits in sechs Kategorien für den deutschen Filmpreis nominiert. Vergangenes Jahr kam Fehlbaum ans Gässli Film Festival und gab Olivier Joliat einen Einblick in seinen Film, der damals noch nicht fertig war.

Da sitzt er wieder. Wie vor drei Jahren: gleicher Rhein, gleiche Buvette, gleicher Journalist, gleiches Thema: sein lang erwarteter zweiter Film. Um den zu drehen, ist Tim Fehlbaum, 37 Jahre alt, langes, rotblondes Haar, 2017 nach Basel zurückgekommen. Jetzt ist der Film fertig und Fehlbaum Ehrengast am diesjährigen Gässli Film Festival. Doch beginnen wir am Anfang.

Noch keine 20 Jahre, zog der Basler in die Welt hinaus, um den grossen Film zu lernen. Und frisch ab der Münchner Filmschule avancierte er mit seinem ersten Kinofilm 2011 gleich zum Shooting Star des deutschsprachigen Kinos.

In «Hell» kämpfen zwei Schwestern in einer von der Sonne verbrannten Welt ums Überleben. Fehlbaum setzt mit den grell überbelichteten Aussenszenen einen so simplen, wie stilvollen Endzeit-Look. «Hell» ist ein postapokalyptisches Sci-Fi-Szenario – doch im Gegensatz zu Genreverwandtem aus Übersee rückt die Geschichte bedrohlich nahe an menschliche Abgründe.

«Ich wollte unbedingt old-school-mässig drehen. Mit kleinen Raumschiffen vor von hinten erleuchteten Fotowänden und so.»
Tim Fehlbaum

«Ein Glücksfall für das deutsche Kino»

Fehlbaums Erstwerk schlug ziemlich ein: «Hell» wurde gleich in sechs Kategorien für den Deutschen Filmpreis nominiert, die «Zeit» pries den damals 29-jährigen Jungregisseur als «ein Glücksfall für das deutsche Kino». Fehlbaum wurde derart mit Lob und Preisen überhäuft, dass selbst Hollywood Interesse am Award Winning Director bekam. Eine amerikanische Top Agentur nahm ihn unter Vertrag und schickte im Wochentakt Drehbücher. Gedreht wurde nichts.

«Ich war halt nicht schnell genug oder zögerte zu lange. Ausserdem sind in Hollywood zwar Unmengen an Drehbüchern im Umlauf, doch bei den wenigen guten, die mich interessierten, hatte ich leider keine Chance. Hinter denen sind dann andere Leute her», sagte Fehlbaum im Interview mit der «TagesWoche» vor drei Jahren. 

Also schrieb der Filmer wieder selbst ein Drehbuch und entschied sich, seinen zweiten Film in Basel umzusetzen. Nicht nur, weil Fehlbaum von der regionalen Filmförderung 400'000 Franken bekommen hatte – ein kleiner Beitrag bei einem 11 Millionen-Budget. Fehlbaum kam vor allem wegen der Leute: Der Regisseur spürte in Basel eine Aufbruchstimmung im jungen Film. Er freute sich, hier seinen zweiten Film zu drehen, endlich. 

Tim Fehlbaum, Tides
Sieht aus wie Di Caprio, ist aber Fehlbaums Sci-Fi-Heldin, gespielt von Nora Arnezeder. (Bild: Gordon Timpen)

Baby machen: schwierig

Die Storyline von Fehlbaums Zweitling geht so: Die Erde ist zerstört, die Elite der Menschheit lebt längst auf einem anderen Planeten. Doch im Exil kommt es über die Generationen zu Problemen mit der Fruchtbarkeit. Darum kehrt eine erste Mission auf die Erde zurück, um zu rekognoszieren, ob es möglich ist, fürs Kinder machen zurückzukommen. 

Doch dann passiert, was passieren muss: Die Elitetruppe trifft Überlebende an. 

Klingt – wie «Hell» – nach Science Fiction, nach Endzeit. Und: nach Nervenkitzel. Der Regisseur selbst sagt: «Letztlich ist es ein Familiendrama, sehr persönlich. Aber es schwingen auch ewig aktuelle Gesellschaftsthemen mit wie Kolonialismus und Rassismus.» 

«Allein hätte ich für die Masterclass zu wenig Interessantes zu bieten. Ich habe ja nur einen Kinofilm draussen!»
Tim Fehlbaum über seine Rolle als Mentor.

Als Studio dienten die Basler Messehallen rund um das Loch. Alles lief bestens. Doch nun, drei Jahre später, wo endlich alles im Kasten ist, steckt die Filmbranche in der grössten Krise aller Zeiten. Der Kinostart ist zwar auf Anfang nächstes Jahr geplant. Aber man weiss nicht, wie das weitergeht mit der Kinobranche und Corona. «Wir müssen erstmal beobachten, wie sich das entwickelt,» sagt Fehlbaum.

Ach, dieses Netflix

Aus der Ruhe bringt die Krise ihn nicht: «Ich kann es nicht ändern. Die Kino-Krise trifft alle Filmproduktionen, sogar die grössten.» Am meisten Sorge bereite ihm momentan, dass selbst riesige Blockbuster-Produktionen von Disney wie «Mulan» nicht mal mehr im Kino gezeigt, sondern direkt auf Video released werden. «Die Entwicklung gibt es schon länger, doch die jetzige Krise beschleunigt sie enorm: Alles verlagert sich immer mehr auf Video on Demand.» 

Fehlbaum ist nicht generell gegen Streamingdienste wie Netflix und co. Doch wenn nur noch für den Bildschirm produziert wird, wirkt sich das direkt auf das Filmschaffen aus: «Produktionen für die grosse Leinwand stellen andere Anforderungen an Bildbearbeitung, Sound Design oder auch die Computereffekte.»

Tim Fehlbaum, Film, Dreh
Ah, da ist er ja. Tim Fehlbaum während des Drehs. (Bild: Gordon Timpen)

Nolans Pappsoldaten findet er gut

Fehlbaum selbst ist ein Freund analoger Aufnahmen. Das Visuelle nennt er seine Stärke als Regisseur. «Da gehe ich keine Kompromisse ein.» Auch im neuen Film verzichtete er, wo möglich, auf Computereffekte. «Ich wollte unbedingt old-school-mässig mit Modellen drehen, mit kleinen Raumschiffen vor von hinten erleuchteten Fotowänden und so.» Die Rückkehr zu dieser Technik habe er dank Christopher Nolan entdeckt, der für den historischen Kriegsfilm «Dunkirk» unzählige Pappsoldaten aufstellen liess, damit es realistischer wirkt. «Die Ästhetik gefällt mir besser als die von Computer generierten Bilder. Und die Zuschauer haben glaub auch eine Sensibilität für «echte» oder digitale Welten entwickelt.» 

Aber eben, diesen Unterschied spürt man nur auf Grossleinwand so richtig. Kommt noch das Emotionale hinzu: «Die grosse Leinwand, dass man extra ins Kino geht, dass man den Film auch als gemeinschaftliches Erlebnis, als Event betrachtet: Das hat eine andere Qualität, als Filme daheim am Laptop gucken.»

Fang mal mit einem Kurzfilm an

Genau darum gehts auch am Gässli Film Festival, das heute startet. Fehlbaum kommt ins Schwärmen: «Unabhängig von Corona ist so eine Plattform gerade für junge Filmemacher*innen eine grossartige Idee. Persönlich freut es mich, gibt es in Basel ein Festival, wo man seine Filme zeigen kann, wo es einen Austausch gibt. Das gab es zu meiner Zeit als jugendlicher Filmliebhaber leider nicht.»

Die neuen Festivalleiterinnen Marion Nyffenegger (25) und Laura Frei (24) habe er erst kürzlich persönlich kennengelernt. «Das sind Leute mit derselben Passion für Film. Die finde ich wahnsinnig unterstützenswert.» Das Festival kennt er aber schon länger über Gründer Giacun Caduff. Darum habe er auch sofort zugesagt, als die Anfrage kam. Als Ehrengast soll Fehlbaum in einer so genannten «Masterclass» jungen Filmschaffenden etwas von seinem Know-how mitgeben. 

Filmen müssen wir noch üben, Giphys können wir schon.

Aus Basler Sicht gibt es für dieses Festival kaum einen besseren Ehrengast, um der wachsenden Schar junger Filmschaffender zu zeigen, dass man nicht nur mit ernsten Dokumentarfilmen – dem klassischen Genre der eingesessenen Basler Filmszene – international Respekt und Aufmerksamkeit erregen kann. 

«Das machen doch die Amis»

Doch Fehlbaum relativiert: «Allein hätte ich für die Masterclasses zu wenig Interessantes zu bieten. Ich habe ja nur einen Kinofilm draussen!» Fehlbaum kokettiert nicht, sondern unterstreicht damit den Respekt für seinen Produzenten Thomas Wöbke, den er als zweiten Ehrengast ans Festival gelotst hat. «Der schafft seit den 90er-Jahren den Spagat zwischen kommerziell erfolgreichen aber auch künstlerisch anspruchsvollen Filmen und kann auf eine ganz andere Filmografie blicken.»

Gleich drei Spielfilme von Wöbke werden diese Woche beim Festival gezeigt. Fehlbaum konzentriert sich dagegen auf seine alten Kurzfilme. Dasselbe rät er dem Nachwuchs: «Hat man eine bestechende Idee, kann man so mit kleinem Budget optimal zeigen, was man wie erzählen will – und schlussendlich Produzent*innen und Schauspieler*innen überzeugen.»

«Hell» ist auch so zustande gekommen, sagt Fehlbaum: «Erst hörte ich überall: Was willst du in der Schweiz oder Deutschland einen postapokalyptischen Film drehen. Das machen doch die Amis! Dann hab ich einen Kurzfilm gemacht, ein proof of concept. So soll das aussehen und so soll sich das anfühlen.» Und so kam es zur ersten Zusammenarbeit mit Wöbke und dem Meister monumentaler Leinwand-Weltuntergänge, Roland Emmerich.

«Filme machen wird jetzt wieder lokaler. Die Crews jetten nicht mehr hier- und dorthin für Drehs. Man sucht wieder mehr die regionalen Eigenheiten.»
Tim Fehlbaum

Emmerich meinte kürzlich in einem Interview, dass er mit seinen opulenten Special-Effekt-Orgien die Menschheit aufrütteln will, mehr Sorge zu sich und der Umwelt zu tragen. In Fehlbaums postapokalyptischen Dramen spürt man die unglaubliche Stärke der Hoffnung. Eine Message will der Regisseur mit seinen Filmen allerdings nicht verbreiten: «Ich mag es, wenn das Publikum, nach einem intensiven Eintauchen in eine andere Welt, doch noch mit einem positiven Gefühl nach Hause geht.» 

Das will er auch den jungen Filmschaffenden mitgeben: «Ich habe das Gefühl, Filme machen wird jetzt wieder lokaler. Dass die Crews nicht mehr hier- und dorthin jetten für Drehs. Man sucht wieder mehr die regionalen Eigenheiten. Vielleicht wird Europa dadurch für Film auch wieder wichtiger als Standort.»

***

Gässli Film Festival, 24. bis 30. August. Bajour verlost am Mittwoch, Donnerstag und Freitag Tickets. Für mehr Infos: gratis Basel Briefing abonnieren.

Die Masterclass mit Tim Fehlbaum und Thomas Wöbke findet am 29. August um 18 Uhr im Stadtkino Basel statt. Hier reservieren.

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Olivier Joliat

Bei Bajour als: Redaktor und Mischler

Hier weil: gute Menschen, gute Sache & im Chaos liegt der Charme

Davor: Journalist, Musiker, Buch- und Filmemacher, Surprise Strassensport, Velokurier

Kann: ernsthaft dumm Grinsen

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Liebt an Basel: unglaublich unterschiedliche Kultur und Kulturen in einem Dorf

Vermisst in Basel: die Berge und das Meer

Interessensbindung: Mitglied beim RFV Basel, bei balimage & bajour, Schlagzeuger bei den Lombego Surfers

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