Häuserkampf im Matthäus
Kann die Gentrifizierung aufgehalten werden? Im Matthäusquartier kämpft eine Handvoll Menschen um günstigen Wohnraum und den Erhalt eines Mikrokosmos.
Ein dunkelrotes Sofa mit goldenen Verzierungen steht neben dem Hauseingang. Daneben ist ein Fahrrad gegen ein Hochbeet gelehnt. Sträucher wuchern und über dem Ganzen flattert eine übrig gebliebene Fahne für ein Ja zur Konzerninitiative. So präsentiert sich die Liegenschaft im Matthäusquartier, Ecke Müllheimerstrasse / Markgräflerstrasse, um die es hier gehen soll – noch. Denn lange wird das Gebäude nicht mehr stehen.
Heute wohnen 20 Menschen in der Liegenschaft, verteilt auf fünf Wohngemeinschaften. Die meisten von ihnen müssen diese Tage ausziehen. Ihr Vertrag endet am 31. März. Bis Ende Juni müssen auch die letzten zwei Wohngemeinschaften raus.
Die Bewohner*innen gehen nicht freiwillig. Ayse zum Beispiel. Sie ist enttäuscht. Seit einem Jahr wohnt sie an der Müllheimerstrasse. Für sie ist die WG nicht nur Wohnort, sondern eine Gemeinschaft. «Für mich war es mehr als nur Wohnen. Ich habe hier Anschluss gefunden.» Oder Carmen. Die 25-jährige Studentin, die im Haus an der Markgräflerstrasse wohnt, erzählt vom gesellschaftlichen Beisammensein unter den drei Wohngemeinschaften im Haus: «Wenn du nach 21 Uhr nach Hause kommst und noch nix gegessen hast, gibt’s immer irgendwo noch etwas.»
Dieses Zuhause wollen die Mieter*innen nicht aufgeben. Sie haben mehrere Einsprachen gegen das Baugesuch erhoben.
Halböffentliche Plätze gegen Isolation
Mit dem Abriss des Gebäudes geht auch ein Stück des Matthäusquartiers verloren. «Das ist ein Vorbote der Gentrifizierung im Quartier, die von da hinten kommt», sagt Eva* und zeigt mit dem Finger in Richtung des ehemaligen BASF-Areals, wo ebenfalls neue Wohnungen entstehen sollen.
Eva hat fünf Jahre an der Markgräflerstrasse gewohnt, ist jetzt aber schon seit einer Weile ausgezogen. Egal ist ihr das Haus trotzdem nicht. Wir sitzen auf dem dunkelroten Sofa auf dem Vorplatz. Es regnet in Strömen und wir konnten uns hier in den Schermen retten. «Ein älteres Paar machte hier jeweils Rast auf seinen Spaziergängen», erinnert sich Eva. Solche halböffentlichen Plätze seien wichtig für das Quartier. Etwa um Isolation zu vermindern, gerade in diesen Zeiten.
In der Ladenfläche des Hauses an der Müllheimerstrasse hat der Verein «Zur Bleibe» früher Mittagstische mit geflüchteten Menschen organisiert. Auf der anderen Strassenseite gibt es einen Verein für Fahrende und schräg gegenüber ist ein kurdischer Verein eingemietet.
Das Matthäus: Vom Arbeiter*innen- zum Trendquartier
Seit Jahrzehnten tobt in Basel ein Kampf um Sanierungen: Sind sie notwendig oder setzen Vermieter*innen sie als Vehikel für Mietpreiserhöhungen ein?
Erneuerungsbedarf bestehe durchaus, sagt Theres Wernli vom Stadtteilsekretariat Kleinbasel. Die Bausubstanz vieler Häuser im Matthäus sei schlecht und schlussendlich unterstehe jedes Quartier einem Wandel.
Das Matthäusquartier war ursprünglich ein Arbeiter*innenquartier: In den 90ern wurde das Kleinbasel noch «kleingeschrieben», erzählt Wernli. Man habe hauptsächlich von der Drogenszene, Schiessereien und Prostitution gelesen. Seit den Nullerjahren wurde das Matthäus aber immer mehr zum Trendquartier. Wo bisher das Kleingewerbe wirkte und Künstler*innen ihre Nischen fanden, belebten zunehmend die Kreativwirtschaft sowie die Club-Gastronomie die leeren Ladenlokale. Nun kommen auch immer mehr besser Verdienende. Das bringt Veränderung.
Was nützt der Wohnschutz in der Verfassung?
Die Bewohner*innen und die Nachbar*innen wehren sich gegen den Abriss. Sie argumentieren vor allem mit dem Wohnschutz, der seit 2018 in der Basler Verfassung verankert und kostengünstigen Wohnraum erhalten soll. Die Basler Bevölkerung hat das entsprechende Wohnraumfördergesetz letzten Herbst angenommen.
Neu gilt eine Bewilligungspflicht für Sanierungen. Sie soll langjährige Mieter*innen vor Mieterhöhungen nach Sanierungen und Abriss und nachträglichem Neubau schützen, wenn der Leerwohnungsbestand unter 1,5 Prozent sinkt. (aktuell liegt er bei 1 Prozent). Das Gesetz ist aber noch nicht in Kraft, da die dazugehörige Verordnung noch fehlt.
In der Beschwerde führen die Mieter*innen an, dass «im Vergleich zu anderen Wohnungen und im Quartier die Mieten ausgesprochen günstig» seien. Konkret: Für die Fünfzimmerwohnung bezahlt die WG 1'880 Franken, eine Dreizimmerwohnung kostet 830 Franken. Weiter heisst es in der Einsprache: «Für die Mieterinnen und Mieter, alle Künstlerinnen und Künstler, in Ausbildung oder sonst in prekären Verhältnissen lebend, gibt es in Basel nicht viel alternativen Wohnraum.»
Die Mieter*innen gehen davon aus, dass sich die Mieten wohl mindestens verdoppeln oder verdreifachen werden. Wie hoch die Mieten im Neubau wirklich werden, ist noch unklar. Gemäss Baugesuch sind unter anderem 3-Zimmer-Wohnungen mit 200m2 geplant. Die Visualisierungen zeigen einen sechsstöckigen modernen Neubau mit glänzender Fassade, grossen Fensterfronten und einem abgesperrtem Vorplatz.
Die Einsprachen sind noch hängig. Es stellt sich also die Frage: Greift in solchen Fällen der verfassungsrechtliche Wohnschutz, auf den sich die Mieter*innen berufen?
Lukas Ott, Leiter für Kantons- und Stadtentwicklung der Stadt Basel hat darauf keine direkte Antwort. Er verweist lediglich darauf, dass der Verfassungsartikel erst auf Gesetzes- und Verordnungsebene konkretisiert werden müsse.
Können der Wohnschutz in der Verfassung und der Volkswille bis dann also einfach ignoriert werden? Nein. Diesbezüglich sind sich sogar Hauseigentümerverband (HEV) und Mieter*innenverband (MV) einig. «Man sollte sich schon an diesem Volksentscheid orientieren», sagt der Geschäftsführer des Basler Hauseigentümerverbandes Andreas Zappalà. Die Geschäftsleiterin des Mieter*innenverbandes Basel, Patrizia Bernasconi, sieht das gleich, und wehrt sich grundsätzlich gegen Abrisse von Häusern: «Man kann auch sanfte Sanierungen machen und muss nicht immer mit der grossen Kelle kommen.»
«Damit das Haus noch länger hätte bestehen können, hätte man vor 20 Jahren etwas machen müssen.»Gabi, Bewohner einer WG an der Müllheimerstrasse
In der WG an der Müllheimerstrasse stehen die Umzugskisten schon auf dem Gang und einige Zimmer sind bereits leergeräumt. Die Veranda im ersten Stock sieht verlassen aus. Es reihen sich Hochbeete aneinander. Blühen tut darin aber nichts mehr. Auch die drei Bäume im Hinterhof sollen gefällt werden. Doch hätte dieser Abriss und die Entwurzelung der Anwohner*innen (und der Bäume) überhaupt verhindert werden können?
Gabi, der vor sieben Jahren in die WG an der Müllheimerstrasse eingezogen ist, sagt: «Damit das Haus noch länger hätte bestehen können, hätte man vor 20 Jahren etwas machen müssen.» Doch die Eigentümer*innen, erst eine Erbengemeinschaft, dann einer der Erben, hätten die Instandhaltung des Hauses vernachlässigt. Das berichten mehrere Menschen, die über die Jahre dort gewohnt haben. Ayse erinnert sich an den ersten Lockdown, als ihre WG für eine ganze Woche ohne warmes Wasser auskommen musste. «Die Handwerker haben gesagt, dass der Boiler das letzte Mal Ende der 90er kontrolliert wurde.»
«Es ist schade, dass man das Haus so verfallen lässt»
Olivia, die Hauptmieterin einer WG an der Markgräflerstrasse, erzählt zwar wie die neue Gasheizung im einen Zimmer schnell repariert wurde. Fügt aber an, dass der Kaminfeger sagte, die Heizungsrohre des Holzofens seien so alt, dass da zu viel CO2 austritt. «Es ist schade, dass man das Haus so verfallen lässt», kritisiert sie.
Auch Eva erzählt wie bei Instandhaltungen gespart wurde. So stellte sich die Verwaltung bei einer kaputten Herdplatte auf den Standpunkt, dass der Vertrag ja sowieso befristet sei und es sich daher nicht lohne, diese zu ersetzen.
«Manchmal wurde uns eine Woche vor Ende des Vertrages gesagt, dass wir doch noch bleiben können»Gabi, Bewohner einer WG an der Müllheimerstrasse
Das andere Problem, mit dem die Bewohner*innen jahrelang zu kämpfen hatten, sind die befristeten Verträge. Seit mindestens fünf Jahren bekamen die WGs nur noch befristete Verträge, die immer nur kurzfristig verlängert wurden. Bajour liegen zwei Verträge vor. «Manchmal wurde uns eine Woche vor Ende des Vertrages gesagt, dass wir doch noch bleiben können», erzählt Gabi.
Für Eva zeigt sich in dieser Praxis ein Machtverhältnis: «Die Leute, die da wohnen sind dem ausgeliefert. Denn sie haben ja das existentielle Bedürfnis irgendwo zu wohnen.» Auf dem Basler Wohnungsmarkt gäbe es auch kaum noch so billigen Wohnraum.
Auch Carmen ist auf die tiefe Miete angewiesen. Die Studentin wohnt seit einem Monat an der Markgräflerstrasse. Ihre WG darf noch bis im Juni bleiben. «Ich habe ein Zimmer gesucht, das nicht mehr als 450 Franken kostet. Das findet man fast nur mit befristeten Verträgen», sagt sie.
Sogenannte Kettenverträge, also befristete Verträge, die immer wieder verlängert werden, sind aber nicht unproblematisch. Das Bundesgericht lässt Kettenverträge im Mietrecht zwar grundsätzlich zu, nicht aber, wenn damit der Kündigungsschutz umgangen werden soll. Solche Verträge wären dann anfechtbar, das sagt auch der HEV-Geschäftsführer Andrea Zapplà. Zulässig seien nur befristete Verträge, welche bis zum Erhalt der Baubewilligung oder bis zum tatsächlichen Baubeginn abgeschlossen würden. Ist ein Bauvorhaben noch unkonkret, sagt Zappalà, sollte man von befristeten Verträgen absehen: «In solchen Fällen raten wir unseren Mitgliedern davon ab.»
Beim Gebäude an der Müllheimer- und Markgräflerstrasse lag kein konkretes Bauvorhaben vor. Daniel Hofer vom Bau- und Verkehrsdepartement bestätigt, dass das erste Baugesuch erst am 28. September 2020 eingereicht wurde.
Der Eigentümer, eine Privatperson, war für Bajour nicht erreichbar. Wir haben auch die Verwaltung Bächtiger Liwoba Immobilien mit den Vorwürfen der Mieter*innen konfrontiert. Sie wollten unsere Anfrage weder an den Eigentümer weiterleiten, noch selber dazu Stellung nehmen.
Ein einsamer Kampf
Die Einsprache gegen das Baugesuch ist zwar noch hängig, doch in den WGs glaubt kaum jemand daran, den Abriss noch verhindern zu können. Ayse stört sich vor allem daran, dass trotz Wohnungsknappheit in Basel, die Wohnungen leer stehen sollen. Denn bis die Bauarbeiten beginnen, wird es noch eine Weile dauern.
Auch Eva glaubt nicht mehr an eine Rettung des Gebäudes. Trotzdem sei es ihr wichtig, dass das Haus nicht einfach so verschwindet. Allerdings ist es ein einsamer Kampf, die WG-Mitglieder stehen ziemlich alleine da.
Durch die immer befristeten Verträge seien auch nur Wenige übrig geblieben, die mit dem Haus emotional verbunden seien und bereit seien, sich dafür einzusetzen. Ein Erfolg der Eigentümer*innen, sagt Eva. «Die meisten, die in so günstigem Wohnraum leben, stecken schon genug in der Scheisse in ihrem Alltag.» Sie würden sowas dann einfach hinnehmen, weil sie keine Kapazitäten hätten, sich zu wehren. Eva sieht diesen Kampf denn auch nur noch als letztes Aufbäumen: «Wenigstens können wir so den Eigentümer*innen noch ein wenig Sand ins Getriebe streuen.»
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*Name geändert