«Steckt den Stutz ins Wohnsystem!»
Der knappe Wohnraum heizt das Drogenproblem im Kleinbasel zusätzlich an. Und die Wohneinrichtungen sollten mehr miteinander kommunizieren. Erkenntnisse des vierten Drogenstammtisches.
«Behoben ist gar nichts.» So lautete der Tenor der Anwohner*innen am vierten Drogenstammtisch, den Bajour gemeinsam mit dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel im Rheinfelderhof durchgeführt hat. Vor über einem Jahr hatte sich die Drogenproblematik im Kleinbasel derart verschärft, dass die Bevölkerung mittels Petition einen Hilfeschrei absetzte. Viel ist in der Zwischenzeit passiert, ein ganzer Massnahmenkatalog wurde verabschiedet. Dennoch treibt das Thema die Bevölkerung weiterhin um, wie an diesem nassen Dienstagabend rasch klar wurde. Die Menschen klagten über eine Verschiebung der Drogenszene, weg vom Matthäuskirchplatz und der Dreirosenanlage hin zum Claraplatz oder zu Quartierstrassen wie dem Claragraben oder der Kandererstrasse. Der Saal war zum Bersten voll und es herrschte Aufbruchsstimmung. Moderiert wurde der Anlass von Martina Rutschmann.
Nachdem am Drogenstammtisch die letzten drei Male der Fokus auf Repression lag, sollte dieses Mal der Säule Schadensminderung Aufmerksamkeit geschenkt werden; auch Experten für Therapie sassen an den langen Tischen im hell beleuchteten Saal. Das Ziel auch dieses Abends: die Stimmung im Quartier zu verbessern, indem Suchtbetroffene von der Strasse geholt werden. Nur so würde es im Kleinbasel wieder ruhiger werden. Das Bundesamt für Gesundheit versteht unter Schadensminderungen Massnahmen, die den Gesundheitszustand der Betroffenen stabilisieren, ihre soziale Integration erhalten und die Reintegration erleichtern. Dazu gehört auch das Wohnen, welches an diesem Abend viel Raum einnahm.
«Wir sind voll»
Anwesende von Einrichtungen wie dem Haus Elim, der Stiftung Wohnhilfe, dem Hostel Volta oder Hestia berichteten allesamt von einer hohen Auslastung: «Wir sind voll», sagt beispielsweise Basta-Grossrat und Geschäftsleiter der Stiftung Wohnhilfe, Oliver Bolliger. Das wurde deutlich: Der Bedarf ist grösser als das Angebot. Die Institutionen sind händeringend auf der Suche nach neuem Wohnraum – und konkurrenzieren sich zum Teil gegenseitig.
«Wer keine Freizeit hat, lebt auf dem Claraplatz.»Yann Camüs, Vertreter der Blauen Paula
Was also kann der Kanton machen, um die Situation der Anwohner*innen zu verbessern? SP-Regierungsrat Kaspar Sutter sagte als Vorsteher des Wirtschafts- und Sozialdepartements: «Wohnen ist essentiell für das Wohlbefinden der Menschen.» Es sei bereits viel gegangen, der Kanton versuche, bezahlbaren Wohnraum zu fördern, doch durch die prekäre Wohnsituation seien ihm Grenzen gesetzt. Sprich: Der Wohnraum ist nun mal knapp. Als positives Beispiel nennt Sutter das Projekt «Housing First», mit welchem die Heilsarmee im Auftrag des Kantons Menschen nach langjähriger Obdachlosigkeit zu einer eigenen Wohnung verhilft. Also «erst Wohnen, dann das Leben in den Griff bekommen», wie der für das Projekt zuständige Thomas Frommherz erklärte. Auch Gelder für das Folgeprojekt Housing First Plus seien bereits gesprochen, doch das Angebot sei noch nicht umgesetzt. Die dafür benötigte Liegenschaft konnte noch nicht gefunden werden.
Sollte der Kanton mehr Liegenschaften kaufen? Und falls ja, «vielleicht nicht nur im Kleinbasel», wie Theres Wernli, Leiterin des Stadtteilsekretariats Kleinbasel, zu bedenken gab? Um eine bessere Durchmischung zu fördern?
«Ja», findet Yann Camüs, der als Vertreter der Blauen Paula, einem Gartenprojekt gegen Stigmatisierung, anwesend war, um die Wichtigkeit von Beschäftigung und Freizeit im Bereich der Schadensminderung für Suchtbetroffene zu betonen. Hierzu sagte er: «Wer keine Freizeit hat, lebt auf dem Claraplatz.» Zum Wohnraum meinte er lauthals: «Steckt den Stutz ins Wohnsystem!» Sutter konterte: «Der Kanton betreibt bereits eine aktive Bodenpolitik.» Und er verwies beispielsweise auf das ehemalige Hotel Balegra im Neubad, das ab kommendem Jahr von minderjährigen Asylsuchenden bewohnt wird.
«Erst Wohnen, dann das Leben in den Griff bekommen»Thomas Frommherz, Bereichsleitung Wohnbegleitung und Housing First bei der Heilsarmee
Bemängelt wurde im Publikum, dass Immobilienbesitzer*innen nicht anwesend waren an dem Abend, sind manche von ihnen doch Teil des Problems. So machte SP-Grossrätin Amina Trevisan auf die altbekannte Problematik der sogenannten Gammelhäuser – sie nennt diese allerdings lieber Problemliegenschaften – aufmerksam, deren Vermieter*innen oftmals horrende Preise für Zimmer verlangen, die weit über dem marktüblichen Wert liegen, und zwar auf Kosten sozial benachteiligter Menschen. Frommherz von der Heilsarmee forderte denn auch, dass die Politik aktiver auf diese Immobilienbesitzer*innen zugehen müsse, um das Problem zu lösen.
Das Problem ist also nicht nur zu wenig Wohnraum, sondern auch zu wenig Kommunikation unter den Wohneinrichtungen, wie sich zeigte. Diese sollten mehr miteinander reden – und zwar nicht nur via ihre Geschäftsleitungen, die sich in verschiedenen Fachgruppen über Leistungsaufträge mit dem GD austauschen, sondern auch via Basis. Dadurch könnten Synergien geknüpft werden und neue Lösungsansätze entstehen. Als erfolgreiche Plattform aus der Vergangenheit wurde Überleben (PÜB) genannt, die in den 1980er Jahren den Umgang mit der Drogenproblematik stark geprägt hatte. Sie war es, die damals die gesammelten Forderungen der Institutionen am Drogenstammtisch einbrachte. Zudem wäre eine neue kantonale Fachgruppe vorstellbar, eine, die Wohnen und Sucht zusammen denkt. Solche Fachgruppen bestehen heute bereits in den Bereichen Therapie, ambulantes Wohnen oder Jugend und Sucht.
«Der Elefant im Raum»
Chaim, der früher selbst unter einem Suchtproblem gelitten hat, gibt zu bedenken, dass «der Elefant im Raum» in dieser Diskussion «wieder nicht angesprochen» werde. Es werde wieder nur über Suchtbetroffene gesprochen, bei denen der Kontrollverlust schon gross sei. Die Menschen, die es seiner Meinung nach aber vor allem zu erreichen gelte, seien jene, die sich noch in den regulären Strukturen befänden. Mit der Betonung auf noch. «Es sind die, die heute arbeiten und in normalen Mietverhältnissen leben, die in zwei Jahren für die Bewohner*innen des Kleinbasels zum Problem werden.» Man müsse früher eingreifen.
«Es gibt kein Fairtrade-Koks, da könnte man genauso gut Blut trinken.»Suchtexperte Otto Schmid
Damit dürfte er dem ehemaligen Basler Drogendelegierten Thomas Kessler aus der Seele gesprochen haben. Denn: Dieser fordert schon seit Längerem auch aus diesem Grund eine regulierte Abgabe von Kokain an Freizeitkonsument*innen. Durch eine sorgfältige Regulierung, so ist Kessler überzeugt, könnte man die Wochenendkonsument*innen früher erfassen und ihnen einen regulierten Zugang geben. «Das wirkt präventiv gegen aufkommende Sucht, und der Mafia kann man das Geld entziehen.» Kessler wie auch Suchtexperte Otto Schmid finden, man sollte nicht immer betonen, wieso eine Kokain-Abgabe nicht funktionieren würde, sondern: «vorwärts schauen und die Sache zügig angehen.» Auch, weil wir eine gesellschaftliche Verantwortung hätten. Schmid sagt: «Es gibt kein Fairtrade-Koks, da könnte man genauso gut Blut trinken.»
Zurückhaltender in Bezug auf eine staatliche Kokain-Abgabe, wie es sie ohnehin noch in keinem Land gibt, äusserte sich Marc Vogel, Chefarzt im Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen an der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK). Er plädierte dafür, zuerst einen Substitutionsansatz für stark Suchtbetroffene zu untersuchen. Vom Kanton wurden der UPK kürzlich Gelder für eine Studie gesprochen, um Menschen für eine derartige Behandlung zu gewinnen, wie Bajour berichtete. «Denn nur eine Therapie, die Menschen erreicht, kann helfen.» Aber auch Vogel räumt ein, dass «wir die Menschen meist erst erreichen, wenn die Kacke bereits am Dampfen ist.»
Regine Steinauer, Leiterin Abteilung Sucht im Gesundheitsdepartement, sagt: Es gebe bereits viele Angebote, man sei breit aufgestellt und versuche alle zu erreichen, jene, die bereits schwer süchtig sind, genauso wie jene, denen droht, es zu werden. «Man kann immer mehr machen, aber man muss Prioritäten setzen.» Die Studie sei ein erster Schritt, weitere müssten folgen. Steinauer betont den progressiven Charakter von Basel, der Stadtkanton gehöre wieder einmal zu den ersten, die Dinge in Bewegung setzten. «Basel first», kommentierte Moderatorin Rutschmann mit einem Augenzwinkern.
«Man kann immer mehr machen, aber man muss Prioritäten setzen.»Regine Steinauer, Leiterin Abteilung Sucht im Gesundheitsdepartement
Im Publikum bemängelte Carmen Kolb von der Interessengemeinschaft Kleinbasel derweil, dass sie hier vor allem mittel- und langfristige Massnahmen präsentiert bekommen habe. Ihr fehlten die Massnahmen, die gestern hätten umgesetzt werden können. «Zivilcourage!», rief Frommherz von der Heilsarmee als Beispiel: «Auf die Menschen zugehen, sie ansprechen, ihnen zuhören.» Das ist ungefähr das, was auch das neuste Projekt des Stadtteilsekretariats Kleinbasel, der Rundgang StattGewalt, fördern will.
Und Steinauer verwies auf die vielen Massnahmen ausserhalb der Repression, wie beispielsweise die aufsuchende Arbeit oder die verlängerten Öffnungszeiten in den Kontakt- und Anlaufstellen. Ausserdem hat der Regierungsrat erst am Dienstag 190’000 Franken für die Rangerdienste auf der Dreirosenanlage gesprochen, um die Sicherheitslage im Unteren Kleinbasel weiter zu verbessern. Auch Sutter zeigte sich motiviert, die Erkenntnisse aus dem Abend in den Regierungsrat zu tragen, sagt aber abschliessend: «Eine suchtfreie Gesellschaft werden wir nie haben.»