Hopperseelenallein
Wie es ist, den grossen Edward Hopper in der Fondation Beyeler nun ganz für sich zu haben.
«Herrlich!» – Der Herr im dunkelgrünen Sakko lässt sich seufzend auf eine Holzbank in der Mitte des Raumes sinken. Vor ihm hängt eines der berühmtesten Bilder der Welt. Eine Frau in rotem Kleid schaut darin schweigend aus dem Fenster eines Hauses. Es ist still. Nicht nur im Bild, auch davor. Das Wort des Mannes im Sakko rattert durch die Räume, als wäre es ein Bulldozer.
Die Fondation Beyeler gehört zu den am besten frequentierten Museen der Schweiz. 437’000 Besucher*innen verzeichnete sie letztes Jahr, allein die Ausstellung über den jungen Picasso brachte über 335'000 Menschen nach Riehen. Die erste Ausstellung des Jahres sollte an den Erfolg anknüpfen: Edward Hopper, der «melancholische Realist» mit dem weltbekannten Gemälde des Diners, in dem einsame Gestalten sitzen. Geplant war keine Retrospektive, von denen hatte es in vergangenen Jahren genug gegeben, sondern eine Ausstellung mit Fokus auf die Landschaften: Das entvölkerte, aber gleichermassen vom Menschen beeinflusste Draussen, die «Natur».
Die ganze Welt ein Hopper-Bild
Am 26. Januar eröffnete die Ausstellung mit grossem Trara, die Besucherzahlen schnellten wie erwartet in die Höhe. Dann kam Corona, die Besucher*innen mussten zuhause bleiben und «Natur» bekam einen grausamen Beigeschmack. Fertig Frühling, Freude, Zolli-Cornet – und willkommen Lockdown, Isolation und verkehrte Welt: Die Sonne schien hell und freundlich, aber die Plätze und Parks blieben leer. Die Menschen blieben in ihren Wohnungen, der Blick zeigte nach draussen, aber richtete sich nach innen. Die ganze Welt ein Hopper-Bild.
Und jetzt, nach sieben unangenehmen Wochen, gehen die Museen wieder auf. Die Fondation Beyeler als eines der ersten, weil sie, auch hier ein bisschen exklusiver als alle anderen, am Montag geöffnet hat. Die Ausstellung ist um sechs Wochen verlängert, neu kann man online Zeittickets für bestimmte Slots am Tag kaufen. Das Kontingent liegt bei 100 Besucher*innen pro Stunde. Klingt nach viel, wer aber einmal eine der «Blockbuster-Ausstellungen» erlebt hat, der weiss: 100 Menschen pro Stunde ist ein Ponyhof.
Am Tag der Lockerung, um 14 Uhr: Ein Ponyhof in der Nebensaison. Im Winter, mit nur den hartgesottensten Pferdemädchen am Start. Das Museum ist so leer, dass man seinen eigenen Atem hört. Der Mann im dunkelgrünen Sakko schreitet durch die Räume als wären es seine. Die Augen der Wärter*innen starren über die grünen Masken hinaus ins Leere.
Und die Bilder?
Es bietet sich jetzt an, Hopper zum Künstler der Corona-Zeit auszurufen. All diese einsamen Menschen und Landschaften! Sind sie nicht wie wir, die wir in unseren Stadtwohnungen dahin darben, ein Tag wie der andere, nach aussen hin Langeweile, aber innen ein Brodeln wie bei der Bolognese, die seit Stunden auf dem Herd steht? Ist das Unsichtbare, das sich so elegant und unheimlich durch Hoppers Gemälde zieht, nicht wie der Corona-Virus: omnipräsent, lauernd, gefährlich?
Die Kunst hat das Sagen
Schön wäre es allemal. Aber der Gedanke greift nicht ganz weit genug. Die Isolation, in der sich Hoppers Figuren bewegen, ist keine auferlegte Situation. Die Frau am Fenster ist Akteurin, nicht Gefangene. Ihr Schweigen ist nicht die Unfähigkeit zu kommunizieren, sondern die Fähigkeit der Kontemplation. Sie ist nicht allein, sie ist mit sich.
Das überträgt sich. Die wenigen Besucher*innen, die an diesem frühen Nachmittag im Beyeler sind, laufen andächtig von Raum zu Raum. Sie treten vorsichtig auf, als hätten sie Angst davor, zu viel Lärm zu machen. Ausser dem Sakkoträger spricht niemand. Die Stimmung ist genau so, wie man sie sich für Ausstellungen dieses Kalibers wünscht: Die Kunst hat das Sagen.
Bei Hopper scheint das zu bedeuten: Schaut nach draussen in euch selbst hinein. Was seht ihr im hartgrellen Licht, das auf den Leuchtturm in «Lighthouse Hill» fällt? Im dunklen Wald hinter der Strasse bei «Road and Trees»? Im Gesicht des weisshaarigen Mannes in «Second Story Sunlight»? Spoiler: Es ist nicht Corona.
Wobei, im übertragenen Sinne eben doch: In Bildern wie «Cape Ann Granite» zeigt Hopper eine vermeintlich wildromantische Natur. Irgendwas scheint aber nicht ganz aufzugehen. Das Gras ist zu grell, die Felsen haben was Eisbergmässiges, als läge unter der Wiese der wahre Grund ihres Daseins verborgen. Cape Ann, wo Hopper regelmässig die Sommermonate verbrachte, ist für seine Granit-Steinbrüche bekannt; die Natur, die wir hier sehen, ist also keineswegs natürlich. Nur wissen das die meisten Betrachter*innen nicht. Es bleibt beim unbestimmbaren Gefühl, dass irgendwas nicht ganz stimmt.
Dieses Gefühl kennen wir mittlerweile gut. Es begegnete uns beim ersten Mal Hände desinfizieren im Supermarkt und ist seither immer da. Gerade eben auch, als der Herr im Sakko seine Freude so laut äusserte. Der Ausnahmezustand ist Alltag geworden und mit ihm das Vertraute unvertraut. Wie finden wir wieder zu einander?
Der Besuch in der Fondation Beyeler ist ein guter Anfang.
«Edward Hopper», Fondation Beyeler, Riehen. Noch bis zum 26. Juli 2020.