«Ein generelles Bettelverbot ist nicht zulässig»

Das Betteln zu verbieten, ist verboten. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Fall aus Genf. Wars das jetzt mit dem neuen Bettelverbot in Basel? Der emeritierte Jura-Professor Peter Albrecht klärt auf.

Bettelverbot Verbot

Der Grosse Rat in Basel will ein Bettelverbot, um die Roma zu vertreiben. Im Sommer soll es in Kraft treten. Genau so ein Verbot hat Genf bereits. Und wird jetzt abgemahnt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat nämlich entschieden: Das dortige Bettelverbot verstösst gegen die Menschenrechtskonventionen. 

Was ist passiert?

Eine Frau aus Rumänien war beim Betteln erwischt und zu einer Busse verurteilt worden. Geht nicht, sagte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Die Begründung: «Da sich die Klägerin in einer eindeutig schutzbedürftigen Situation befunden hat, hatte sie das der Menschenwürde innewohnende Recht, ihre Notlage mitzuteilen und zu versuchen, ihre Grundbedürfnisse durch Betteln zu befriedigen», schreibt der EGMR in seiner Pressemitteilung

Aber was bedeutet der Genfer Entscheid für Basel?

Nichts, argumentiert SVP-Motionär Joël Thüring. Anders sieht das die Bettelverbotsgegnerin SP. Beide Parteien argumentieren nach ideologischen Linien, klar.

Wer hat nun Recht? Wir haben mit dem emeritierten Jura-Professor Peter Albrecht (selbst SP-Mitglied) gesprochen. 

Peter Albrecht
Zur Person:

Peter Albrecht war bis 2013 beziehungsweise 2016 Strafrechtsprofessor an der Universität Basel und der Universität Bern. Bis 2002 war Albrecht ausserdem als Gerichtspräsident am Gericht für Strafsachen in Basel tätig.

Peter Albrecht, was bedeutet der Entscheid in Genf für das Basler Bettelverbot?

Der Entscheid hat eine grosse Bedeutung für Basel-Stadt. Er zeigt nämlich, dass ein allgemeines Bettelverbot nicht zulässig ist. 

Generelles Bettelverbot heisst: Jegliches Betteln ist verboten, ohne Ausnahme, richtig?

Die Tendenzen in Basel waren eindeutig: Gewünscht wird das generelle Bettelverbot. So habe ich jedenfalls die politischen Stimmen verstanden. Aber dieser Weg wird kaum gangbar sein. 

Warum nicht? Gilt Betteln nun als Menschenrecht?

Die Situation in Genf lässt sich durchaus mit der in Basel vergleichen. Eine Einführung des Bettelverbotes, wie es früher galt, wird uns vor die gleichen Probleme stellen, weil es gegen die Menschenrechtskonventionen verstösst. Die Strafe der bettelnden Frau in Genf war völlig unverhältnismässig. Sie bekam eine Busse von mehreren hundert Franken, konnte sie aber nicht bezahlen, also hat man hat sie ins Gefängnis gesteckt. Sowas geht nicht. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassbourg mit seinem Urteil festgehalten. 

Ich frage jetzt nochmals nach: Ist die Basler Motion, die letzten Dezember an die Regierung überwiesen wurde, denn überhaupt menschenrechtskonform? Motionär und Grossrat Joël Thüring sagt ja. 

Nein, das stimmt nicht. Ein generelles Verbot ist unzulässig – die Reaktion aus Strassbourg würde mit ziemlicher Sicherheit folgen. 

«Der Grosse Rat wird jetzt sicher nicht mehr mitmachen bei einem generellen Bettelverbot.»

von Prof. Dr. Peter Albrecht

Müssen sich Regierung und Parlament am Entscheid des  EGMR orientieren? Ist dieser Entscheid denn verbindlich?

Es wäre höchst unseriös, sich nicht daran zu orientieren. Wie gesagt: Basel und Genf sind durchaus vergleichbar. Und ja, der EGMR hat verbindliches Recht, also eine verbindliche Auslegung der Menschenrechtskonventionen, gesprochen. Wäre das Urteil schon im letzten Jahr bekannt geworden – das hätte den Entscheid im Grossen Rat wohl geändert. 

Warum das? 

Der Grosse Rat wird jetzt sicher nicht mehr mitmachen bei einem generellen Bettelverbot. Sie wollen ja nicht auf die Nase fliegen. Viele fragen sich wahrscheinlich mittlerweile: Macht es noch Sinn, ein Bettelverbot zu verlangen?

Was ist mit dem Bettelverbot light? Also mit einem Gesetz, das Betteln grundsätzlich erlaubt, aber zum Beispiel nur stilles, unaufdringliches Betteln, wie das die GLP verlangt?

Ich müsste das Gerichtsurteil im Detail kennen, um zu wissen, wo die Grenzen definiert werden. Aber aggressives Betteln und bandenmässiges Betteln kann meines Erachtens weiterhin verboten werden, ebenso wie das Anstiften anderer Menschen. Ein generelles Verbot wäre so aber definitiv nicht mehr zulässig. Der Fall in Genf hat gezeigt, dass dann Polizei oder Richter*innen nämlich keine Interessensabwägung mehr machen können. 

«Ich kann mir vorstellen, dass das die alte Diskussion von den ‹fremden Richtern› wieder anwirft.» 

von Prof. Dr. Peter Albrecht

Was heisst Interessensabwägung?

Bei einem generellen Bettelverbot müsste die Polizei, beziehungsweise das Gericht, Personen bestrafen, die in finanzieller Not sind und deswegen betteln. Das aber verletzt Menschenrechte und ist einfach auch unmenschlich. Der Entscheid des EGMR zeigt auch, dass es ein generelles Bettelverbot gar nie hätte geben dürfen.

Wie meinen Sie das?

Es gibt ja auch andere Kantone, die bereits ein generelles Bettelverbot haben, etwa der Kanton Waadt. Diese Kantone müssen wahrscheinlich jetzt über die Bücher. 

Das wird einigen bürgerlichen Politiker*innen nicht passen. 

Die Menschenrechtskonventionen gelten nun mal auch für Sachen, die einem vielleicht nicht so behagen. Dazu gehört auch, dass Städte das Betteln nicht komplett verbieten dürfen. Ich kann mir vorstellen, dass das die alte Diskussion von den «fremden Richtern» wieder anwirft. 

Wie genau?
Bajour

Die SVP wollte mittels Initiative erreichen, dass Schweizer Recht vor internationalem Recht gilt. Die Stimmbevölkerung war aber dagegen.

Jetzt könnte die Diskussion wieder aufkommen. Es war ja nicht das Schweizer Bundesgericht, dass im Fall der Frau aus Genf entschieden hat, dass es gegen die Menschenrechtskonventionen geht, sie derart zu bestrafen. Im Gegenteil: Das Bundesgericht hielt mildere Sanktionen nicht für zielführend. Aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat einstimmig beschlossen, dass die Strafe sich nicht mit den Menschenrechten vereinbaren lässt. Das wird manchen bürgerlichen Politiker*innen nicht gefallen. 

Wie geht es also nun weiter mit dem Bettelverbot? Könnte es komplett gekippt werden?

Ich sehe ein, dass die Situation mit den Bettler*innen schwierig ist. Aber ich glaube auch, dass die Sensibilität für das Thema gestiegen ist und sich Lösungen finden werden. Die Regierung steht nun unter Druck: Der Spielraum für die Basler Gesetzgebung ist sehr schmal, wenn sie nicht gegen die Menschenrechtskonventionen verstossen soll. 

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