Und wer fragt die Minderheiten?

Der Basler Autor Alain Claude Sulzer hat mit seiner Kritik am Fachausschuss Literatur beider Basel eine Debatte über kulturelle Korrektheit und das «Z-Wort» angestossen. Antiziganismus-Experte Venanz Nobel vermisst darin aber die Stimme der Minderheiten. Ein Gastkommentar.

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Der Jenische Venanz Nobel (in der Mitte) findet: «Es gibt keine absoluten ‹bösen Wörter›, es gibt nur im Kontext sachgerechte Verwendung von Sprache.»

Das scheint mir in dem ganzen Hin und Her ein Grundproblem zu sein: die Frage der Deutungshoheit. Wichtig dünkt mich, dass alle Menschen die Deutungshoheit über ihr Leben erlangen und in diesem Zusammenhang selbstbestimmt die für sie wichtige und richtige Selbstbezeichnung definieren können.

Ich bin extrem erleichtert, dass kürzlich das Lehrmittel «Jenische – Sinti – Roma», initiiert, erarbeitet und verantwortet durch Angehörige der drei Minderheiten selbst und in Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit pädagogischen Fachleuten erschienen ist.

Venanz Nobel
Zur Person

Venanz Nobel ist Historiker und publizierte zur Geschichte der Jenischen, denen er selber angehört. Er ist Vizepräsident des Vereins «schäft qwant», der die Zusammenarbeit der jenischen Organisationen über die Landesgrenzen hinaus fördert, und Mitglied der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR.

Über den Roman von Herrn Sulzer kann und will ich nicht richten, da ich ihn ja noch nicht lesen konnte. Es gibt keine absoluten «bösen Wörter», es gibt nur im Kontext sachgerechte Verwendung von Sprache. Darüber muss die ganze Gesellschaft debattieren (können).Ja, das Wort «Zigeuner» ist fast so toxisch geworden wie zum Beispiel das «N-Wort». Jedoch findet die Debatte darüber oft ziemlich weit entfernt von den Minderheiten selbst statt.

Innerhalb der Jenischen, Sinti und Roma gibt es keine einheitliche und legitimierte Meinung dazu. Während beispielsweise Sinti ihre Musik zum Teil auch heute noch «Zigeunermusik» nennen, lehnen vor allem viele Roma das Wort kategorisch und unbesehen des Kontextes ab. Wie Isabella Huser in ihrem Roman «Zigeuner» feststellt, romantisierten die leidgeprüften Jenischen über Generationen ihre «zigeunerische» Identität.

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Eine Frage oder Zensur?

Der Basler Autor Alain Claude Sulzer wirft dem Fachausschuss Literatur beider Basel Zensur vor. Kulturchefin Katrin Grögel relativiert, man habe nur mehr Informationen gebraucht.

Zum Artikel

Ich kann Sulzers Standpunkt (soweit ich das aus den Medienberichten und den Netz-Debatten beurteilen kann) ebenso gut verstehen wie die Position der angefeindeten Kommission. Er pocht auf seine schriftstellerische künstlerische Freiheit, die Kommission auf ihre politische Verantwortung. Wo Geld angefordert wird, muss man auch bereit sein, über seine Verwendung Rechenschaft abzulegen. Ein Buchverlag stellt ebenfalls seine Bedingungen, die er mit dem Autor aushandelt. Das dünkt mich normal und relativiert Sulzers öffentlichen Standpunkt. Jedoch gibt das den politischen Akteuren (und dazu zähle ich solche Kommissionen) andererseits keinen Blankoscheck zur Zensur.

Der Grat ist schmal, der Abgrund tief. Es ist nicht so, dass nur ich als Angehöriger einer der inkriminierten Gruppen für historische oder historisierende Texte anderer Menschen die alleinige Deutungshoheit und das alleinige Verwendungsrecht von Begriffen hätte, zumal es ja (siehe oben) keine einheitliche Minderheitenmeinung gibt (und das ist gut so!).

«Ich hege die Befürchtung, dass ‹die Z› ungefragt, aber öffentlich missbraucht werden, für eine Schlammschlacht in der sie nur Statisten sind.»
Venanz Nobel

Ich finde die Verwendung des Wortes «hausen» im veröffentlichten Zitat schwieriger als das «Z-Wort», weil «hausen» auch «damals» ganz klar abwertend die Hausenden als unordentliche, schmutzige Menschen diffamiert – unbesehen ihrer (ethnischen / ethnisierenden) Identität. Doch vielleicht braucht es dieses Wort genau an dieser Stelle des Manuskripts, weil nur es die Gewalt hat, den Konflikt der Hausgemeinschaft abzubilden.

Dieses Beispiel mag illustrieren, wie schwierig es ist, über unveröffentlichte Manuskripte eine valide gesellschaftliche Debatte zu führen. Ich frage mich, wer im Hintergrund die Strippen zog, die zum NZZ-Artikel führten. Ich hege die Befürchtung, dass «die Z» ungefragt, aber öffentlich missbraucht werden, für eine Schlammschlacht in der sie nur Statisten sind.

Dass Herr Teuwsen in der schweizerischen NZZ die deutsche Ersatzworthülse «Sinti und Roma» verwendet und damit die Jenischen aus der Debatte ausgrenzt dünkt mich archetypisch für den unreflektierten egoistischen Missbrauch von Minderheiten in Stellvertreter-Debatten.

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