In dubio pro Gummischrot

Ein Teilnehmer der Nazifrei-Demo wird vom Strafgericht zu insgesamt 18'000 Franken bedingter Geldstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte viel mehr gefordert und argumentierte unter anderem mit «Krawalltourismus».

Strafgericht Basel-Stadt
Am Strafgericht läuft eine Prozessreihe gegen Teilnehmende der antifaschistischen Demonstration vom 24. November 2018. (Bild: Daniel Faulhaber)

Am Strafgericht Basel-Stadt wurde am Dienstag, den 10. November, ein weiterer Teilnehmer der Anti-Pnos-Demo vom 24. November 2018 verurteilt. Strafgerichtspräsident Marc Oser (SVP) entschied auf eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 120 Franken bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren. Die Verfahrenskosten belaufen sich auf 6045.70 Franken und gehen zulasten des Angeklagten. 

Die Staatsanwaltschaft dürfte mit diesem Urteil nicht zufrieden sein. Sie hatte ein viel höheres Strafmass verlangt, nämlich 11 Monate und 5 Tage Freiheitsstrafe bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie 300 Franken Busse. 

Richter Oser kam aber zum Schluss: Das Beweismaterial reiche nicht.

Die Vorwürfe

Wie in allen Anklageschriften in dieser Reihe hatte die Staatsanwaltschaft auch den hier Angeklagten als Teil eines krawallierenden Mob identifiziert, der mit vereinten Kräften darauf aus gewesen sei, die PNOS und die Polizei anzugreifen. Landfriedensbruch, sowie mehrfache qualifizierte Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, lautete das Vergehen, im konkreten Fall kam noch mehrfache versuchte qualifizierte einfache Körperverletzung* mit einem gefährlichen Gegenstand dazu.

Bei den Hausdurchsuchungen Anfang April 2019 waren ausserdem Verstösse gegen das Waffengesetz festgestellt worden, der Mann hatte unter anderem ein Magazin für Softair-Munitionskügelchen in seinem Besitz. Er habe das nach einem Besuch auf einer Paintball-Farm im Auto vergessen, sagte der Angeklagte.

«Ich habe keine Hinweise darauf, dass es sich bei Ihnen um einen Krawalltouristen handeln soll.»
Strafgerichtspräsident Marc Oser zum Angeklagten

An der Demonstration soll der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft aus dem beschriebenen «zusammengerottenen Haufen» einen Stein aus ca. 10 bis 15 Metern gegen «diverse Polizisten» «geschleudert» haben.  Der Angeklagte sagte, das stimme nicht. Er habe keinen Stein geworfen, es sei ein Stück Gummischrot gewesen, das er, nachdem er davon getroffen worden war, aufhob, und zurückwarf.

Richter Oser sagte nach Studium des Videomaterials: «Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, ob das ein Stein oder irgendetwas anderes war.» Er entschied in dubio pro Gummischrot. Weiter sagte er: «Die Staatsanwaltschaft schreibt, sie seien 15 Meter entfernt gewesen. Aber wir sehen hier, das waren nie im Leben 15 Meter. Das ist deutlich mehr.» Trotzdem sei durch die Wurfbewegung eine Teilnahme am Landfriedensbruch erwiesen, es habe dafür schliesslich keinen Grund gegeben. Zwar sei die Reaktion durch den Mitteleinsatz der Polizei erklärbar, aber nicht entschuldbar, so Oser.  

Weil man aber nicht wisse, was geworfen wurde und aufgrund des grossen Abstands wurde der Angeklagte vom Anklagepunkt der mehrfachen, versuchten einfachen, Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand freigesprochen.

Selfies mit den Polizisten

Beinahe komisch wurde es kurz, als vor Gericht die Qualifikation des Angeklagten als «Krawalltourist» verhandelt werden sollte. Die Staatsanwaltschaft hatte den Begriff in die Anklageschrift hineingeschrieben, weil auf dem Videomaterial zu sehen war, wie der Mann «minutenlang telefonierte und Selfies schoss vor der Polizeikette». Ausserdem sei er «zwischen der Polizei und den Transparenten der übrigen Demonstrationsteilnehmern hin und her» spaziert und «muss als Krawalltourist qualifiziert werden», hiess es in der Anklage der Stawa.

Oser nahm das zur Kenntnis, mehr nicht. Er habe aufgrund des Videos keine Hinweise darauf, dass es sich beim Angeklagten um einen Krawalltouristen handeln soll, sagte er.

In dubio pro Bajour.

Der Angeklagte sagte, er war an besagtem Tag zum Gokart-Fahren mit einer Freundin verabredet, die in der Riehenteichstrasse wohnte. Weil die Polizeikette den Zugang zur Riehenteichstrasse versperrte, sei er auf der Kreuzung Mattenstrasse / Rosentalstrasse geblieben und habe mit der Freundin telefoniert in der Hoffnung, die Blockade würde sich bald auflösen. 

Dann kam das Gummischrot, er sei erschrocken und habe dann im Reflex dieses Teil zurückgeworfen. 

Die Videoaufnahmen konnten diese Version nicht widerlegen. 

Gleichwohl habe sich der Mann schuldig gemacht, weil er nicht weggegangen sei, sondern weiterhin auf der Kreuzung blieb, sagte Richter Oser. Auch die Wurfbewegung sei eindeutig. Das Urteil erging darum für Landfriedensbruch, sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. Auch das Vergehen gegen das Waffengesetz, das nicht im Zusammenhang mit der Demonstration stand, wurde geahndet. 

Der Angeklagte wird das Urteil akzeptieren. 

Staantsanwaltschaft nicht zufrieden

Aus dem Umfeld derjenigen, die bisher in dieser Prozessreihe vor Gericht standen, ist zu hören, dass die Staatsanwaltschaft ihrerseits kaum eines der bisher gefällten Urteile in der Prozessreihe akzeptierte. Auch gegen das Urteil gegen die Demonstrantin, die zu acht Monaten unbedingter Haft verurteilt wurde, ging die Staatsanwaltschaft in Berufung. Die Stawa hatte 12 Monate unbedingt gefordert. 

Es ist darum davon auszugehen, dass die Stawa auch dieses Urteil des Strafgerichts, dass das geforderte Strafmass erheblich abschwächte, anfechten wird. 

__________

*Begriffserklärung zur mehrfachen versuchten qualifizierten einfachen Körperverletzung: Als einfache Körperverletzung gemäss Art. 123 StGB gelten diejenigen Eingriffe in die körperliche Integrität, welche keine Tätlichkeit sind, aber auch keinen schweren Körperverletzungen darstellen. Von einem qualifizierten (in Abgrenzung zu «privilegiertem») Straftatbestand spricht man dann, wenn strafverschärfende Merkmale vorhanden sind. Also wenn zum Beispiel ein Gegenstand verwendet wird. 

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Bei Bajour als: Reporter und Redaktor

Hier weil: da habe ich die Freiheit, Neues anzupacken und unkonventionell zu arbeiten, ohne über sieben Hierarchiehürden zu springen. Das ist toll. Gleichzeitig macht diese Freiheit natürlich Angst, und das wiederum schweisst zusammen. Darum bin ich auch hier. Wegen des Teams.

Davor: Bei der TagesWoche und davor lange Jahre an der Uni mit Germanistik & Geschichte.

Kann: Ausschlafen.

Kann nicht: Kommas.

Liebt an Basel: Die Dreirosenbrücke. Das Schaufenster des Computer + Softwareshops an der Feldbergstrasse Ecke Klybeckstrasse. Das St. Johann. Dart spielen in der Nordtangente. Dass Deutschland und Frankreich nebenan sind.

Vermisst in Basel: Unfertigkeit. Alles muss hier immer sofort eingezäunt und befriedet und geputzt werden. Das nervt. Basel hat in vielem eine Fallschirmkultur aus der Hölle. Absichern bis der Gurt spannt. Ich bin schon oft aus Versehen eingeschlafen.

Interessensbindung: Vereinsmitglied beim SC Rauchlachs.

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