Das Geschäft mit dem Glauben

In Basel treffen sich 7'000 Menschen zum Meditieren. Wer steckt dahinter? Und was haben Dalai Lama und Ed Sheeran damit zu tun? Eine Spurensuche.

St. Jakobshalle Meditation
7'000 Menschen kamen für einen Workshop mit «Dr Joe» nach Basel. (Bild: KEYSTONE/GEORGIOS KEFALAS, Icons: freepik.com, Grafik: Bajour)

Fänden sich 7’000 Menschen zum Gebet zusammen, wäre das Topnews in der Schweiz. Die Landeskirchen würden sich freuen, Pressevertreter*innen drängten sich vor Kameras. Wenn sich jedoch 7’000 Menschen zur Meditation treffen, wie vor rund drei Wochen in der St. Jakobshalle, scheint das unter dem Radar zu laufen.

Bajour war neugierig: Was war da genau los? Und wer steckt dahinter? Die Spurensuche führt in die Weiten des Internets. Und nach Muttenz. Beginnen wir bei den sichtbarsten Zeugnissen: In den sozialen Medien.

Der Veranstalter: Dalai Lama meets Joe Dispenza meets Ed Sheeran

Einen Eindruck des Mega-Events bekommt man auf Instagram. 62’000 Menschen folgen dort dem Veranstalter Younity. Die Organisation mit Sitz in Muttenz beschreibt sich selbst als «Bewusstseinsplattform across the World». Die Beiträge vom «Progressive Workshop» in der Joggelihalle zeigen winkende Staff-Mitglieder, klatschendes Publikum, lüpfige Popmusik, überschrieben mit Kommentaren wie «Stimmung läuft!» und «Danke, dass du da bist!». 

Einer, der da war, ist Fabian. Er ist Mitte 20, wohnt in Basel und heisst eigentlich anders. Gefunden hat er Dispenza in einer persönlichen Krise. «Seine Theorien darüber, wie man durch positive Gedanken sein Hirn verändern kann, haben mir wirklich geholfen, mich nach einem Burnout aus einer Negativspirale zu befreien», erzählt der Student. «Und Dispenza ist wirklich eine der Koryphäen im Mindset-Game.» Und dann kam Dispenza nach Basel. Fabian kaufte ein Ticket über Younity.

In einer Stellenausschreibung stellt sich Younity als ein «erwachsenes StartUp» vor, «mit der Aufgabe, Menschen zu helfen, ein erfüllendes, erfolgreiches und friedvolles Leben zu führen». Auf der Website werden verschiedenste Veranstaltungen und Onlinekurse beworben, zu bunt gemischten Themen wie «Wie du dich mit energetischen Wesen verbindest», «Feng Shui – der Praxiskurs» oder «Happy Money – in Frieden mit Geld». In der langen Liste der «Mentoren» finden sich der Dalai Lama, der niederländische Extremsportler Wim Hoff, der umstrittene österreichische Mediziner Rüdiger Dahlke oder Joe Dispenza, der am besagten Wochenende 7’000 Leute nach Basel gezogen hat. Und: Ed Sheeran.

Religionswissenschaftler Mohn: «Diffuser Bereich moderner Spiritualität»

«Ist das eine Sekte?», ist die erste Frage, die in der Redaktion zum Thema aufkommt. Wir geben die Frage an den Basler Religionswissenschaftler Jürgen Mohn weiter.

  • Younity-Mentoren

    «deine younity mentoren»

  • Younity-Kurse

    «deine Online-Programme»

Aus der Auswahl der Mentoren wird auch er nicht schlau. Immer wieder blickt er während des Gesprächs in seinem Büro am Heuberg auf den PC-Bildschirm, scrollt durch die Website von Younity. «Ich frage mich, ob die Mentoren ihre Einwilligung dazu gegeben haben», sagt er. Der Dalai Lama sei zum Beispiel da eigentlich relativ strikt. 

«Younity schätze ich weder als gefährlich noch sektenhaft ein», erklärt der Religionswissenschaftler. Er verordnet ihre Angebote im «sehr diffusen und diversen Bereich der modernen Spiritualität». «Es geht dabei um Selbstoptimierung, um den Kontakt mit einer inneren Dimension, Energien, Meditation, Bewusstseinsübungen, Transformation, aber auch um Schamanismus, Buddhismus, Esoterik etc.», erklärt er.

Es geht ums Geschäft

Younity sei ein ökonomisch ausgerichtetes Unternehmen, das Bedürfnisse von gewissen Menschen abhole. Also nicht suspekt? «Ob all ihre Angebote seriös sind, ist eine andere Frage, die ich aber nicht beantworten kann», antwortet Mohn. In der Religionsgeschichte habe es schon immer Leute gegeben, die mit religiösen Angeboten Geld verdient hätten. «Die Frage ist ja, ob die Zahlenden dann das bekommen, was sie erwartet haben», gibt der Religionswissenschaftler zu bedenken. Er könne das aber nicht beurteilen, ohne mit den Personen gesprochen zu haben.

Younity

Gemäss Handelsregister wurde Younity (früherer Name: Psi Online GmbH) Ende 2015 gegründet. Zum Management gehören die beiden Brüder Pablo Sütterlin (Geschäftsführer) und Robin Sütterlin (Event-Manager). Sie sind auch aktiv beim Basler Psi Verein, der lange Jahre von ihrem Vater Lucius Werthmüller, dem bekannten, 2021 verstorbenen Parapsychologen, präsidiert wurde.

Zumindest die Social Media-Kommentare bei Younity lassen vermuten, dass einige durchaus glücklich mit dem Workshop sind. Auf Facebook schreibt zum Beispiel eine Userin: «Es war unbeschreiblich schön! Gänsehaut pur, vom Sternenregen beim Tanzen bis zu den tiefen Meditationen. Magie. Und ganz starke Organisation. Danke an alle und danke an dr.joe. ❤️»

Und auch Fabian sagt, er sei eigentlich zufrieden. Es gäbe aber etwas, was ihn gestört habe: «Dispenza ist halt so überzeugt von seiner Sache, dass er immer sagt: Ich gebe dir die Tools und sie funktionieren, wenn du sie wirklich anwendest. Das erzeugt einen Druck. Wenn es einem schlecht geht, ist man selber schuld.» Auch ein anderer Teilnehmer habe ihm gesagt, er sei wegen dieser Message «ein bisschen down».

Instant-Nirvana vs. lange, persönliche Reifung

«Positive thinking» sei bei solchen Angeboten ganz wichtig, weiss auch der Religionswissenschaftler. «Das heisst: Du hast dein Leben selbst in der Hand. Wenn da etwas mal nicht funktioniert, hast du etwas falsch gemacht. Also zum Beispiel dich nicht genug geöffnet, oder dich nicht intensiv genug bemüht.» So sei es natürlich auch schwierig, Anbieter dafür verantwortlich zu machen, wenn man nicht zufrieden sei, fährt Mohn fort.

Jürgen Mohn
Jürgen Mohn leitet den Lehrstuhl für Religionswissenschaft an der Universität Basel. (Bild: Michelle Isler)

Wie lässt sich denn generell die Seriosität von solchen Anbieter*innen und Veranstaltungen abschätzen? «Bei Angeboten, die einem kurzfristig und mit einfachen Mitteln grosse Entwicklungen versprechen, würde ich die Seriosität zumindest in Frage stellen», erklärt Mohn. «Das schafft bei den Teilnehmer*innen einen gewissen Erwartungsdruck, der auch belastend sein kann.» In den grösseren religiösen Traditionen brauche religiöse Reifung und Erkenntnis – zum Beispiel durch Meditation – ganz viel Zeit und sei nicht etwas, was man von heute auf morgen lernen könne.

Moderne Spiritualität oder pseudowissenschaftliches Geschwurbel?

«Bei Joe Dispenza finden sich Elemente aus der Esoterik, aus buddhistischen Traditionen, aber auch aus Psychotherapien», beschreibt Jürgen Mohn. «Auffallend ist auch die Sprache, die er benutzt», findet er. «Dispenza bedient sich an klischeehaften Formulierungen wie ‹das Herz öffnen› oder ‹Energie für ein neues Schicksal nutzen›, kombiniert diese aber auch mit einer wissenschaftlichen Sprache, wie zum Beispiel: ‹Gene neu programmieren›, ‹vom Newton-Modell zum Quanten-Modell wechseln›.» 

Auf der (mittlerweile nicht mehr existierenden) Website des Workshops liest man weitere Beispiele dieser wissenschaftlichen Sprache:

Progressive Workshop Beschrieb
Von Quantenphysik über Neuroendokrinologie bis zu Elektromagnetismus – in Dr Joes «Modell des Verständnisses» ist alles dabei. (Bild: Screenshot)

«Diese Wissenschaftlichkeit halte ich für geschickt dahergeholt», sagt Mohn. «Ich vermute, dass Naturwissenschaftler*innen aus diesen Feldern seine Versprechen für sehr plakativ halten würden. Von aussen wirkt das auf mich vor allem wie eine bewusst eingesetzte, relativ oberflächliche Rhetorik, die dazu dient, ein modernes, gebildetes Publikum anzusprechen.»

Bei Fabian kommt diese Message an. Mehrheitlich überzeugt ihn das Gehörte. Auch weil Dispenza angibt, mit vielen Universitäten zusammenzuarbeiten. Es belustigt ihn zwar ein bisschen, «dass sich Dispenza Dr. nennt, aber keinen PhD hat.» Er sei aber vor allem gespannt auf weitere Forschungsergebnisse. «Weisst du, ich kann ja auch nicht alles überprüfen», sagt er. «Wenn er davon redet, dass man in kohärenter Meditation als Energie ins Quantenfeld gehen und dann durch die eigenen Gedanken andere Personen heilen kann… Das checke ich halt einfach noch nicht ganz.»

Bis zu 4 Millionen Franken an einem Wochenende

Gemäss Angaben von Younity war der Event mit Dr. Joe ausverkauft, im Vorfeld versuchten einige – ebenfalls über Facebook – noch an Tickets zu kommen. Bereits im regulären Vorverkauf kosteten diese je nach Sitzplatz 499 oder 599 Euro. Alleine mit den Ticketverkäufen müssten für das Wochenende also zwischen 3,4 und 4,1 Millionen Euro über den Tisch gegangen sein. Jürgen Mohn nickt. «Im Hintergrund befindet sich eine grosse Ökonomie, die darauf ausgelegt ist, Individuen anzusprechen, die kein Interesse an klassischen religiösen Angeboten haben, sondern ihre eigene Autonomie in spirituellen und religiösen Fragen kultivieren wollen. Also nicht in organisierten Gemeinschaften, sondern ganz individuell und meist auch digital.»

Der Religionswissenschaftler schätzt, dass es deswegen auch kein mediales Aufsehen gegeben hat. «Ein klassisch religiöser Anlass, zum Beispiel christlich oder islamisch, oder ein Treffen der Scientologen hätte in diesem Ausmass sicher mehr Aufmerksamkeit bekommen.» Der Anlass könne zwar einem religiös-spirituellen Feld zugeordnet werden. Dass aber «nicht-zusammengehörende Individuen» und nicht eine organisierte religiöse Gemeinschaft hier zusammenkomme, «reduziert das Bedrohungspotenzial, das bei Religionsgemeinschaften wahrgenommen wird». Und so lande eine solche Veranstaltung auch nicht auf dem medialen Radar.

Younity hat sein Zielpublikum mit Erfolg erkannt: Immerhin werden auf der Website fast 60 Mitarbeitende aufgelistet, organisiert in verschiedenen, teils internationalen Teams. Entsprechende verschiedensprachige Telegram-Kanäle haben Reichweiten von bis zu 30’000 Abonnent*innen, der Younity Youtube-Kanal sogar 89’000.

Bajour hat Younity die Gelegenheit gegeben, auf Aussagen in diesem Artikel zu antworten. Die angegebene Geschäftsnummer war allerdings ungültig und bis Redaktionsschluss ist keine schriftliche Antwort bei Bajour eingegangen.

Auch Joe Dispenza war für Bajour leider nicht erreichbar. Seine Medienagentur wies aber darauf hin, dass es einmal pro Monat eine Live-Zoom-Class mit Dr. Joe gebe und er dort jeweils einige Member-Fragen beantworte. Eine monatliche Membership kostet 9.99 Dollar. Auch für Medienschaffende.

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Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


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