Noch einmal würzele

Der Darsteller des Wild Maa hatte beim Vogel Gryff seine letzten Tänze, bevor er die Tanne seinem Nachfolger übergibt. Wir haben ihn begleitet: Von der Generalprobe uff d Gass.

Wild Maa Vogel Gryff
Achtung mit der Tanne! Der Wild Maa beim Vogel Gryff. (Bild: David Rutschmann)

Die Tische im San Francisco Saal des Congress Center sind schon am Sonntagabend feinsäuberlich hergerichtet: Reihen von Besteck, Weingläsern und Servietten-Banderolen sollen den perfekten Eindruck machen für das Gryffenmähli der Drei Ehrengesellschaften Kleinbasels (3E) am nächsten Tag.

Manchmal klingen an diesem Vorabend des höchsten Kleinbasler Feiertags die Gläser: Sie werden von Wurzeln gestreift, wenn der Wild Maa seine Tanne durch den Raum wirbeln lässt. Die Tanne ist eines der eindrücklichsten Elemente der Tradition: Wenn das mythische Waldgeschöpf den eigens für diesen Brauchtum entwurzelten Baum breitbeinig schultert und dann mit hektischen Schritten den zügigen Tanz aufführt, sind nicht nur Kinder beeindruckt. Je nach Dancemove des Wild Maa kann eine Tannennadel schon auch mal ein schaulustiges Gesicht in der Menge pieksen. 

Stefan Ospel Vogel Gryff
What the Gryff?

Du hast keine Ahnung, was das mit dem Vogel, dem Löwen und dem Bäumchen soll? Keine Angst, so ging es mir auch. Also habe ich alle Fragen, die ich hatte, dem Medienverantwortlichen der 3E, Stefan Ospel, gestellt. Darin habe ich erfahren, warum die Wappentiere der Ehrengesellschaften am höchsten Kleinbasler Feiertag durch die Strassen tanzen und warum das nichts mit Fasnacht zu tun hat.

Zum Interview

Sonntagabend ist aber erstmal Generalprobe für die drei Ehrenzeichen der 3E – neben dem Wild Maa sind das der Leu sowie der Vogel Gryff, der dem Feiertag seinen Namen gibt. Die Darsteller proben hier ohne ihre schweren Kostüme. Nur der Darsteller des Wild Maa trägt seine traditionelle Weste bereits, ohne die das Schultern der Tanne eine dreckige Angelegenheit wäre.

Der grossgewachsene Mann mit Man-Bun heisst Stephan, aber das tut hier nichts zur Sache, denn die 3E halten nichts von Personenkult und wollen ihre Darsteller deshalb so anonym wie möglich lassen. Wir nennen ihn in diesem Text so, wie er von allen angesprochen wird: Wild Maa. Für den Wild Maa mit Man-Bun ist es der letzte Auftritt. Alle sechs Jahre wechseln die Darsteller in den Kostümen. Es ist eine der vielen Regeln der 3E.

Mit ihm tritt auch sein Tambour ab – jedes Wappentier hat einen persönlichen Trommler. Die beiden sprechen im Video-Interview darüber, wie sie zu den 3E gekommen sind, wie sie mit Nervosität umgehen und wann sie anfangen, für den Vogel-Gryff-Tag zu trainieren:

Die düsteren Wetteraussichten des Wild Maa bewahrheiten sich am nächsten Morgen: Es steht Regen an, als der Wild Maa aus dem Hotel Merian tritt und seine Tanne quer auf den für seinen Abtransport beorderten Oldtimer-Mannschaftswagen hievt. Das Hotelgebäude liessen in grauer Vorzeit die 3E erbauen, es war in noch grauerer Vorzeit das Kleinbasler Richt- und damit quasi Rathaus. Heute ist es das Bienennest, in das die Darsteller immer wieder zur Stärkung zurückkehren werden. Vom Läberli-Frühstück gut genährt tritt also der Wild Maa lächelnd in den Regen. Er wirkt selbstbewusst, doch er sagt: «Ein bisschen nervös bin ich schon.»

Sein «Kopf» liegt da bereits im Mannschaftswagen und zieht ein grimmiges Gesicht. Das Wild-Maa-Kostüm ist das einzige der Ehrenzeichen, das zwei unterschiedliche Masken hat: eine furchteinflössende und eine freundliche. Man könnte jetzt überanalysieren, dass die heutige Wahl für die grimmige Maske Wehmut und Abschied signalisiert. Zeit, um diese Motivation ausführlich zu begründen, hat der Wild Maa nicht, da er mit dem Mannschaftswagen und den 3E-Oldtimern darauf losdüsen muss. Später am Tag wird er jedenfalls auch noch die freundliche Maske anziehen.

Die Fahrt führt zum Wild-Maa-Horst, der Anlegestelle seiner Fähre am Rhein, wo er schon von Scharen von Schulkindern empfangen wird. Der Wild Maa wirft dem Gedränge Sunnereedli zu, bevor er sich die Maske aufzieht und auf die Fähre tritt. Mit Kanonenschüssen startet seine «Talfahrt» den Rhein abwärts. Tanzend grüsst er das im Januarregen ausharrende Kleinbasler Fussvolk, das sich entlang der Riviera und auf der Mittleren Brücke tummelt. Vor allem die Kleinstbasler*innen überrumpeln sich fast, denn alle rennen Richtung Kaserne, wo das Boot anlegen wird.

Es sind auch die Kinder, die den Wild Maa ab dem Landgang, wo ihn Vogel Gryff und Leu in Empfang nehmen, ordentlich auf Trab halten: Alle wollen sie sich die Äpfel schnappen – schliesslich symbolisieren diese Fruchtbarkeit –, die am Gürtel und im Kopfnest des Waldgeschöpfs hängen. Der Wild Maa wischt die Kinder auf seinem Weg als «Vortrab» entlang der Rheinpromenade wie mit einem Besen weg, scheucht sie immer wieder fort – und büsst doch manchmal einen Apfel ein.

Das grimmige Gesicht der Maske lässt es so wirken, als würde der Wild Maa jeden gestohlenen Apfel bereuen. Doch der Darsteller selbst freut sich darüber, wie die Kinder Spass am Katz-und-Maus-Spiel mit ihm haben: «Wir haben eher das Problem, das ich bald keine Äpfel mehr habe», sagt er, als er auf der Terrasse des Hotel Merian nach einer halben Stunde Strassenhatz und Tanz das erste Mal wieder die Maske lüftet.

Kein Wunder, braucht er dann erst einmal ein paar Minuten Pause, bevor er sich einem Interview widmen kann: Zwischen 11 und 23 Uhr spielt er durchgehend seine Rolle im schweren Kostüm: Immer wieder tanzen, hechten, Tanne schwingen. Rund 40 Mal werden die drei Wappentiere an diesem Tag ihre Choreo performen. Wie hält man sowas aus?

Nun, Kondition ist der Schlüssel. Wer als Wild-Maa-Darsteller einen ganzen Tag einen Baum mit sich rumschleppen und federleicht aussehen lassen will, muss auch den Rest des Jahres dafür trainieren. «Allerdings nicht immer mit der Tanne, das würde nicht so ankommen», sagt er und lacht. Und dann sei das Ausruhen und Wasser trinken natürlich am Tag selber enorm wichtig, fügt er an. Im nächsten Moment bekommt er eine Flasche gereicht, die er dankend annimmt.

Die helfende Hand ist sein Nachfolger, der ab Dezember offiziell ins Wild-Maa-Kostüm schlüpfen wird. Die Nachfolger (bislang noch ohne *innen) stehen jeweils schon einige Zeit im Voraus fest. Es sind die Spielmeister, die dann entscheiden, welcher aspirierende Tänzer ins Kostüm welches Tiers wechseln darf.

Wild Maa und Tambour Vogel Gryff
Kurz vor Schluss und noch voll im Schuss: der Wild Maa und «sein» Tambour. (Bild: David Rutschmann)

Wäre der Wild Maa am Vogel-Gryff-Tag ausgefallen (was eigentlich nie vorkommt), wäre der Nachfolger ins Kostüm geschlüpft. Deshalb war er bereits am Vorabend bei der Generalprobe und durfte samt Tanne seine Tanzschritte vorzeigen – unter den kritischen Blicken vom aktuellen Wild Maa und älterer Generationen ehemaliger Wilder Männer.

Sie alle brachten noch Tipps mit ein, was der «Baby Wild Maa», wie er intern genannt wird, noch verbessern kann. Es ist vor allem das «Würzele», das noch Übung braucht: Die Tanne wird mit beiden Händen in die Höhe gehoben und der Stamm bei einem stetigen Trommel-Rhythmus wie ein Drehspiess um die eigene Achse gedreht.

«Das ist nochmal ein Kraftakt mehr», erklärt der Wild Maa bei der Essenspause am Abend des Vogel-Gryff-Tags. Das «Würzele» ist auch deshalb speziell, weil man diesen Tanzschritt auf der Strasse nicht sieht, er ist rein dem Spiel beim Gryffenmähli für den Meister der Gesellschaft zur Hären vorbehalten. Solche «Spezialtänze» gibt es bei den anderen Wappentieren auch nicht.

Um 18:30 fühlt sich der Wild Maa jedenfalls noch immer fit und munter, um die restlichen vier Stunden voller Tänze zu bestreiten. «Man spürt gewisse Ecken und Kanten vom heutigen Tag», sagt der Tambour des Wild Maa. «Aber den Rest machen wir wett mit dem Adrenalin und der Freude für den heutigen Tag.»

Das könnte dich auch interessieren

14. Juni 2024 – 3 Welten, 1 Stadt

Michelle Isler,Jan Soder,David Rutschmann am 14. Juni 2024

Eine Stadt, drei Welten

Wie ist der Vibe in Basel, wenn am selben Tag schickes Art-Basel-Publikum, feministische Demonstrierende und Fussballfans die Stadt einnehmen? Eine Reportage.

Weiterlesen
Tobias Henzen Porträt

Michelle Isler am 13. Februar 2024

Auf Hindernisfahrt mit dem Rollstuhl

Eigentlich hätten ÖV-Haltestellen ab 2024 in der Schweiz barrierefrei sein müssen. Eine Ausfahrt mit Rollstuhlfahrer Tobias Henzen zeigt aber: Was für andere ein Weg von A nach B ist, erfordert von ihm nach wie vor Geduld, Kreativität – und ein bisschen Humor.

Weiterlesen
Der Vogel Gryff, rechts, begruesst den Wild Maa, links, vor dem Kleinen Klingental, nach dessen Talfahrt auf dem Floss, am Vogel Gryff, dem volkstuemlichen Feiertag der Drei Ehrengesellschaften Kleinbasels (3E) zum Rebhaus, zur Haeren und zum Greifen, in Basel am Freitag, 13. Januar 2023. An diesem Tag ziehen die drei Ehrenzeichen Vogel Gryff, Wild Maa und Leu gemeinsam mit drei Tambouren, drei Bannerherren und vier Ueli, welche Geld fuer die Beduerftigen sammeln, durch's Kleinbasel und fuehren dabei immer wieder ihre traditionellen Taenze vor. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Bajour am 13. Januar 2023

Pfoten weg vom Vogel Gryff!

Ist der Kleinbasler Brauch noch zeitgemäss? Die Community findet es einen Affront, dass wir diese Frage überhaupt stellen. Eine kleine Empörungs-Rückschau.

Weiterlesen
David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitik. Way too many Anglizismen.

Kommentare