Die brenzligen Monate stehen noch bevor
Die massiven Polizeikontrollen im unteren Kleinbasel zeigen Wirkung. Die Lage hat sich zwar etwas entschärft. Doch der Sommer kommt erst – und die Polizei wird den personellen Kraftakt nicht ewig fortsetzen können.
Der Frühling ist da. Und mit ihm auch die Sorge vor der sich wieder ausbreitenden Drogenszene im Kleinbasel. Denn die warmen Temperaturen locken auch die süchtigen Menschen auf die Strassen. Wir erinnern uns: Die Anwohner*innen des unteren Kleinbasel wandten sich vergangenen September nach heissen Monaten mit einem Hilferuf an die Regierung. Sie hatten nicht nur mit Lärm zu kämpfen, sondern auch mit dem Dealen und Konsumieren von Drogen im öffentlichen Raum – auf Schulwegen, in Hauseingängen, in Vorgärten. Mittels Petition forderten sie von der Regierung Massnahmen. Dieser bunte Blumenstrauss wurde im März verabschiedet.
Heuer sollte also alles besser werden: Mit Prävention und Repression möchte die Exekutive das Problem im Zaun halten. Der Regierungsrat geht davon aus, dass ohne zusätzliche Massnahmen in diesem Frühjahr 2024 wieder eine vergleichbare Situation eingetreten wäre wie vergangenen Sommer. Ist die Strategie bisher erfolgreich?
«Schwere Gewalttaten sowie Diebstähle haben abgenommen.»Adrian Plachesi, Pressesprecher der Basler Polizei
Zu den sicht- und spürbarsten Massnahmen dürften die Schwerpunktaktionen der Polizei im Dreieck zwischen Claraplatz, Dreirosenbrücke und Matthäusplatz gehören. Die wöchentlichen Grosskontrollen zielen auf junge Männer aus dem Maghreb (Marokko, Tunesien oder Algerien), die gemäss Medienmitteilung für den Anstieg der Kriminalität hauptverantwortlich sind. Diese Gruppe macht seit einigen Jahren einen bedeutenden Teil aller Asylsuchenden in der Schweiz aus, weil die wirtschaftliche Lage in ihren Herkunftsländern schwierig ist und sie kaum Perspektiven haben. Doch auch hierzulande sind ihre Chancen auf Asyl so gut wie inexistent: Sie haben also nichts zu verlieren.
Weniger schwere Gewalttaten
Die Kontrollen und Festnahmen, die für die personalschwache Basler Polizei (es fehlen an die hundert Stellen) einen massiven Kraftakt bedeuten, haben subjektiv zu einer Verbesserung der Situation geführt, das bestätigt der Vorstand des Neutralen Quartiervereins Unteres Kleinbasel gegenüber Bajour. So sagt Samuel Müller: «Die vermehrten Kontrollen an der Klybeckstrasse und auf der Dreirosenanlage scheinen tatsächlich zu einer gewissen Entlastung geführt zu haben.»
Auch Adrian Plachesi, Pressesprecher der Basler Polizei, kann bereits Erfolge verzeichnen: «Schwere Gewalttaten sowie Diebstähle haben abgenommen.» Neben Kontrollen habe man auch einige Drahtzieher festnehmen können; zu weiteren Verhaftungen sei es aufgrund von rechtswidrigen Aufenthalten oder Diebstählen gekommen. Eine Verschiebung der Szene habe man bisher nicht beobachtet.
Der nächste Drogenstammtisch, organisiert von Bajour und dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel, findet am 29. Mai um 19 Uhr im Rheinfelderhof statt. Das Thema: Die Polizei hat zu wenig Personal. Für die Anwohnenden ist die Situation weiterhin unerträglich. Sie fordern zusätzliche Schritte. Doch was will Basel? Einen «Platzverweis» oder die Einführung eines «Ordnungsdienstes»?
Klar ist auf jeden Fall heute schon, dass diese Schwerpunktaktionen den ohnehin darbenden Sicherheitsdiensten einiges an Ressourcen abverlangen. Dabei gilt Sicherheit vor Ordnung, andere Beschwerden wie beispielsweise Lärm haben demnach das Nachsehen. Auf der Hand liegt auch, dass die Intensität so nicht gehalten werden kann – doch die brenzligen Monate stehen erst noch bevor. Plachesi ist sich bewusst: «Das Problem ist nicht gelöst, der Druck muss aufrecht erhalten werden.» Wie das passieren soll, ist noch unklar.
Die Abschreckung spricht sich rum
So dürfte der Basler Polizei gerade recht kommen, dass SP-Bundesrat Beat Jans Anfang Mai schweizweit die 24-Stunden-Verfahren eingeführt hat; motiviert dazu haben ihn offenbar die Drogenprobleme in seinem Wohnquartier, dem Matthäusquartier.
Die Verfahren, die gemäss Recherchen der NZZ deutlich länger als 24 Stunden dauern, zielen in erster Linie auf Abschreckung. Sprich: Sie sollen Asylsuchende aus Staaten mit extrem tiefer Schutzquote wie dem Maghreb mit 0.3 Prozent davon abhalten, überhaupt in die Schweiz zu reisen und hier ein Asylgesuch zu stellen. Zudem sollen die Verfahren sicherstellen, dass diese Menschen die Bundesasylzentren möglichst rasch wieder verlassen, um Unterbringungsplätze für diejenigen freizuspielen, die Schutz brauchen.
Sowohl die gehäuften Polizeikontrollen als auch die 24-Stunden-Verfahren dürften rasch Wirkung zeigen. So sagt der Basler Maghreb-Experte Beat Stauffer gegenüber SRF: «Wenn diese Verfahren in der ganzen Schweiz eingeführt werden, bin ich überzeugt, dass man im Maghreb zwei Wochen später davon weiss und dass sich zumindest die Schleuser und die gut informierten Migranten an dem orientieren.»
Kommt hinzu, dass die Rückführungen in die Maghreb-Staaten laut Staatssekretariat für Migration (SEM) «grundsätzlich gut funktionieren.» Die Zusammenarbeit habe sich in den letzten Jahren stetig verbessert, sagt Kommunikationschef Daniel Bach zu Bajour. «Rückführungen waren schon immer möglich, in letzter Zeit funktionieren auch die Identifikationen immer besser.»
Zu Rückführungen kann es kommen, wenn sich Menschen irregulär in der Schweiz aufhalten, zum Beispiel also kein Asylgesuch stellen oder das Asylgesuch bereits abgelehnt wurde. Kantone können Wegweisungen aussprechen, danach erhält man eine Frist zur Ausreise. Lässt man diese verstreichen, wird eine begleitete Rückführung organisiert. In Basel kann das Migrationsamt in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei Personen, die sich nicht weiter im Stadtkanton aufhalten dürfen, auch an die französischen wie die deutschen Grenzbehörden übergeben.
Das Drogenproblem im Kleinbasel mag also bis zu einem gewissen Punkt auch eine Folge der illegalen Migration sein. Dennoch wäre naiv zu glauben, dieses würde gelöst, wenn die Menschen aus dem Maghreb verschwänden. Tatsächlich verticken manche von ihnen auf der Dreirosenanlage Haschisch, während Dealer aus Westafrika rund um den Claraplatz Kokain verkaufen. Doch das Problem ist vielschichtiger: Solange Drogen nicht legalisiert werden, wird es einen Handel geben.
Ausserdem leiden Asylsuchende aus dem Maghreb oftmals selber unter einer Drogen- beziehungsweise Medikamentensucht, wie eine Reportage von 20 Minuten vergangenen September eindrücklich zeigte. Das Problem: Kommen sie nicht an ihren Stoff, können sie sich äusserst aggressiv verhalten. Plachesi bestätigt: «Pregabalin und andere Arzneimittel werden bei nordafrikanischen Asylsuchenden sehr häufig festgestellt und konfisziert.»
Dies ändert den Blick auf die Sache: Kriminelle Asylsuchende werden damit zu (heimatlosen) Süchtigen. Hierbei ist wichtig zu betonen: Es handelt sich um einen kleinen Teil der Geflüchteten. Die wenigsten von ihnen sind drogensüchtig oder kriminell.
Die Schwerpunktaktion der Polizei war nur eine von vielen Massnahmen, die die Regierung präsentiert hatte. So steht es um die restlichen:
- Private Sicherheitsdienste: Bisher wurde beim zuständigen Gesundheitsdepartement kein Bedarf für einen zusätzlichen Sicherheitsdienst angemeldet. Auch keine Schule hat bisher davon Gebrauch gemacht.
Präsenz des Rangerdiensts: Seit Januar 2024 ist der Rangerdienst ganzjährig an 15 bis 20 Tagen pro Monat jeweils vier bis sechs Stunden im Einsatz. Die Ranger haben gemäss dem zuständigen Präsidialdepartement weniger Gewaltereignisse erlebt, allerdings waren in den kalten Monaten auch weniger Personen auf der Dreirosenanlage anwesend.
Mittler*innen im öffentlichen Raum: Das Team der Mittler*innen im öffentlichen Raum ist seit Mai um eine Person vergrössert worden. Ihre Hauptaufgabe besteht weiterhin darin, Personen mit Suchtmittelkonsum im öffentlichen Raum individuelle Unterstützung auf freiwilliger Basis anzubieten. Diese Einzelfallbegleitung kann sich gemäss Gesundheitsdepartement positiv auf Szenebildungen auswirken.
Angebot der Kontakt- und Anlaufstellen: Die K+A Dreispitz ist seit dem 10. April neu an drei Abenden (Di/Mi/Do) geöffnet, wodurch sich die Süchtigen in der Stadt besser verteilen sollten. Auch die Anzahl Konsumplätze im Inhalationsraum konnte bereits erhöht werden. Aussagen über die Wirkung der Massnahmen sind laut Gesundheitsdepartement verfrüht.
Längere Öffnungszeiten der Notschlafstelle: Ein Pilotprojekt soll prüfen, ob durch längere Öffnungszeiten ein Beitrag zur Entspannung der Situation im unteren Kleinbasel geleistet werden kann. Die Umsetzung des Pilotprojekts wird gemäss Wirtschaftsdepartement in den Monaten Juni und Juli erfolgen; die beiden Notschlafstellen werden dann bis um 10.30 Uhr geöffnet sein.
Bauliche Massnahmen: Bereits umgesetzt wurde die Installation zusätzlicher Beleuchtungskörper auf der Dreirosenanlage und auf dem Kasernenhof, um das subjektive Sicherheitsempfinden zu erhöhen. Auch wurde eine der Bänke in der Nähe der Primarschule Dreirosen entfernt. Zudem wird die WC-Anlage auf dem Matthäusplatz seit Anfang Jahr von einem Schliessdienst jeweils nachts um 20 Uhr abgesperrt. Der Vorstand des NQV Unteres Kleinbasel schreibt dazu: «Die Situation auf dem Matthäusplatz hat sich dadurch entspannt.»
Videoüberwachung auf der Dreirosenanlage: Die im Sommer 2023 installierte Videoüberwachung auf der Dreirosenanlage wird bis Ende 2024 fortgeführt.