Klima-Killer Baubranche? Ein Ritt auf der Abrissbirne

Das Schweizerische Architekturmuseum nimmt die Klimabilanz der Baubranche in den Blick. Soviel vorneweg: Es sieht nicht gut aus.

SAM Abriss
Philippe Grossenbacher zeigt eine Fahne. Countdown 2030 will diese als Botschaft auf Baugerüsten einsetzen. (Bild: Daniel Faulhaber)

Ein Ticketautomat begrüsst die Besucher*innen zur Ausstellung «Die Schweiz: Ein Abriss», die im Schweizer Architekturmuseum SAM zu sehen ist. Die Quittung? Kommt später. Hinter dem Automaten liegt, begleitet vom Sound eines pochenden Herzens, die «Strasse der verlorenen Häuser». Bauten aus Basel, St. Gallen, Zürich, Luzern oder Olten, die der Abrissbirne zum Opfer fielen und hier mit Geburts- und «Todesjahr» wie ein tristes Empfangskommando Spalier stehen. 

Wie bringt man so eine staubtrockene Materie wie den Verlust grauer Energie ins Museum? 

Nun, man kann sie zum Beispiel einfach reintragen. Im zweiten Raum türmen sich Mauerstücke und herausgerissene Heizkörper zu einem begehbaren Anschauungsbeispiel in Sachen Bauschutt. Ein Video zeigt gigantische Baggerarme, die Mauern abbrechen und Hauswände zertrümmern, als wären sie aus Papier. Only seeing is believing (nur wer sieht, der*die glaubt) lautet ein Sprichwort, das hier wie mit der Baggerschaufel über die Besucher*innen ausgekippt wird. 

Es kracht und donnert und irgendwo tickt laut eine Uhr. 500 Kilogramm Bauabfall produziert die Abriss-Kultur. Pro Sekunde. Die Schweiz – ein Abriss ist durchaus eine Ganzkörpererfahrung.

Abriss
Bauschutt im Museum. Die Ausstellung ist eine Ganzkörpererfahrung. (Bild: Schweizerisches Architekturmuseum)

Und das ist so gewollt, denn der Verein Countdown 2030, ein Kollektiv aus Architekt*innen und Expert*innen aus der Baubranche, will die Besucher*innen nicht nur ästhetisch unterhalten, sondern zum Handeln bewegen. «Aktivist», steht folgerichtig auf dem Ansteckknopf von Philippe Grossenbacher, der in der Mitte der Ausstellung steht und an seinem Computer tippt. Das hier ist gewissermassen sein Büro. 

Ein Arbeitsplatz mitten im Museum, auch das ist Teil des Konzepts. Die Botschaft: Das hier ist ein Prozess. Du, Besucher*in, arbeitest mit. 

Im Zweifel wird abgerissen

Grossenbacher, der an der ETH Architektur studierte und zum Verein Countdown 2030 gehört, sagt, er selbst sehe die Stadt seit dem «Abriss» mit anderen Augen. «All die Gerüste, die Gruben und Baustellen werfen die Frage auf, ob nicht auch eine Umnutzung oder ein Umbau möglich gewesen wäre?» Nach Ansicht des Vereins Countdown 2030 ist diese Frage in der Baukultur nicht präsent genug. «Im Zweifel wird abgerissen», sagt Grossenbacher. 3000 bis 4000 Gebäude verschwinden laut Bundesamt für Umwelt pro Jahr.

Und das kostet Energie: Dreissig Prozent der Schweizer Treibhausgasemissionen werden durch die Baubranche verursacht. 

Grossenbacher sagt, im Studium an der ETH hätten Fragen der Nachhaltigkeit durchaus eine Rolle gespielt. «Aber im Beruf ist man dann plötzlich mit ganz anderen Bedingungen konfrontiert.» Das Geld fliesst dort, wo Renditen winken. Und die winken vor allem aus Neubauten. «Viele Objekte werden nach nur 40 Jahren abgerissen, obwohl ihre Lebensdauer ein Vielfaches davon sein könnte», sagt Grossenbacher. Dabei werden auch soziale Netzwerke und bezahlbarer Wohnraum zerstört.

«Die Menge wäre nicht so relevant, wenn die Bauabfälle als Ressourcen für den Neubau zirkular verwendet würden.»
Countdown 2030-Mitgründer Leon Faust im Branchenmagazin Baublatt

An den Wänden dieses Büros kleben Diagramme und Fachartikel, Mindmaps, Tabellen. Ein Wandbild geht der Frage nach, was mit all dem Bauschutt eigentlich passiert? Ein Grossteil wandert auf Deponien. Endstation. «Die Menge an Bauabfällen wäre nicht so relevant, wenn diese als Ressourcen für den Neubau zirkular verwendet würden», sagt Countdown 2030-Mitgründer Leon Faust in einem Interview mit dem Branchenmagazin Baublatt. 

Um auf den Umfang des Rückbaus zu dokumentieren, hat Countdown 2030 den Abrissatlas ins Leben gerufen. Dort werden durch per Crowdsourcing, also durch Bürger*innen, Abrisse eingetragen und die Geschichten der Häuser dokumentiert. In der Region Basel sind auf dem Atlas bereits etliche Abrisse eingetragen.

Abrissatlas
Die schwarzen Punkte stehen für Abrisse in der Region Basel. (Bild: abriss-atlas.ch)

Unter der Faktendichte an den Wänden im Zentrum der Ausstellung bleibt nicht viel Platz für Einwände und Ambivalenz. Ist jeder Abriss ein schlechter Abriss und jeder Neubau des Teufels? Grossenbacher sagt: «Wir wollen Bestandsbauten nicht grundsätzlich einfrieren, was nicht zerstört werden darf, beurteilt die Denkmalpflege.» 

Er wünscht sich, sagt er, dass ein Umdenken stattfindet. «Es braucht einen Paradigmenwechsel mit Fokus auf den Umbau.» 

Ein Anliegen, dass in der Bevölkerung und Stadtplanung durchaus Gehör findet, wie ein aktuelles Beispiel nahelegt. Als Mitte September das Städtebauliche Leitbild für das Transformationsareal Klybeckplus vorgestellt wurde, waren darin die Anzahl der Bauten, die erhalten und umgenutzt werden sollen, gegenüber den Plänen früherer Entwürfe gestiegen. Die Bevölkerung hatte an Partizipationsveranstaltungen darauf gedrängt. 

Die Ausstellung Abriss endet in einem dramatisch ausgeleuchteten Raum mit Tisch in der Mitte. Darauf liegt eine Petition zuhanden des Bundesrats, etwas «gegen den Abriss in der Schweiz zu tun». 

Am Ausgang halten wir unser Eintrittsticket unter den Scanner der Ticketmaschine. 72 Minuten waren wir im Museum. Das sind 4333 Sekunden, rechnet der Scanner und spuckt dann aus, wieviel Bauabfall während der Dauer des Ausstellungsbesuchs entstanden ist: 

Es sind 2335 Tonnen.

Abriss
(Bild: Daniel Faulhaber)
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