Nackte Tatsachen und eine kalte Dusche

Es ist ganz einfach: Wenn die Leute während der Art Basel nicht raus aufs Land nach Bottmingen kommen, um das Resonanz Festival zu bestaunen, geht das Künstler*innen-Kollektiv Ansichtssache eben in die Stadt – und provoziert mit nackter Haut.

Kollektiv Ansichtssache
Marinus Börlin, Jasmine Noemi Jetzer und Andrin Grimm auf dem Gelände in Bottmingen. (Bild: Valerie Wendenburg)

Eine kalte Dusche – davon träumen wohl viele Art-Basel-Besucher*innen bei Temperaturen über 30 Grad diese Woche. Zu finden ist sie – als benutzbares Kunstwerk – in Bottmingen, wo das Kollektiv Ansichtssache mit ihrem Resonanz-Festival ein Echo zur Art Basel in der Stadt erzeugen möchte. Auf dem Gelände des ehemaligen Unterwerks von Primeo-Energie präsentieren aktuell mehr als 20 Künstler*innen ihre Werke.

Unter ihnen auch Sascha Alexa Martin Müller, deren aus Stahl verzinkte Badewanne namens «Wasserlassen» in regem Gebrauch ist. Der Eimer, der über der Wanne befestigt ist, füllt und entleert sich selbständig in regelmässigen Abständen und sorgt für die nötige Abkühlung. «Klar kann man die Badewanne auch kaufen», sagt Andrin Grimm, einer der Künstler*innen vom Kollektiv Ansichtssache. 

Kollektiv Ansichtssache Art Basel
Eine kalte Dusche gefällig? (Bild: Valerie Wendenburg)

Er hat gerade vegane Burger für die Besucher*innen auf dem Gelände gebraten (als Protest-Aktion gegen das US-Fastfood-Unternehmen McDonalds) und lädt sie anschliessend dazu ein, sich erst einmal in Ruhe auf dem Gelände umzuschauen. Es sind nicht allzu viele Interessierte, und so hat man die Kunst zum Anfassen, die teilweise auch sehr kuschelig ist, teilweise ganz für sich.

Der rosa Wurm des Künstlers Benjamin Burgunder, auf dem man sich ausruhen und nach der Dusche sogar ein Nickerchen halten kann, ist so gemütlich, wie er aussieht (wir haben getestet). Auch er kann erworben und mit nach Hause ins Wohnzimmer genommen werden – aber noch liegt er faul in der ehemaligen Trafohalle auf dem Betonboden, als würde er dort hingehören. Alle anderen Kunstwerke sind auch noch zu haben, denn: «Bisher haben wir keine Kunst verkauft», so Grimm. «Aber das Festival dauert ja noch ein paar Tage.» 

Kollektiv Ansichtssache
Der pinke Wurm ist gemütlich und zahm. (Bild: Valerie Wendenburg)

Seine Kollektiv-Kollegin Jasmine Noemi Jetzer sagt: «Natürlich hoffen wir, dass die Leute auch Kunst kaufen, aber davon gehen wir gar nicht unbedingt aus.» Denn viele seien aufgrund der instabilen Weltlage zurzeit eher zögerlich, in Kunst zu investieren. Marinus Börlin, der dritte im Bunde des Kollektiv Ansichtssache, der gerade eine Lieferung Getränke entgegengenommen hat, kommt dazu und sagt, dass das Festival mit mehr als 200 Besucher*innen an der Eröffnung super gestartet sei, der Andrang nun aber nachgelassen habe.

«Es ist schwer, die Leute aus der Stadt von der Art Basel hierher zu locken, das war uns aber vorher klar.» Was ihn begeistert, ist der Mix aus Menschen, die aufs Areal kommen. «Frauen mit Louis-Vuitton-Brille stehen hier neben Leuten mit Punk-Tattoos», sagt Börlin. Und Jetzer fügt hinzu: «Klar wären wir happy, wenn noch mehr Menschen aus der Stadt raus nach Bottmingen kommen, wie letztes Jahr beim Basel Social Club.»

Der sei aber schon viel etablierter und es sei nun das erste Resonanz-Festival, das erst noch bekannt werden müsse: «Die Leute, die den Weg zu uns finden, sind begeistert und sagen es weiter. Das freut uns.» 

Elsa Maria Keefe Art Basel
Elsa Maria Keefe im Bajour-Interview im Unterwerk Bottmingen. (Bild: zVg)

Und wenn die Art-Besucher*innen nicht raus nach Bottmingen kommen, dann geht das Festival eben in die Stadt. Zusammen mit der US-amerikanischen Künstlerin Elsa Maria Keefe, die aus New York zur Art Basel nach Bottmingen gereist ist, macht das Kollektiv Ansichtssache mit einer speziellen Performance auf sich aufmerksam.

Keefe erforscht in ihrer Arbeit die Verbindung zwischen Körper und Geist und unsere Beziehung zur Welt, wie sie sagt. Im Rahmen ihrer Performance «We are the earth» bewegt sie sich alleine oder gemeinsam mit anderen Kunstschaffenden splitternackt durch Basel. Es habe sie schon Mut gekostet, nackt durch die Strassen zu laufen, erzählt sie (komplett entkleidet) im Gespräch.

Aufsehen erregend

Zumal ihre Erfahrungen aus den USA keine guten seien: «An der Art Miami und auch bei einer Performance in Colorado bin ich sofort von zwei bewaffneten Polizisten verscheucht worden», sagt sie. In Basel aber seien ihr alle Menschen mit Offenheit begegnet, selbst die Polizei sei überaus freundlich gewesen und habe sie – zumindest in den ersten Tagen – gewähren lassen. 

Als sie aber gestern wieder nackt durch Basels Strassen vom Wettsteinplatz bis zum Messeplatz lief, hat die Polizei sie am Claraplatz angehalten und ihr freundlich mitgeteilt, dass sich Menschen durch ihren Auftritt gestört fühlten. Keefe hat sich dann für den Rest der Aktion ein eigenes Bild um den Körper gebunden und ist leicht bekleidet weitergelaufen.

Elsa Maria Keefe Art Basel
Nackt-goldene Performance auf Basels Strassen. (Bild: Irena Nowacka)

Was aber möchte Keefe mit ihrer künstlerischen Intervention in der Stadt erreichen? Und welche Wirkung kann sie überhaupt mit ihrer Nacktheit erzielen? Sie sagt: «Die Gespräche, die entstehen, wenn ich mich nackt in einem öffentlichen oder privaten Raum zeige, sind viel tiefgründiger als sonst.» Sie wirke verletzlicher und die Menschen würden sich ihr schneller öffnen.

Ein positives Körperbild

Und sie berichtet wild gestikulierend (nach wie vor nackt) von Projekten, bei denen sie tiefgründige Gespräche über Körperwahrnehmung, Sexualität oder gesellschaftliche Unterdrückung geführt habe. Es gehe ihr vor allem um Body Positivity und darum, Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, ein positives Körperbild zu entwickeln. «Wir wachsen viel zu schambehaftet auf», sagt sie. «In den USA sehen viele Jugendliche zum ersten Mal im Leben eine nackte Frau, wenn sie einen Porno schauen.»

Dagegen will sie angehen und mit ihrer Performance auch ein klares Statement setzen: «Ich hinterfrage mit meinem Auftritt auch die Nebeneffekte der Pornoindustrie. Denn sie verstärkt die Scham und das Unbehagen in Bezug auf den menschlichen Körper.» Keefe ist voller Energie und kaum zu stoppen, wenn sie über die Themen spricht, die ihr am Herzen liegen. Der Hype um den perfekten Körper, die Schönheitsindustrie – das alles sind Dinge, denen sie eine natürliche und nackte Alternative entgegenstellen möchte «wie von der Natur geschaffen». 

Elsa Maria Keefe
Wieder angezogen posiert Elsa Maria Keefe vor ihren Kunstwerken. (Bild: Valerie Wendenburg)

Keefe möchte auch weiterhin nackt unterwegs sein, immer auf der Suche nach Gesprächen mit Menschen, die teilweise auch Scheu haben, sie anzusprechen. Denn nicht jede*r geht so natürlich mit ihrem unbekleideten Körper um wie Keefe, die auch während des Gesprächs mit Bajour immer wieder Dehnübungen macht und mit ihrer Nacktheit provoziert.

Ihr Agent Chris Stocker, der aus Basel kommt und in den USA arbeitet, kommt (schick angezogen) zum Gespräch hinzu und sagt, für ihn sei die Kunst und Performance von Keefe auch ein kultureller Austausch zwischen der Art Miami und der Art Basel.

Unterwerk Bottmingen
Das Resonanz-Festival findet im Unterwerk in Bottmingen statt. (Bild: Valerie Wendenburg)

Die Intervention wirft Fragen auf und regt zum Nachdenken über den menschlichen Körper oder auch zum Kopfschütteln an. Eine der Zuschauer*innen sagt zu Bajour, sie finde die Performance «cool», ein anderer «witzig», aber auch «strange», und eine Frau fragt unsicher: «Ist das Kunst?»

Auch wenn die Performances vom Kollektiv Ansichtssache als Erfolg gewertet werden, ist es noch nicht gelungen, die staunende Menge der Beobachter*innen aufs Land ins Bottminger Unterwerk zu locken. Es sei zu früh, um ein Resümee zum Resonanz Festival zu ziehen, sagt Jecker. Und Grimm ergänzt, während die anderen beiden zustimmend nicken: «Es ist uns aber auf jeden Fall gelungen, einen Funken zu entfachen».

Ob die Kunstwelt in Bottmingen auch Feuer fängt, kann man wohl erst am Ende der Art Basel sagen. Denn noch läuft das Festival mehrere Tage und Abende mit Performances, Workshops und Partys. Und alle Besucher*innen seien herzlich willkommen, auch wenn sie sich nur mal schnell ein kaltes Bad oder eine Ruhepause auf dem Land gönnen möchten.

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Valerie Wendenburg

Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

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