Sind wir je mit 50 km/h über die Mittlere Brücke gerotzt?
Immer wieder streitet sich die Politik über Themen, die später zu einer Selbstverständlichkeit werden. Wird der Entscheid des flächendeckendes Tempo 30 auch so einer sein? Ein subjektiver Blick in die Vergangenheit:
Am Donnerstag entschied sich der Grosse Rat knapp für Tempo 30 in Basel. Er überwies eine Motion, die den Regierungsrat dazu beauftragt, innerhalb von zwei Jahren ein Konzept für flächendeckendes Tempo 30 auszuarbeiten. Eine Entscheidung, die für Gesprächsstoff sorgt. Für viele ist diese Geschwindigkeitsbeschränkung etwas Unvorstellbares, aber nun soll sie Realität werden.
Flächendeckend Tempo 30 tönt ziemlich revoluzzermässig, wie der feuchte Traum der Bio-Wollpullover-Körnlipicker-Fraktion. Gerade in einem Land wie der Schweiz, wo früher die Sozialdemokratie höchstpersönlich dafür sorgte, dass auch jeder Arbeiter sich ein Auto leisten kann.
Bei höchst umstrittenen Entscheiden ist es aber häufig so: Nach anfänglicher Aufregung und journalistischen Ergüssen darüber, wie das kontinuierliche Beschneiden der Freiheit jetzt die ganze Gesellschaft umwälzen und den Bürger in ein Zwangskorsett zwängen würde, passiert: nicht viel. Nach kurzer Zeit hat man sich einfach daran gewöhnt
Beispiele gefällig?
Fahrverbot auf der Mittleren Brücke
Keine zehn Jahre ist es her, als noch Autos über die Mittlere Brücke fuhren. Nur noch Fussgänger*innen, ÖV und Velos machen ihren Weg auf die andere Rheinseite über die älteste Basler Rheinbrücke. Mittlerweile hat man sich an diese Umstellung gewöhnt und stellt sie auch nicht in Frage.
Auch an anderen Orten in Basel sah man früher Autos, die jetzt stören würden. Mitten auf dem Münsterplatz reihten sich die Wagen aneinander, wo an der Fasnacht nur noch die Laternen stehen. Heutzutage ist das unvorstellbar, auch wenn die Argumente damals ähnlich aussahen, wie die, der heutigen Parkplatzdiskussion.
Rauchverbot
In Zügen qualmte man vor nicht allzu langer Zeit noch entspannt eine Zigarette. Erst 2005 wurde das Rauchen in jeglichen Zügen und Bussen in der Schweiz untersagt. Und jetzt scheint es eine ferne Vergangenheit zu sein. Ein solches Verbot rückgängig zu machen, wäre unheimlich schwierig, so sehr haben wir uns an die rauchfreie Luft in den Wagons gewöhnt.
Dasselbe gilt für die Beizen. 2013 lautete ein Titel der BaZ «Ohne Raucher droht Beizern der Ruin», ob die Beizer das Verbot überlebt haben? Von der Norm, in Innenräumen zu rauchen, sind wir in der Schweiz abgekommen. Bilder von glimmenden Zigaretten in Flugzeugen und Büros würden bei denen, die diese Zeit nicht miterlebt haben, nur verdutzte Blicke einholen.
Frauenarbeit
Bis 1981 brauchten verheiratete Bürgerinnen die Erlaubnis des Ehemanns, wenn sie arbeiten wollten. «Ein junges Mädchen, das bewusst oder unbewusst mit der Möglichkeit einer Heirat rechnet, wird nie mit demselben Eifer am Aufbau einer Karriere arbeiten wie der gleichaltrige junge Mann», hiess es in einer Ausgabe der Schweizer Illustrierte aus 1963. Jetzt wird die Stellung der Frau von niemanden in Frage gestellt.
Frauenstimmrecht
Auch wehrte sich die Schweiz lange gegen das Frauenstimmrecht. «Die Verwirklichung des Frauenstimmrechts liegt nicht im Interesse der Frauen; sie hätte verhängnisvolle Folgen», hiess es damals von einem Ständerat, aus der katholisch-konservativen Fraktion. Aus dieser entstand nach der CVP die heutige Mitte. Ob eine dieser verhängnisvollen Folgen das Tempo 30 ist?
Fristenlösung
Das Thema Abtreibung war lange Tabu, mit der Fristenlösung wurde auch diese Hürde, zumindest teilweise, überwunden. Damals kursierten makabere Sprüche wie: «Die Fristenlösung macht aus der Gebärmutter eine Todeszelle.» Ganz hinweg sind wir über diese Diskussion aber noch nicht. Mittlerweile wieder die gesetzliche Lage wieder in Frage gestellt, aber, ob die Vorhaben mehrheitsfähig sind, wird sich erst noch rausstellen.
Tempo 30 soll nicht einfach in den gleichen Topf wie diese wegweisenden Entscheide geworfen werden. Sie zeigen aber auf, wie schnell sich eine Tonalität in der Gesellschaft bei kontroversen Themen ändern kann.
Nun stellt sich die Frage, wie werden wir und die zukünftigen Generationen auf diesen Entscheid zurückblicken? Wird das flächendeckende Tempo 30 zu einer Selbstverständlichkeit oder bleibt es ein umstrittenes Thema?
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