Liebe Fondation Beyeler, wann darf ich einziehen?
Der Kunstgott Ólafur Elíasson hat dem Museum in Riehen ein natur-futuristisches Facelifting verpasst – und es in einen Ort verwandelt, wo alle Sorgen magischerweise verpuffen.
OH. MEIN. GOTT. Ich stehe vor der Fondation Beyeler, und nichts ist mehr so, wie es mal war. Die grosse Glasfassade des Museums? Weg. Die Innenwände, an denen sonst unschätzbar wertvolle Kunstwerke hängen? Nackt und leer. Der schicke Seerosenteich draussen? Trockengelegt – und durch eine giftgrüne Flüssigkeit ersetzt, die sich bis weit im Inneren des Museums ausbreitet.
Was ist passiert? Ólafur Elíasson ist passiert. «Life» heisst seine Installation, die dem Kunstmuseum in Riehen derzeit ein neues Gesicht verpasst. Wahnsinn!
Ich muss ein Geständnis ablegen: Ich habe noch nie in meinem Leben über Kunst geschrieben. Heute will ich’s versuchen.
Wieso?
«Ólafur Elíasson ist ein Kunstgott, den darfst du auf keinen Fall verpassen», schwört meine kunstbeflissene Bajour-Kollegin Naomi, die sich gerade in den Ferien entspannt. «Ólafur Elíasson ist ein Kunstgott, den darfst du auf keinen Fall verpassen», schwört auch meine kunstbeflissene Frau, die von 2013 bis 2019 in der Fondation Beyeler gearbeitet hat (gut, objektiv ist anders).
Wehe mir, den Beiden zu widersprechen.
Ein bisschen Zuversicht
Bevor ich, der bislang eine glückliche Existenz als passiver Kunstgeniesser verbringen durfte, nach Riehen aufgebrochen bin, zupfte noch der journalistische Ehrgeiz an meinem Gewissen. Ich plauderte also mit meiner Frau über die bisherigen Elíasson-Ausstellungen, die wir zusammen besucht haben. Ich kramte ein paar mittelaktuelle Interviews mit dem 54-Jährigen hervor. Und ich las aufmerksam Elíassons Statements zu «Life», die er für die Presse fein säuberlich in einem downloadbaren PDF hinterlegt hat.
Ein Bruchteil an Zuversicht kam in mir auf, immerhin kannte ich jetzt ein paar Basics:
- Elíasson lebt seit dreissig Jahren in Berlin.
- Er ist zwar Däne, verbrachte seine Kindheit aber bei seinen Grosseltern in der rauen isländischen Natur.
- Das prägt ihn offenbar bis heute, Elíasson macht Kunst an der Schnittstelle zur Natur, von Skulpturen bis zu gross angelegten Installationen wie jetzt beim Beyeler.
Berühmt wurde er mit einer künstlichen Sonne, die im Winter 2003/2004 die Besucher*innen im Tate Modern in London warm hielt, zuletzt entwickelte er für die deutsche Bundesregierung eine App, in der Kinderstimmen Umweltprobleme benennen. Der «Spiegel» hielt letzten Sommer fest, Eliasson sei der «wichtigste Künstler seiner Generation».
Besucher*innen-Limite ist ein Glücksfall
Doch all das habe ich schlagartig wieder vergessen, als ich am Mittwochabend bei der Fondation Beyeler eintreffe und die Installation erblicke. Elíasson ist auch deshalb so beliebt und erfolgreich, denke ich mir, weil seine Kunst sofort ins Auge sticht und dabei verdammt cool aussieht (so viel zum meinem Kunstkritikervokabular).
Als ich auf den Holzplanken weiter ins Innere des Museums schreite, ahne ich: Das ist höchstens die halbe Wahrheit.
Klar, ich besuche die Ausstellung im Rahmen eines Pressetermins, ausser mir bewegt sich gerade niemand weiteres durch die Ausstellung, ich habe sie ganz für mich allein. Doch um seinen Platz wird man nicht kämpfen müssen, wenn «Life» an diesem Sonntag für die Öffentlichkeit öffnet. Der Zugang zur Ausstellung wird pandemiebedingt limitiert sein (derzeit auf 50 Personen pro halbe Stunde). Dem Museum entgehen dadurch sicherlich wichtige Einnahmen, doch für die Besucher*innen ist das ein Glücksfall.
Es lohnt sich nämlich, auf den Holzplanken, die nicht besonders breit sind, stehen zu bleiben und sich in aller Ruhe umzusehen. Fast scheint es, als wären Monets berühmte Seerosen von ihrem Stammplatz an der Wand heruntergefallen, direkt auf diese grüne Flüssigkeit. Ihre grelle Färbung wurde durch Uranin verursacht, steht in meinen Notizen, das ist ein non-toxischer Farbstoff, der üblicherweise dazu eingesetzt wird, den Wasserfluss zu studieren. Aha.
In den hinteren Räumen fliesst nicht mehr viel, dafür sind die Pflanzen – in Wirklichkeit Wasserlilien, Muschelblumen und Wasserfarne – hier zahlreicher und dichter vorhanden. Nicht zufällig, wird mir gesagt, sondern durchaus vom Künstler so beabsichtigt. Ein Sinnbild für die Natur, die ihren Platz in der menschlichen Domäne zurückerobert? Meine Elíasson-Basics fallen mir wieder ein und ich denke: könnte passen.
Eine warme Sorglosigkeit
Und dann ist er da. Dieser Moment, mit der sich diese Ausstellung wahrscheinlich für immer in mein Herz schliesst. Ich bin bis ans Ende der Holzplanke in der Mitte des mittleren Raums geschritten und blicke nun hinaus, durch die weite, fensterlose Öffnung, auf die grosse Hainbuche im Park. Der Baum spiegelt sich direkt vor mir im grünen Wasser, kopfüber und majestätisch gross. Ein Windstoss geht, kleine Wellen breiten sich über ihm aus. Und die Zeit bleibt für einen langen Moment stehen.
Ich sehe nur noch diesen Baum. Mein Blick wird unscharf, mein Kopf leert sich und ich meine, dass sich auch in meinem Nacken etwas löst. Ich kann nicht beschreiben, warum das geschieht, aber zum ersten Mal seit Jahren – seit ich Vater geworden bin vielleicht, oder seit Corona meinen und unser aller Alltag durcheinandergewirbelt hat – spüre ich so etwas wie eine absolute innere Ruhe, eine warme Sorglosigkeit.
Mir kommt danach etwas in den Sinn, das mir meine Frau mit auf den Weg gegeben hat: «Ólafur Elíassons Kunst ist eine, die man nicht nur ansieht, sondern erlebt.» Und ich verstehe jetzt auch das Statement des Künstlers, das er bewusst kurz gehalten hat, weil er die Besucher*innen dazu einlädt, «ihre eigenen Erwartungen, Erinnerungen, Gedanken und Gefühle mit in die Ausstellung zu nehmen». Die Ausstellung, schreibt Elíasson, erwache erst durch alle und alles, das in ihr aufeinandertrifft, zum Leben.
Ist das noch eine Kunsterfahrung, oder schon eine Lebenserfahrung? Bei Ólafur Elíasson wird diese Unterscheidung offenbar hinfällig.
Inzwischen ist es dunkel draussen. Ich merke jetzt, warum mir die Pressestelle des Museums geraten hat, die Ausstellung entweder zum Sonnenaufgang (haha, as if) oder zum Sonnenuntergang zu besuchen. Nun fluoresziert das Uranin im Wasser, und das Schwarzlicht aus den Röhrenlampen an der Unterseite des Museumsdachs tritt markant in Erscheinung. «Life» glüht in einem kräftigen Grün-Violett-Blau und taucht die Fondation Beyeler in den Look eines futuristischen Biotops.
Bis 21 Uhr ist die Installation theoretisch geöffnet, doch Türen, die sich verschliessen liessen, gibt es keine. Die Fondation Beyeler meldet, dass jede*r nach 21 Uhr ohne Ticket rein darf (der Rest des Museums ist von «Life» sicher abgetrennt).
Ich male mir unweigerlich aus, wie Menschen hier auch Schutz vor rauer Witterung suchen oder wie eine Gruppe Jugendlicher sich auf ein paar Bierchen trifft. Die Pressebeauftragte zuckt mit den Schultern und sagt: «Heute Nachmittag haben einige darüber gesprochen, hier Yogaübungen zu machen.»
Ein*e richtige*r Kunstkritiker*in könnte dir wahrscheinlich sagen, ob «Life» ein Meisterwerk ist und wie es sich in Ólafur Elíassons Oeuvre einreiht. Ich bin einfach dankbar, dass nach einem halben Jahr Shutdown endlich wieder ein Ort in Basel existiert, wo ich Kultur nicht mehr nur virtuell, sondern mit all meinen Sinnen spüren kann. Takk!