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Bolzplatz

«All work and no play makes me a dull girl» – Lasst die Spiele endlich beginnen

Manche unter uns sehen inzwischen statt Geisterspielen gleich Geister. Ein inspirierter Bolzplatz über Arbeit und Religion – und darüber, was das mit Fussball zu tun hat.

05/22/20, 09:12 AM

Aktualisiert 09/14/20, 12:12 PM

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Geisterspiel. Symbolbild.

Geisterspiel. Symbolbild.

Vergangene Woche rechtfertigte Bundesrätin Viola Amherd die neue Millionenhilfe für die Profiligen im Fussball und Eishockey mit der «sehr wichtigen Funktion», die diese in der Schweiz hätten. Dabei ist interessant, dass Amherd dies mit der Bedeutung der Profistrukturen für die Nachwuchsförderung und den Freizeitsport sowie ihrer wirtschaftlichen Bedeutung begründete. 

Ist Fussball in der Super League also sportlicher und wirtschaftlicher Selbstzweck?

Ich bin der Meinung: Fussball ist mehr. Der Spielbetrieb hat eine grössere Bedeutung – und das sowohl gesellschaftlich als auch individuell. Das zeigt sich ganz besonders in der aktuellen Corona-Lage. Wir alle hassen Geisterspiele. Fussball ohne Publikum ist Fussball ohne Atmosphäre. Der einzige Geist, der am Match zugelassen ist, ist der Geist von St. Jakob.

Neben dem Geist von St. Jakob sind die wichtigsten mir bekannten Geister der Geist des Kapitalismus und der Heilige Geist (Das Gespenst des Kommunismus sei hier einmal aussen vor gelassen, handelt es sich doch um ein Gespenst und keinen Geist.). Die Benediktinermönche folgen dem Leitspruch ora et labora - bete und arbeite. Die Reformation erhob das Prinzip zur Richtschnur für alle, wie der Soziologe Max Weber Anfang des letzten Jahrhunderts in «Die Protestantischen Ethik oder der Geist des Kapitalismus» feststellte.

Zu Religion und Politik empfehle ich dieses schöne Arbeiterlied, das Georg Herwegh im Schweizer Exil verfasste. Der deutsche Dichter liegt auf dem Friedhof in Liestal begraben.

Die moderne Schweiz ist eine Arbeitsgesellschaft, die auf einem puritanischen Arbeits- und Leistungsethos gründet. Dies macht sich im Fussball auf dem Feld bemerkbar. Oft wird darüber diskutiert, ob die Spieler Fussball spielen oder nicht lieber doch «arbeiten» sollten. 

Das kann man auch am aktuellen Fall sehr schön beobachten: Die Lohndebatte, die sich auch aufgrund des aktuellen 500-Millionen Pakets entspinnt, dreht sich unter anderem darum, welche Arbeitsleistung welchen Lohn rechtfertigt.

«All work and no play makes me a dull girl. Ich möchte etwas erleben und Teil von etwas Grösserem sein.»

Doch vor allem neben dem Feld wird die Arbeitsgesellschaft evident. Im Corona-Lockdown der vergangenen Wochen stellte sich die Frage, was bleibt, wenn nur noch arbeiten erlaubt ist. Ich vermisse den Fussball. Um es mit einem bekannten englischen Sprichwort zu sagen: All work and no play makes me a dull girl. Wenn ich an den Match gehe, dann tue ich das nicht, um den Nachwuchs zu fördern oder den Stadionbetrieb zu finanzieren. Ich möchte etwas erleben und Teil von etwas Grösserem sein.

Und hier kommt der Heilige Geist wieder ins Spiel. Ist nicht der Fussball an sich eine Religion?

Über die Spielererhebung zu Göttern

Ob nun Diego Maradona oder doch Oliver Kreuzer – wir alle kennen sie, die Erhebung von Spielern zu Göttern. Maradona war es zudem, der sogar eine moralisch verwerfliche Tat durch die Umkehrung der Vorzeichen heilig zu sprechen wusste. Es war die Hand Gottes, die den Ball spielte, nicht seine eigene. Und welcher Fan hat nicht schonmal vor einem wichtigen Penalty ein Stossgebet an den Fussballgott geschickt?

Die Projektion seiner selbst in eine Gottheit ist laut dem Philosophen Ludwig Feuerbach zentrales Kriterium einer Religion. Fortschritt in der Religionsgeschichte bedeute dann die Rücknahme dieser Projektion. Bei Maradona war dieser Evolutionsschritt 2005 gekommen, als er sein Handspiel zugab (dass ihm das gut getan hat, darf bezweifelt werden…). 

Mit dem Wegfall der Gottheit bleiben der Religion die anthropologischen Werte wie Liebe und Ewigkeit. Begriffe, die auch dem angefressenen Fussball-Fan nicht fremd sind. So ziert die Muttenzerkurve stets das Banner mit der Aufschrift: Rot isch unseri Liebi – blau die ewigi Treui.

«Nur dr Gaischt vo Sanggt Jakob, wais worum und wieso.» 

Die deutsche Bundeszentrale für Politische Bildung geht in einer Einschätzung noch weiter und verweist gar darauf, dass die Zukunft des Religiösen gänzlich ausserhalb der Kirchen zu suchen sei. Und findet sie ebenfalls im Fussballstadion. Die Begeisterung für das Stadionerlebnis ist demnach eine «unsichtbare Religion» . Überzeugt hat mich dabei vor allem der Verweis auf den Friedhof des HSV. Denn wer dort beerdigt werden will, muss meiner Meinung nach tatsächlich religiös verblendet sein…

Einst war die Religion, was abfällig als das «Opium des Volkes» bezeichnet wurde, in der heutigen Welt sind Grossveranstaltungen wie Fussballspiele an ihre Stelle getreten. Die aktuelle Lage ohne Fussball beweist allerdings, dass es eben nicht die opioide Betäubung ist, die fehlt. Es ist nicht der Konsum. Es ist das Erfahren und Tun, das ein Ventil bietet und Kraft spendet. Eben also doch ein bisschen wie der Glaube an eine Religion.

Man kann also Geistliches bis Geistreiches aufzählen, das dem Fussball zu eigen ist. Zuletzt bleibt allerdings die Feststellung eines Kurvenliedes: «Nur dr Gaischt vo Sanggt Jakob, wais worum und wieso.» 

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Miriam Baumeister ist Historikerin und schreibt zurzeit ihre Doktorarbeit. Neben dem FCB schlägt ihr Herz auch für den Kinder- und Amateurfussball.

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