Lasst meine Gebärmutter in Ruhe!
Ultrakonservative versuchen, während der Corona-Krise den Backlash auf Kosten von Frauenkörpern voranzutreiben – mit den jüngsten Vorstössen zum Thema Abtreibung. Ein Kommentar.
Dies hätte kein Haudrauf-Kommentar zu Abtreibungsgegner*innen werden sollen. Zuerst wollte ich gar keinen Kommentar schreiben. Ich wollte eigentlich – weil ich gefühlt Besseres zu tun habe – mit den Augen rollen und mit meinem Leben weitermachen.
Worum geht’s? Die beiden SVP-Nationalrät*innen Yvette Estermann und Erich von Siebental haben gerade zwei Motionen eingereicht. Sie wollen die Anzahl Spätabtreibungen reduzieren und Frauen «noch mehr über die Risiken einer Abtreibung einer Problemschwangerschaft informieren». Darf ich übersetzen? Menschen mit Uterus soll ein noch schlechteres Gewissen gemacht werden. Indem ihnen der potenziell tote und schwer behinderte Fötus noch ein bisschen ins Gesicht geklatscht wird.
Woher kommt dieser fundamentalistische Drang, anderen Menschen das eigene Weltbild überstülpen zu wollen?
Ethische Fragen sind nie einfach. Wir bewegen uns im Spannungsfeld zwischen dem eigenen Werterahmen, dem gesellschaftlichem Konsens und dem heutigen Stand der Wissenschaft. Die eigenen Werte als die richtigen anzusehen: Das machen wir alle. Aber es gibt in der Schweiz nur ein paar hundert Spätabtreibungen jährlich – aus medizinischen Gründen sowohl der Frau als auch des Embryos. Die Motionen behandeln also einen Nebenschauplatz. Das Perfide daran: Sie trauen sich nicht, das Recht auf Abtreibung direkt anzugreifen. Doch unter dem Deckmantel des Rechts auf Information wird immer wieder versucht, ultrakonservative Wertvorstellungen durchzudrücken.
Woher kommt aber dieser fundamentalistische Drang, anderen Menschen das eigene Weltbild überstülpen zu wollen? If you don’t like abortions, don’t get one. If you don’t like gay marriage, don’t get one. Aber lasse andere Menschen ihre eigenen Entscheidungen treffen.
Die Infantilisierung von erwachsenen Frauen
Wenn sich jemand aus religiösen Gründen bewusst für eine Handvoll Kinder entscheidet, dann ist das ein Leben gemäss sogenannten Familienwerten. (Natürlich nur, wenn es im Rahmen christlicher Eheliebe ist, sonst ist es logischerweise unüberlegtes Poppen wie die Karnickel – exotisierende Zuschreibungen hallo!)
Warum soll dann der Abbruch einer Schwangerschaft – unter besonderen Umständen – weniger bewusst geschehen? Estermann und Siebental argumentieren, die Frauen hätten zu wenig Informationen, um eine überlegte Entscheidung zu treffen. Damit infantilisieren sie erwachsene Frauen in diesem Land und sprechen Ärzt*innen Kompetenzen ab.
Gebärmütter, Brüste, Schenkel: Schlachtfelder der Jahrhunderte.
Auf dem Buckel von Frauen werden immer wieder Kämpfe ausgetragen. Werte von Gesellschaften werden stets auf Frauenkörpern verhandelt. Darauf, wie diese aussehen, was diese tragen sollen oder nicht tragen sollen – oder eben, was sie damit machen. Gebärmütter, Brüste, Schenkel: Schlachtfelder der Jahrhunderte.
Man kann sich des erkämpften gesellschaftlichen Fortschrittes nie sicher sein. Immer wieder gibt es Zurückdrängung, ob durch aktive Gegenschläge oder Krisen. Backlash wird das genannt. Siehe Corona: Plötzlich sind wieder vor allem Männer als Experten im Fernsehen, die Frauen als Homeschooling-Mütter zuhause.
Im Zweifelsfall hat sie diese Entscheidung mit niemandem abzusprechen. Nicht mal mit dem Erzeuger.
Dass es den beiden Nationalrät*innen weder um die Anzahl der Abtreibungen noch um das Verhindern von abgetriebenen Föten geht, zeigt eine kurze Suche in der Datenbank des Schweizer Parlaments. Als es nämlich darum ging, Verhütungsmittel für junge Frauen kostenlos zur Verfügung zu stellen, haben das die beiden abgelehnt.
Das ist nicht nur inkonsequent, sondern heuchlerisch.
Ich argumentiere ja selten mit der Biologie. Und es mag hart klingen, aber bei aller schwierigen ethischen Abwägung: Ob jemand eine Schwangerschaft weiterführen oder abbrechen will, geht niemanden etwas an. Ausser diejenige, die sämtliche körperlichen Konsequenzen aushalten muss. Im Zweifelsfall hat sie diese Entscheidung auch mit niemandem abzusprechen. Nicht mal mit dem Erzeuger.
Das heisst nicht, dass eine solche Entscheidung leicht ist. Im Gegenteil. Doch man kann sie mit solchen fundamentalistischen politischen Vorschlägen auch unnötig schwerer machen.
Und es ist ekelhaft, ungeborene Kinder mit einer Behinderung dafür zu missbrauchen.