Ein Roboter «beschmiert» das Tinguely-Porträt
Zum 100. Geburtstag des Basler Kinetikkunst-Pioniers Jean Tinguely haben die VKB seinen legendären Zeichenautomaten nachgebaut: Auf Knopfdruck kritzelt dieser auf Tinguelys Konterfei. Hinter der Laterne steckt der junge Streetartist Timo Waldner.
Jean Tinguelys Zeichenautomat und Graffiti sind sich gar nicht so unähnlich, wie man denkt. Beide stellen unser kulturelles Verständnis von Kunst infrage. Tinguely, indem er eine ratternde, sperrige Maschine baute, die malen kann. Kann eine Maschine ohne Künstler*in Kunst schaffen? Eine Frage, die auch mit generativer KI, die auf Knopfdruck Bilder produziert, hochaktuell ist.
Und Graffiti macht über die Grenzen der Legalität hinaus den öffentlichen Raum zur Leinwand und übersät diesen mit Botschaften, Symbolen und Bildern – wo sich eben grad eine weisse Wand bietet. Ist Vandalismus Kunst? Die illegalen Sprayereien von Banksy und Harald Naegeli jedenfalls stehen zumindest teilweise unter Denkmalschutz – oder, wie Tinguelys Zeichenautomat, im Museum.
Graffiti war in der Jugend prägend für Timo Waldner. Er stammt zwar aus einer Malerfamilie – schon als Kind war er die ganze Zeit bei seinem Grossvater im Atelier. Doch in der Streetart fand er seinen persönlichen Zugang zur Kunst. «Mir ging es nicht ums Rebellieren und Absetzen von aktivistischen Botschaften – um politisch etwas zu verändern, braucht es mehr als ein bisschen Farbe. Ich wollte einfach die Wände schön machen – damit die Leute vielleicht ein bisschen Freude haben, wenn sie aus dem Haus gehen.»
Ob Tinguely Freude hätte, dass die Vereinigten Kleinbasler (VKB) sein Gesicht als Larve tragen? Oder dass der Streetartist Waldner für die VKB sein Konterfei auch noch in voller Grösse auf eine Fasnachts-Laterne gemalt hat? Wahrscheinlich würde es ihm gefallen, dass die Laterne mehr als ein Kunstwerk, dass sie eine Performance ist. Denn ein Tinguely’scher Zeichenautomat bekritzelt auf Knopfdruck das graue Porträt mit bunten Farben. Vandalismus? Maschinen-Kunst? Ein Hingucker allemal.
Für Waldner, der bei den VKB von Anfang an die Sujetfindung begleitet hat, soll mit dieser Performance das «Selbstzerstörerische» von Tinguelys Arbeit künstlerisch umgesetzt werden. Stört es ihn nicht, dass sein mühsam gemaltes Porträt dann von einem Roboter übermalt wird? «Damit habe ich gar keine Mühe.» Es ist die Vergänglichkeit, die auch zur Streetart gehört – als er an der Breisacherstrasse ein grosses Wandbild mit Trauben umsetzte, wurde dieses in kürzester Zeit «gecrossed», also mit Tags übermalt.
Ein Graffiti-Künstler, der sich mit einem alteingesessenen Traditionsverein einlässt – passt das? Timo Waldner hat die jugendliche Ablehnung der Institutionen längst abgelegt. Er wollte an die Kunsthochschule gehen, was aber nicht geklappt hat – und sprayt heute Auftragsarbeiten. Doch Streetart kann man nur von Frühjahr bis Herbst machen, «da kommt für mich die Fasnacht im Winter gerade recht».
Waldner ist recht neu im Laternenmal-Game. Die Breo-Clique hatte ihn vor einigen Jahren angefragt, ob er nicht ihre Laterne machen wollte – sie wollten sich künstlerisch «verjüngern» und der Streetartist kam ihnen gelegen. «Ein Bubentraum» für Timo Waldner. Doch das war die Coronafasnacht, die im Endeffekt gar nicht stattfand. Um sich im Laternenmalen auszuprobieren, war es aber dennoch eine gute Übung für ihn.
Denn: Laternenmalen ist anspruchsvoll, wie er merken musste. Als Streetarist mit Erfahrung vom Bemalen ganzer Wänder hat er zwar keine Probleme mit der grossen Fläche von Laterne, die einige klassisch erprobte Künstler*innen vor Herausforderungen stellen. Aber trotzdem sei das Laternenmalen schwierig. Es sei eine ineffiziente Art des Malens, so Waldner, denn man müsse genau überlegen, welche Striche man wirklich setzen will. Ausbessern ist fast nicht möglich. «Man wird perfektionistischer durch das Laternenmalen.»
Für das Tinguely-Porträt hat Waldner eine Fotovorlage mit dem Beamer auf die Laterne projiziert. «Man kann eben nur sparsam mit Bleistift vorzeichnen», erklärt Waldner. Denn die wasserlösliche Farbe würde sonst den Bleistift verwischen. Und als Maler*innen muss man sogar den Aufbau eines Gemäldes auf Laternen direkt andersrum denken: «Beim normalen Malen beginnt man damit, dass man die dunklen Stellen zuerst malt und dann die hellen Sachen ergänzt», sagt er. «Beim Laternenmalen ist die Technik direkt umgekehrt: Wenn man einmal dunkler gemalt hat, kann man nicht wieder heller werden.»
Bei allem Perfektionismus – den Zeichenautomat hätte Waldner dann doch nicht selbst bauen können. Gebastelt wurde er von einem befreundeten Maschinenbauingenieur, «ein kleiner Daniel Düsentrieb», so Waldner. Ob das mit der Maschine überhaupt funktioniert, wurde dann eine Woche vor der Fasnacht ausprobiert – der Zeichenautomat malte einfach auf eine Folie, die über die Laterne gespannt wurde. Am schwierigsten sei noch die Suche nach den passenden Permanentmarkern gewesen, die auch funktionieren, wenn es regnet – mit Stiften aus der Tauchtechnik wurde Waldner dann fündig.
Auch für die Rückseite der Laterne haben sich Waldner und die VKB etwas überlegt. Tinguely lebte seine Kunst auch in seinem Briefverkehr aus: Die Nachricht war fast nebensächlich, es sind schräge, bunte Worte und Zeichnungen, die in unterschiedlichen Formaten das Briefpapier füllen. Genau das wurde für die Rückseite der Laterne reproduziert: Ein Brief der VKB an Jeannot Tinguely. Darauf steht:
«Lieber Jeannot, nur e Monsieur wie Du macht e Brunne vor em Centre Pomidou und vor em Basler Theater nomol ain: Denn Dyny Brünne sin Kunscht, drum stört das kain. Doch wenn anderi dringend d Bloose mien leere, göhn si d Plastik vom Serra go beehre.»