Liberale Rechtsabbieger
LDP-Doyen Christoph Eymann wirft der SP «fehlendes Verantwortungsbewusstsein» und «überrissene Forderungen» vor. Ein Blick in die Abstimmungsdaten zeigt: Alles eine Frage der Perspektive. Beziehungsweise: Die LDP ist nach rechts gerückt. Und das, obwohl sie neu zwei Regierungsrät*innen stellt.
In der Politik werfen sich Parteien gerne zu viel Ideologie und zu wenig Pragmatismus vor. Keine Ausnahme bildet der Basler LDP-Doyen Christoph Eymann. Letzte Woche kritisierte der ehemalige LDP-Würdenträger in einer BaZ-Kolumne die SP. Eymann monierte, die Sozialdemokrat*innen drückten mithilfe linker Mehrheiten «überrissene Forderungen» durch, zum Beispiel die 38-Stunden-Woche für Staatsangestellte: «Wer sich in der Mehrheitsposition befindet und so den Ton angeben kann, hat (...) eine grosse Verantwortung. Die SP als stärkste politische Kraft hat aus meiner Sicht in letzter Zeit diese Verantwortung nicht wahrgenommen», schrieb Eymann.
Alles eine Frage des Standpunkts?
Wenn Eymann das Gefühl hat, die SP politisiere zu links, könnte das daran liegen, dass seine LDP nach rechts rutscht. Das zeigt das Rating, das Sotomo im Auftrag von Bajour erstellt hat. Das Forschungsinstitut hat das Abstimmungsverhalten des Grossen Rates analysiert. Dabei zeigt sich folgende Tendenz: Während die SP auf ihrer bekannten linken Linie bleibt, hat die LDP in den letzten vier Jahren die FDP rechts überholt (siehe Grafik).
Der liberale Rechtsrutsch ist bemerkenswert: 2020 hat Basel-Stadt eine neue Regierung gewählt. Die Freisinnigen sind rausgeflogen, die LDP dagegen ist mit Conradin Cramer (bisher) und Stephanie Eymann (neu) seither mit zwei Regierungsrät*innen vertreten.
Normalerweise ist es so, dass sich Parteien mit zunehmender Regierungsverantwortung «einmitten», wie man so schön sagt. Nicht die LDP. Sie bewegt sich weiter nach rechts: Zwischen 2018 und 2022 ist die Partei vom Ratingwert 37.66 auf der rechten Seite bis auf 51.88 gerückt (+14.22). Die FDP, im Vergleich, steht bei 42.71 Punkten.
Woran liegt's?
Inhaltlich kommen einem verschiedene Klimageschäfte in den Sinn: So lehnte die LDP beispielsweise den Gegenvorschlag zur Klimagerechtigkeitsinitiative ab. Netto-Null bis 2037 wurde von der Bevölkerung mit über 62 Prozent bei der Stichfrage angenommen. Nicht so von der LDP. Und auch bei Vorstössen zu klimafreundlichem Zement und einer Offensive für Ladestationen für elektrische Autos stimmte die LDP Nein, während die FDP dabei war.
Unter dem Strich ist die LDP mit ihrer Rechtskurve aber nicht allein, sondern bekommt Gesellschaft von weiteren Bürgerlichen. Auch die genannte FDP rückte leicht nach rechts. Und die Mitte/EVP entfernte sich beispielsweise um 13 Punkte weg von der Skalamitte, die GLP um 3,8 Punkte.
Welche Partei wem wie nahe ist, ist auch spannend mit Blick auf die Nationalratswahlen im Herbst. Aktuell finden gerade Gespräche für Listenverbindungen statt. Heute Dienstag Abend entscheidet die LDP, ob sie mit GLP, Mitte/EVP und FDP in die Wahlen ziehen will.
Die SVP ist einmal mehr nicht dabei, nebst der Mitte hat auch die LDP der SVP eine Absage erteilt. Dafür soll aber die GLP ins Boot. Schaut man sich aber das Sotomo-Rating an, wird klar: Die LDP steht der SVP näher als der GLP.
Bei der SVP ist man nicht überrascht darüber. Die Volkspartei würde gerne auf die bürgerliche Liste, sie hätte dann eventuell Chancen auf einen allfälligen zweiten bürgerlichen Sitz. Entsprechend enttäuscht zeigt sich Parteipräsident Pascal Messerli: «Die LDP steht uns nahe.» Die Listenverbindung der Bürgerlichen mit der GLP sei daher ein reines Zweckbündnis. «Glaubwürdig ist das nicht.»
Das Grossrats-Rating wird nach der Methode «DW Nominate» berechnet. Dieses Verfahren wurde für den amerikanischen Kongress entwickelt und bildet die ideologische Ausrichtung der Parlamentarier*innen ab, ohne dass die einzelnen Abstimmungen bewertet werden müssen. Minus 100 bedeutet ganz links, plus 100 ganz rechts. Als Grundlage für die Berechnung der Grossrats-Auswertung 2022 wurden die 34’500 bei Abstimmungen und Schlussabstimmungen elektronisch abgegebenen Stimmen verwendet, die von Januar bis Dezember 2022 aufgezeichnet wurden und auf opendata.bs.ch in maschinenlesbarer Form publiziert sind. Bajour hat die Daten von der Forschungsstelle Sotomo auswerten lassen. Sotomo erstellt nach demselben Prinzip für die «NZZ» jährliche Ratings für den National- und den Ständerat, zuletzt im Dezember 2020. Die «bz» hat 2019 erstmals das Abstimmungsverhalten im Basler Grossen Rat nach demselben Verfahren analysiert. «DW Nominate» ist eine Abkürzung und steht für dynamisch-gewichtete, nominale Drei-Schritt-Berechnung.
Bei der LDP will man davon aber nichts wissen und verweist auf inhaltliche Unterschiede zur SVP. So sagt Parteipräsidentin und Nationalrätin Patricia von Falkenstein: «Das Rating geht nach rechts, aber deswegen ist die LDP nicht rechtslastiger geworden.» Sie verweist auf die Klimadiskussion. Die LDP nehme das Thema im Gegensatz zur SVP sehr ernst. «Wir sind einfach realistischer als die Linken». So plädiere die LDP für Netto-Null bis 2050 wie der Bund und unterstützen daher den nationalen Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative. Die SVP aber hat das Referendum ergriffen.
Ob es klappt mit der SVP-losen Basler Listenverbindung, zeigt sich in den nächsten Monaten. Am Dienstag Abend entscheidet die LDP darüber, im März die FDP. Ob rechtslastiger oder nicht: Der Sitz von LDP-Nationalrätin Patricia von Falkenstein gilt als gesichert.
Unter den restlichen Basler Parteien herrscht ein Zittern, weil Basel-Stadt einen der fünf Nationalratssitze abgeben muss. Der Freisinn spekuliert darauf, der GLP den Sitz von Katja Christ wegzuschnappen – und darf sich ohne SVP auf der Liste eher grössere Chancen ausrechnen, damit Erfolg zu haben. Und auch für die GLP sind die Chancen, den Sitz zu verteidigen, ohne SVP wohl grösser. Gesetzt den Fall, die bürgerliche Verbindung holt überhaupt genug Stimmen für einen weiteren Sitz.
Um den zweiten Sitz kämpfen muss übrigens auch die SP. Und auch diese hat naturgemäss keine Freude an der bürgerlichen Listenverbindung. Die Kritik geht dabei vor allem an die Grünliberalen und bezieht sich auf die bürgerliche Klimapolitik. So twitterte Co-Parteipräsidentin Lisa Mathys:
GLP-Parteipräsidentin Katja Christ ist überrascht, dass ihre GLP nach rechts geruckt sein soll. Zur Listenverbindung sagt sie trocken: «Das ist keine Hochzeit, es ist ein Zweckbündnis.» Es gehe darum, dass eine kleine Partei trotz ungünstigem Wahlsystem Chancen auf einen Sitz habe. Für die GLP ist klar: «Wir gehen nicht mit den Parteien an den äussersten Polen zusammen.» Ansonsten seien Listenverbindungen mit linken wie mit bürgerlichen denkbar.
Die Linke hat nie bei der GLP offiziell angeklopft. «Es würde dem modernen und offenen Basel entsprechen, wenn am Ende nicht alle Sitze inklusive Ständerat entweder links oder rechts landen, denn unser Kanton ist vielseitiger als die Grabenkämpfe vermuten lassen», sagt Christ. Im Ständerat sitzt Eva Herzog (SP) und das wird ziemlich sicher auch so bleiben.
Zurück zum Rating: Die von Eymann kritisierte SP und die SVP blieben ihrer Linie über die letzten Jahre übrigens am treuesten. Das Grünalternative Bündnis machte einen Linksrutsch, von -79.15 nach -82.43. Auch hier wird gekämpft: um den Nationalratssitz von Sibel Arslan.
Und was ist eigentlich mit der Mitte? Diese gibt es gar nicht unbedingt. Zumindest arithmetisch nicht. Aber dazu mehr in der detaillierten Auswertung aller Parteien und dem Abstimmungsverhalten der einzelnen Personen, welche wir in den nächsten Tagen publizieren.