Der Wegfall der Zertifikatspflicht würde statt mehr Freiheit bloss mehr Unsicherheit bringen
Sollte das Covid-19-Gesetz am 28. November an der Urne scheitern, bliebe dies nicht ohne Folgen für die Wirtschaft, das Gesundheitswesen und die Kultur- und Veranstaltungsbranche der Region Basel.
Die Zertifikatspflicht dividiere die Gesellschaft auseinander, sagen die Gegner*innen des Covid-19-Gesetzes, über die am 28. November abgestimmt wird. Auf der anderen Seite hilft diese Bestimmung, ein einigermassen normales öffentliches Leben zu führen. Wer über ein Zertifikat verfügt, also geimpft, genesen oder getestet ist, kann praktisch ohne Einschränkungen arbeiten, in den Ausgang, an die Herbstmäss und ins Fitnessstudio gehen.
Was bedeutet: Die Wirtschaft nimmt wieder Fahrt auf, die Produktivität steigt, der Konsum auch. Und besonders wichtig für die Region Basel: Die Landesgrenzen sind praktisch wieder frei passierbar.
Doch was geschieht, wenn das Gesetz Schiffbruch erleidet? Dann endet die Zertifikatspflicht am 19. März 2022. Mit viel Glück wütet bis dahin keine neue Corona-Variante, so dass die Folgen wenigstens epidemiologisch gering sind und die Spitäler deswegen nicht wieder an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen. Vielleicht ist die Bestimmung bis dahin sowieso obsolet, weil das Virus besiegt ist oder genügend Menschen geimpft sind. Das wäre schön, aber wohl leider nicht sehr realistisch.
Was dann, also? Die basel-städtischen Behörden malen eher schwarz. Regierungssprecher Marco Greiners zusammengetragenen Aussagen: Es würde eine grössere Unsicherheit herrschen – gesundheitlich und wirtschaftlich. Ohne Zertifikat wäre die Durchführung vieler Veranstaltungen fraglich, «weil sie womöglich nicht mehr bewilligungsfähig wären». Wie sich das Publikum verhalten würde, sei «schwer berechenbar», so Greiner. Das Zertifikat werde zum Teil auch zum direkten Schutz von Gesundheitsinstitutionen (z. B. bei Besucherkontrollen im Spital) eingesetzt, ohne Zertifikat müssten die Originaldokumente (Labormeldung, Impfbüchlein) aufwändiger und weniger sicher überprüft werden. Und schliesslich sei Basel-Stadt als Grenzkanton und Standort einer international ausgerichteten Wirtschaft auf die Ausstellung des Covid-Zertifikats unter anderem für Auslandreisen angewiesen.
«Die flächendeckende Öffnung von Restaurants oder grosse Veranstaltungen ohne Maskenpflicht waren nicht zuletzt dank der Einführung des Zertifikates möglich.»Martin Dätwyler, Direktor der Handelskammer beider Basel (HKBB)
Martin Dätwyler, Direktor der Handelskammer beider Basel (HKBB), bestätigt diese Sicht: «Für die Wirtschaft ist das Zertifikat ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg aus der Pandemie. Es hat eine Öffnung der Wirtschaft mit relativ geringfügigen Einschränkungen ermöglicht. Die flächendeckende Öffnung von Restaurants oder grosse Veranstaltungen ohne Maskenpflicht waren nicht zuletzt dank der Einführung des Zertifikates möglich.» Und er warnt vor den Folgen einer Abschaffung der Zertifikatspflicht: «Es bestünde das Risiko, dass bei einem erheblichen Anstieg der Ansteckungs- und Hospitalisierungszahlen deutlich strengere Massnahmen erforderlich würden, als dies mit dem Zertifikat der Fall wäre.» Dies wäre nicht im Interesse der Wirtschaft.
Probleme sieht er für den Wirtschaftsstandort Basel mit seinen international ausgerichteten Firmen auch in Bezug auf Geschäftsreisen: «Unabhängig davon, ob die Schweiz Ja oder Nein zum Gesetz sagt, werden viele Länder die Zertifikatspflicht für die Einreise noch einige Zeit aufrechterhalten. Kann die Schweiz mangels gesetzlicher Grundlage keine international anerkannten Zertifikate mehr ausstellen, wären Geschäftsreisende mit erschwerten Einreisebestimmungen konfrontiert.» Nicht betroffen wären einzig die Grenzgänger*innen, so die Regelungen nicht geändert würden.
Dätwyler betont zudem, dass Publikumsanlässe von überkantonaler Bedeutung keine Beteiligung des Bundes an den ungedeckten Kosten mehr erwarten könnten. Denn auch diese Bestimmung würde bei einem Nein zum Covid-Gesetz festhalten. Man soll es ja nicht verschreien, es ist noch lange hin, aber ein Beispiel ist der Megaevent Eidgenössisches Schwing- und Älperfest, das vom 26. bis 28. August in Pratteln stattfinden soll. Müsste es aufgrund der epidemiologischen Lage abgesagt werden, würde es auf horrenden Kosten sitzen bleiben.
«Sollte es zu verschärften Einreisebedingungen für Ausländerinnen und Ausländer kommen, könnte sich dies eher negativ auf den Tourismus auswirken.»Daniel Schindler, Sprecher Gewerbeverband Basel-Stadt
Etwas anders sieht es der politisch deutlich weiter rechtsstehende Gewerbeverband Basel-Stadt. Sprecher Daniel Schindler: «Der Gewerbeverband Basel-Stadt geht davon aus, dass eine Aufhebung der Zertifikatspflicht für Teile der Wirtschaft erhebliche Erleichterungen bringen würde. Zu nennen sind hier beispielsweise die Gastronomiebetriebe. Sollte es aber zu verschärften Einreisebedingungen für Ausländerinnen und Ausländer kommen, könnte sich dies eher negativ auf den Tourismus auswirken.»
Bei einem Nein würde sich der Verband in Bern dafür einsetzen, dass das Parlament im Dezember «die gesetzlichen Grundlagen für die politisch weitgehend unbestrittenen Zertifikate im internationalen Reiseverkehr und bei Grossveranstaltungen beschliesst».
Was Schindler nicht sagt: Selbst bei optimistischster Annahme, das heisst Bundesrat und Parlament würden tatsächlich zwischen Abstimmungssonntag (28. November) und Ende Wintersession (17. Dezember) so etwas fertigbringen, ist ein nahtloser Anschluss nicht möglich. Denn dann ist da immer noch die dreimonatige Referendumsfrist und die anschliessende praktische Umsetzung. Mit anderen Worten: Ab dem 20. März 2020 gibt es in der Schweiz für eine unbekannte Zeitdauer kein offizielles Zertifikat mehr. Weder für Auslandreisen noch für Veranstaltungen im Inland. Der Bund geht realistischerweise davon aus, dass es sicher Ende 2022 werden würde, bis ein solches Gültigkeit erlangen könnte.
Keine Zertifikatspflicht heisst nicht keine Schutzmassnahmen
Für den FC Basel würde das mit ziemlicher Sicherheit grössere Ausfälle zur Folge haben. Denn keine Zertifikatspflicht heisst nicht keine Schutzmassnahmen mehr. Je nach Lage an der Virenfront würden im Stadion Masken getragen und der Mindestabstand von 1, 5 Metern eingehalten werden müssen. Die Folge: Es könnten weniger Zuschauer*innen hineingelassen werden, was weniger Umsatz bedeutet. Diese Mindereinnahmen könnten aber dem Bund nicht in Rechnung gestellt werden, weil es ohne Covid-Gesetz auch keine Beteiligung an den ungedeckten Kosten mehr gibt.
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Und wie steht es mit den internationalen Spielen? Da kommt es ganz aufs Ausland an. Im Extremfall könnten die Fussballer gar nicht mehr einreisen in ein anderes Land, so dass der FCB in der Conference League Forfait geben müsste (so er im Frühling überhaupt noch dabei ist). Und ziemlich sicher dürften keine Fans mitreisen.
Der FC Basel wählt, mit der Bajour-Anfrage konfrontiert, eine defensive Kommunikationsstrategie. Sprecher Remo Meister: «Der FC Basel 1893 begrüsst es sehr, dass seit Beginn der laufenden Saison wieder Zuschauerinnen und Zuschauer im Stadion zugelassen sind – und dies, abgesehen von der Zertifikatspflicht – ohne Einschränkungen. Wie es diesbezüglich in Zukunft weitergeht, ist von der Pandemieentwicklung und den damit zusammenhängenden Bestimmungen der Behörden und der Ligen abhängig. Der FCB wird sich zu jenem Zeitpunkt dazu äussern, wenn es eine entsprechende Veränderung geben sollte.»
Auch die Swiss Football League, welche die Schweizer Meisterschaft organisiert, will sich nicht auf die Äste hinauslassen. Entscheidend sei, was der Bundesrat dann beschliessen würde. Eine Aussage zum jetzigen Zeitpunkt wäre «nicht seriös», so Kommunikationschef Philippe Guggisberg. Stellung nimmt er aber zu den bisherigen Erfahrungen mit der Zertifikatspflicht: «Die Akzeptanz des Zertifikats war für Fussballspiele von Anfang an sehr gross, weil es die einzige Möglichkeit war, wieder Grossveranstaltungen wie Fussballspiele stattfinden zu lassen. Konkrete Diskussionen über das Zertifikat und den Ablauf der Kontrolle gab es anfänglich eher zwischen Fans und Klubs, die als Veranstalter für die Einlasskontrolle verantwortlich sind. Das hat sich aber gelegt und die Abläufe haben sich sehr gut eingespielt.»
«Würde die Zertfikatspflicht entfallen, müsste das Theater Basel vermutlich zurück zum Schutzkonzept wie vor 3G.»Mavi Behramoglu, Kommunikationsverantwortliche Theater Basel
Klartext dafür vonseiten der Kultur. Mavi Behramoglu, Medienverantwortliche des Theater Basel: «Würde die Zertfikatspflicht entfallen, müsste das Theater Basel vermutlich zurück zum Schutzkonzept wie vor 3G – je nachdem, was zu dem Zeitpunkt die Auflagen des Bundes sind. Also zurück zu einem eventuell stark reduzierten Platzangebot, damit der Abstand im Saal gewährleistet werden kann und zur Maskenpflicht.»
Für Thomas Keller, Geschäftsführer der Kaserne Basel, wäre die Wiedereinführung der Abstandsregelung «fatal, denn wir müssten die Kapazität erneut reduzieren». Und weil ein Nein zum Covid-19-Gesetz auch hiesse, dass auch keine Ausfallkosten mehr geltend gemacht werden könnten, wäre der Schaden für Theater und Künstler*innen ebenso fatal, so Keller.
Die Basler Regierung unterstützt das Covid-19-Gesetz auch deshalb, weil man sich auf ein Nein kaum vorbereiten könne. Greiner: «Bestimmend würden – neben dem Verlauf der Pandemie – nach wie vor die Regeln sein, die der Bund, aber auch das Ausland uns vorgeben».