Basel hat einen neuen Secondhand-Laden

Mitte Dezember hat im Kleinbasel eine neue Boutique mit gebrauchten Kleidern namens Carlette eröffnet. Und das mitten in der Krise. Wie geht das?

Secondhand Carlette
Früher war bestimmt nicht mehr Lametta. (Bild: Valerie Zeiser)

Dienstagmittag in Basel. Ich gehe die Clarastrasse entlang, schlängle mich durch die zahlreichen Passant*innen in Richtung Mittlere Brücke. Biege rechts ein, in die untere Rheingasse. Hausnummer 15. Wo früher ein brasilianischer Coiffeur war, leuchtet mir ein Schaufenster voller pinkem, grünem und goldigem Lametta entgegen. «Carlette Secondhand» steht gross und weiss auf der Fensterscheibe. 

Wie jetzt, hat hier wirklich mitten in der Coronakrise ein neuer Laden eröffnet?, denke ich mir und trete ein. Verkäuferin und Inhaberin Karin Handle lächelt mich durch die Maske an und begrüsst mich mit einem erfreuten «Hallo». Auf dem Tisch vor mir liegen Tarot-Karten und bunte Socken mit Katzenmotiven. Rechts daneben steht ein Kleiderständer mit Pailettenkleidern, wie sie in den 1920er Jahren getragen wurden. Dahinter hängen Winterjacken und gleich nebendran noch mehr Socken. Diese sind aber mit Motiven wie Brüsten, Penissen und nackten Menschen versehen. 

«Die Menschen sind im Moment tagsüber viel in der Stadt und gönnen sich gerne mal was.»
«Carlette»-Inhaberin Karin Handle

«Carlette» hat am 10. Dezember 2020 eröffnet. Mitten in der zweiten Corona-Welle, während andere Lokale um ihre Existenz kämpfen oder, wie zum Beispiel das Manger & Boire am Barfüsserplatz, von der Krise so arg geschüttelt wurden, dass sie schliessen mussten.

Also wie kam's dazu?

«Die Idee für einen Secondhandladen hatte ich schon lange», sagt Karin Handle. «Als mir meine frühere Arbeitgeberin dieses Jahr gekündigt hat, dachte ich mir: jetzt oder nie!». 

Aber gehen Menschen denn mitten in einer Krise einkaufen? «Man könnte denken, das sei nicht der Fall. Aber ich glaube, genau das tun sie. Die Menschen gehen im Moment nicht in den Ausgang, also sind sie tagsüber viel in der Stadt und gönnen sich gerne mal was.»

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Wo sind jetzt diese Socken? (Bild: Valerie)

Wir setzen uns in die Sitzecke, die Karin Handle mit zwei gemütlichen Sesseln ausgestattet hat. In ihrem Laden gibt es vor allem Secondhand-Kleider und das hat einen guten Grund, sagt Handle: «Slow Fashion ist mittlerweile ein grosser Trend.» Die Lädelilandschaft Basel bestätigt diese Aussage: Alleine in Basel gibt es mittlerweile beinahe 20 Secondhand-Läden. 

Slow Fashion
«Slow Fashion»

«Slow Fashion» ist eine Gegenbewegung zu «Fast Fashion». Der Begriff beschreibt einen nachhaltigen und umweltbewussten Modekonsum, der die Welt entschleunigen soll, weil durch das Konzept der Slow Fashion mehr Wert auf bestehende Kleidungsstücke gelegt werde. Darunter fallen nicht nur Secondhand-Kleider, sondern auch Kleidungsstücke aus umweltfreundlichen Materialien oder aus recyceltem Material. 

Du willst mehr wissen über Fast Fashion und deren mögliche  Auswirkungen auf die Umwelt? Bajour hat letztes Jahr einen konsumkritischen Stadtspaziergang begleitet und dabei einige Fakten zusammengetragen. Hier geht's zum Artikel.

Slow Fashion hat für Handle aber eine grössere Bedeutung als nur Mode: «Ich komme aus einem Dorf, da gab es so etwas wie eine «schnelle» Gesellschaft nie. Der Pöstler trank regelmässig einen Kaffee bei uns, wenn er die Briefe verteilte.» Diese Entschleunigung im Alltag will sie auch in ihren Laden einbringen – deshalb auch die Sitzecke. Karin Handle möchte nicht einfach nur einen Ort zum Einkaufen schaffen, sondern auch ein Ort zum Verweilen, eine Art Treffpunkt.

Wie kams eigentlich zu dem Namen Carlette? «Das war tatsächlich eine witzige Geschichte.» Karin Handles Vater hiess Karl. «Es gibt eine Website, die zeigt dir Namenskombinationen an. Aus Karin und Karl wurde so Carlette.» Ausserdem sei ein Namen mit C ein gutes Omen: «Schliesslich beginnen viele grosse Marken mit dem Buchstaben C, Chanel zum Beispiel», sagt Handle, jetzt ganz die gewiefte Businesswoman. 

«Privat bin ich eine Chaotin, beruflich nicht», sagt sie. Ihr vorheriger Job bei der Manor habe ihr bei der Einrichtung des Ladens geholfen und auch sonst profitierte sie von ihrer Erfahrung: «Mein Budget war relativ klein, als ich das Ladenlokal gemietet habe», sagt Handle. Aber sie wusste, dass viele Detailhändler wie die Manor ihre Schaufensterpuppen und Dekorationen für wenig Geld weggeben, wenn die aktuellen Kollektionen durch sind, – «darum konnte ich mit wenig Geld den Laden so einrichten, wie ich wollte».

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Et voilà: die Socken.

Mitte Oktober 2020 war klar: Handle kann das Lokal des ehemaligen Coiffeur-Ladens übernehmen. «Dann habe ich direkt Kleider bestellt.»

Wo «bestellt» man denn bitte Secondhand-Kleider?

«Ich nehme keine Privatkleider an», sagt Handle, «das unterscheidet mich von den meisten Secondhand-Läden aus Basel.» Ihre Kleider kauft sie bei einem Grosshändler in England. Der sammelt Vintage-Kleider aus der ganzen Welt. 

Aus der ganzen Welt? Also werden die Kleider per Schiff, Flugzeug oder Laster transportiert, ist das nicht umwelttechnisch fragwürdig?

«Diese qualitativ hochwertigen Secondhand-Kleider sind bereits im Kreislauf und schon vor langer Zeit produziert worden, so sind diese ganz klar viel nachhaltiger als Neuware», betont Karin Handle. «Meine Variante ist nicht weniger umweltfreundlich, als secondhand ein Fast-Fashion-T-Shirt zu kaufen, das erst vor kurzem produziert und auch um die ganze Welt geschifft wurde.»

Jetzt, da die Papierflut mit der Anmeldung im Handelsregister und so weiter durch ist, kann Handle sich voll und ganz auf den Laden konzentrieren. Zur Ruhe gekommen ist sie aber noch nicht. «Ich könnte jeden Tag den Laden umstellen.» 

Eine Kundin kommt rein und wieder begrüsst Karin Handle sie mit einem warmen Lächeln und einem herzlichen «Hallo». Da möchte ich nicht weiter stören, denke ich mir, schiesse noch ein paar Fotos und gehe wieder. 

Slow Journalism?

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Valerie aka «Zeisi» hat als Praktikantin bei Bajour gestartet, dann ein Studium begonnen und arbeitet nun nebenbei als freie Journalistin bei der bz sowie bei Bajour als Briefing-Schreiberin. Sie ist während der Vorfasnachtszeit – laut ihr das ganze Jahr – schlecht erreichbar, ist aber ständig unterwegs.

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