Molière gibt keine Ruhe

Die chilenische Autorin Nona Fernandez hat für das Basler Theater die Komödie «Molière – der eingebildete Tote» geschrieben. Das Stück spielt manchmal im Jenseits, manchmal im Diesseits und immer im Theater.

Molière - der eingebildete Tote, Theater Basel, März 2023, Foto Lucia Hunziker
Das Ganze ist artistisch perfekt. Körperlich und stimmlich sind die Spieler*innen bewundernswert. (Bild: ALL RIGHTS RESERVED © LLH Productions GmbH)

Die Komödie, die Nona Fernandez in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Romero Nunes und der Dramaturgin Elena Manzo für Basel geschrieben hat, inszeniert die Legende, Molière sei auf der Bühne, in der Rolle des eingebildeten Kranken, gestorben. Die Legende entspricht zwar nicht der historischen Wahrheit, ist aber eine schöne Idee, trifft eine höhere Wahrheit und lässt sich herrlich inszenieren, wie Fernandez zeigt. Ihre Komödie beginnt mit einer berühmten Szene aus dem Originalstück von Molière: Der eingebildete Kranke, gespielt von Molière selbst, stellt sich zwei Mal tot, um seine Frau, die ihn mit Liebesbezeugungen zu überhäufen pflegt, und seine Tochter, die sich ihm widersetzt hat, zu prüfen. Die Resultate der Probe sind eindeutig. Die Frau jubelt über den Tod ihres Mannes, weil sie ans Erbe denkt. Das Kind trauert um seinen Vater, und liefert das Stichwort, auf das der Vater reagieren und zu erkennen geben sollte, dass er den Tod nur spielt. Aber Molière verpasst seinen Einsatz. Seine Theater-Tochter wiederholt das Stichwort. Molière schweigt. Er ist tot. Das Theater kippt in Realität – im Theater. Eine abgründige Szene.

Der Tod kann komisch sein

Von nun an geistern Molière und seine ebenfalls verstorbene erste Geliebte als blasse, weiss gekleidete Tote durch das Stück. Sie mischen sich unter die Hinterbliebenen, die erst mal für ein christliches Begräbnis sorgen müssen – was für einen Schauspieler im 17. Jahrhundert äusserst schwierig war. Jedenfalls liegt die Leiche so lange rum, bis sie stinkt. Als die Truppe sich daran macht, sich neu zu organisieren und wieder zu spielen, taucht Baron auf, ein Konkurrent Molières. Baron will sich Molières Erbe aneignen, mit dessen Stücken Geld verdienen und Boss der Truppe werden. In ihrer Hilflosigkeit organisiert die Truppe eine Séance. Der Usurpator behauptet, Molière erscheine ihm, er sei das Sprachrohr des verehrten Genies. Er mimt den charismatischen Führer. Ob die Truppe ihm gehorcht? Das Stück spitzt sich auf die Frage zu, ob die Truppe einen Chef braucht, oder demokratisch funktionieren kann. Mit Hilfe eines Betrunkenen, dem Molière im Vollrausch ebenfalls erscheint, kann die Machtübernahme des Usurpators verhindert werden. Der Alkohol erweist sich als Quelle der Widerständigkeit.

Molière - der eingebildete Tote, Theater Basel, März 2023, Foto Lucia Hunziker
Blasse, weiss gekleidete Tote geistern durch das Stück. (Bild: ALL RIGHTS RESERVED © LLH Productions GmbH)

Fernandez hat eine Komödie geschrieben – aber eine über den Tod. In dem Stück gibt es Momente, die betroffen machen. Da ist das Gefühl, dass die Toten uns beobachten. Da ist unsere komisch-anrührende Hilflosigkeit im Umgang mit dem Tod. Da ist die grosse Frage, wie man den Toten treu bleiben könnte. Da ist die Gefahr, dass die Toten und das Andenken an sie zu Herrschaftszwecken missbraucht werden: Der Usurpator behauptet ja, im Geiste Molières zu handeln. Die Toten haben eine seltsame Präsenz in diesem Stück. Da gibt es Sätze wie: «Wer geliebt hat, kann nicht vergessen. Wer vergisst, hat nicht geliebt. Wer geliebt und doch vergessen hat, hat vergessen, wie man liebt».

Wem’s gefällt

Die Inszenierung setzt ganz auf derbe Komik, Tempo und Lautstärke. Die Spielenden stehen ständig unter Strom und Volldampf. Sie rennen, schreien, kreischen, werfen sich zu Boden und Gegenstände durch die Luft, spritzen mit allerhand Flüssigkeiten. Die Gags, Nummern, Slapstick-Aktionen, die Klamotten und Chargen häufen sich. Wer Zerstreuung mag, ist hier gut aufgehoben. Es geht immer was. Das Ganze ist artistisch perfekt. Körperlich und stimmlich sind die Spieler*innen bewundernswert. Aber die Besinnlichkeit haben sie dem Stück ausgetrieben. Der Text ist oft nicht zu verstehen. Andeutungen und doppelter Boden sind selten. Die Einheitlichkeit des Stils wirkt auf Dauer ermüdend und erlaubt wenig Rollen-Differenzierung. Selbst ein so exzellenter Spieler wie Jan Bluthardt, der in «Wilhelm Troll» brillierte, kann als Baron einen eigenen Ton nur ein paar wenige, erste Sätze lang durchhalten, dann unterwirft er sich dem herrschenden Stil. Jörg Pohl als Molière verdankt man ein paar schöne ironische Momente. Annika Meier als zweite Tote war ein eindrückliches, geradezu furchteinflössendes Gespenst. Und die seltenen, stilleren Momente – zum Beispiel die Generalpause nach Molières Tod auf der Bühne – waren erholsam.

Das Bühnenbild besteht vorwiegend aus einer halbrunden Treppe im Hintergrund, die zu einem bühnenbreiten Steg in luftiger Höhe führt und zu einer Rutschbahn zurück auf den Bühnenboden (Bild Matthias Koch). Wann dieser Aufbau bespielt wird und warum, erschliesst sich nicht. Ausgesprochen gelungen sind die deftigen, ironisch-historischen Kostüme (Helen Stein / Lena Schön).

Dem Publikum hat die Vorstellung gefallen. Es gab starken Applaus mit Begeisterungsrufen.

Das Stück läuft bis Ende Juni am Theater Basel.

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