2025-01-09 Frage des Tages Sinfonieorchester-1

Mozart streichen, Komponistinnen spielen: Kann das gut gehen?

Das Netzwerk Female Classics schlägt Alarm: Im Saisonprogramm 2024/25 des Basler Sinfonieorchesters sind keine Komponistinnen zu finden. Frauenquote gleich null Prozent. Man stelle sich vor, dies wäre an einem Musikfestival der Fall. Zugegeben, der Vergleich hinkt, da es viel weniger Komponistinnen der klassischen Musik gibt als Komponisten. Auch Sinfonieorchester-Direktor Franziskus Theurillat verweist in der bz (Abo) darauf, dass die Auswahl an Komponistinnen, die Abendfüllendes für eine sinfonische Besetzung geschrieben haben, grundsätzlich «sehr dünn» sei. Diese Aussage ist für Meredith Kuliew, Gründerin von Female Classics, eine «misogyne Ausrede». Das Sinfonieorchester habe in der Vergangenheit durchaus Komponistinnen gespielt. Das Orchester müsse sich der Kritik stellen. Was aber würde das für das Programm des Orchesters bedeuten, wenn künftig weniger gängige und beliebte Komponisten und stattdessen mehr unbekanntere Komponistinnen berücksichtigt würden?

901 Stimmen
Helena Krauser
Helena Krauser
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Lukas Nussbaumer
09. Januar 2025 um 10:00

Schwieriges Unterfangen

Der klassische und romantische Kanon ist ein sehr träges Ding, da bräuchte es ein ehrliches und prioritäres Interesse von den Orchestern, Dirigent*innen, Musiker*innen, Politik und Publikum, um wirklich etwas zu ändern. Ausserdem besteht das Problem, dass nur sehr wenige Orchesterwerke (insb. Sinfonien) von Frauen aus dem 18. und 19. Jh. überliefert sind (was wiederum vermutlich hauptsächlich auf patriarchale Gesellschaftsstrukturen zurückzuführen ist). In den letzten Jahren wurde ziemlich viel Forschung auf diesem Gebiet betrieben und es gäbe mittlerweile einige Optionen: Louise Farrenc, Emilie Mayer, Florence Price, Ethel Smyth wären ein guter Beginn. Diversität könnte man aber auch weiter fassen – es gäbe z. B. aus der Klassik spannende Musik auch von nicht-weissen Komponist*innen, etwa Joseph Bologne. Wir sollten uns immer wieder bewusst machen: Das jetzige Repertoire des 18. und 19. Jh. reproduziert die strukturellen Ungleichheiten der Zeit – so schön die Musik auch ist.

Treml Anita
09. Januar 2025 um 20:29

einschränkende Aufträge überdenken

Ich stelle als eifrige Konzertgängerin fest, dass von den Basler Orchestern vermehrt Komponistinnen und Dirigentinnen berücksichtigt werden. Dass dies in unterschiedlichem Masse geschieht, hat mit dem Auftrag zu tun, das das jeweilige Orchester von der Stadt erhält. Das Sinfonieorchester Basel (SOB) z.B., hat den Auftrag, das Repertoire der Klassik und Romantik zu spielen. Die basel sinfonietta soll andererseits Sinfonisches der Gegenwart aufführen. Während die sinfonietta ganze Abende mit Werken von Komponistinnen anbieten kann, ist dies für das SOB mangels Werken nicht möglich. Wir müssten somit fragen, ob die Vergabe von solch einschränkenden Aufträgen noch zeitgemäss ist. Schliesslich wollen traditionelle Sinfonieorchester mit der Zeit gehen resp. soll eine basel sinfonietta eines Tages ihre Programmation auch anpassen dürfen.

Ulrike Mann
09. Januar 2025 um 10:25

Alarmismus

Bevor das Sinfonieorchester-Basel-Bashing wiedermal losgeht: in der Saison 2023/24 war die südkoranische Komponistin Un-suk Chin Composer in residence beim Sinfonieorchester Basel. Was bitteschön kann man als Orchester mehr tun, als eine zeitgenössische Komponistin derart zu fördern?? Ausserdem wurden 2023/24 immer wieder Werke von Fanny Hensel und Louise Farrenc aufgeführt. Vielleicht können sich die Damen von "Female classics" jetzt wieder ein bisschen beruhigen...

Julia Baumgartner
Julia Baumgartner
Zentralsekretärin SP Frauen Schweiz

Mozart UND Ethel Smyth

Die von "Female Classics" aufgezeigten Zahlen sind wenig überraschend: Kulturinstitutionen betreiben sporadisch Pinkwashing, indem sie etwa alle Schaltjahre einen Konzertabend den Werken komponierender Frauen widmen. Doch bei solch punktuellen Aktionen darf es nicht bleiben. Um langfristig mehr Diversität in der Klassikwelt zu schaffen, müssen Werke von Komponistinnen regelmässig auf den Programmen stehen. Es geht dabei überhaupt nicht darum, Mozart oder andere bekannte Namen komplett zu streichen. Konzertprogramme könnten jedoch deutlich vielseitiger gestaltet werden. So viel Kreativität traue ich Kulturschaffenden durchaus zu!

Bildschirmfoto 2023-10-17 um 20.26.59
Beatrice Isler-Schmid
09. Januar 2025 um 07:27

Andere Sorgen

Ach herrje... Ja, ich finde, wir sollten die Komponistinnen und die Musikerinnen sehr fördern. Und ja, das Sinfonieorchester darf mal ein wenig aufmüpfiger, ein wenig unkonventioneller werden. Und ja, die Frauenförderung muss dort noch mehr "spielen". Als "Freundin des Sinfonieorchester Basel" bin ich jedoch sehr angetan von diesem wunderbaren Klangkörper. Aber im Moment habe ich das Gefühl, andere Sorgen zu haben, als mich über solche Fragen aufregen zu müssen. Die Weltlage ist bedrückend. Das Klima ist eine Herausforderung. Die Polarisierung der Meinungen - politisch und privat - machen Angst. Die Dialogbereitschaft schwindet. Musik ist Seelennahrung in schwierigen Zeiten. Lassen wir sie spielen, wer auch immer sie komponiert hat.

Kaspar von Grünigen
09. Januar 2025 um 07:55

Mehr Diversität bitte

Lustig, dass diese Diskussion erst jetzt kommt. Wir haben 2024. Das SOB ist nicht einfach nur ein „wunderbarer Klangkörper“, der uns helfen kann, unsere schwierige Zeit zu ertragen. Musik kann und soll mehr sein als Heilmittel und vor allem entsteht sie nicht im luftleeren Raum, sondern inmitten unserer Gesellschaft. Und diese ist inzwischen superdivers. Das SOB ist die mit Abstand am besten geförderte Musikinstitution der Stadt Basel. Das müsste eigentlich verpflichten. Kulturförderung muss per Gesetz vielfältig sein. Aber warum nicht einfach (auch) andere kulturelle Akteure, die am Puls der Zeit sind, besser fördern? Die Musikvielfaltsinitiative bot der Basler Stimmbevölkerung die Möglichkeit, ein diverseres Fördersystem zu installieren. 37% waren dafür! Die anderen 63% täten gut daran, sich zu fragen warum sie diese Entwicklung mit ihrem Nein blockiert haben anstatt die berechtigte Kritik an den grossen Institutionen herunterzuspielen.

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