Es zerreisst mir das Herz

Die Muttenzerkurve ruft die FCB-Fans auf ihre Jahreskarte abzugeben. Didi-Kapitän Beni Pfister ist hin und her gerissen. Was soll – und kann – man als Fan tun?

Bolzplatz

Die Whatsapp-Chats laufen heiss. Soll man oder soll man nicht? Nützt das was? Was kann man noch unternehmen?

Diskutiert wird die Frage: Gibst du morgen deine FCB-Jahreskarte ab? Auslöser: der Aufruf der Muttenzerkurve vom letzten Mittwoch. Als Protest gegen den drohenden Verkauf des FCB an eine Briefkastenfirma sollen wir Fans am Samstag, 17. April, zwischen 11 und 12 Uhr im Fanshop im Joggeli unsere Jahreskarte zurückgeben.

Gleich vorneweg: Ich habe mich noch nicht entschieden. Die Frage zerreisst mir das Herz. Ich fühle mich in einem tragischen Dilemma wie einst Goethes Faust. Hin- und Hergetrieben von den beiden Gegenpolen Rationalität und Sinnlichkeit spüre auch ich: «Zwei Seelen wohnen ach! in meiner Brust.» Einerseits sehe ich den Niedergang meines Herzensclubs, der unter Bernhard Burgener nicht mehr aufzuhalten ist, ich will ein Zeichen setzen. Andererseits kann ich mich nur schwer mit dem Gedanken anfreunden, auf all das Schöne zu verzichten, das ein Stadionbesuch mit sich bringt. Ich fühle mich machtlos.

Wir sind nicht allein

Eine solche Zerrissenheit gehört seit Längerem zum Leben als Fan. Wer sich für Fussball interessiert und gleichzeitig mit offenen Augen durch die Welt geht, wird immer wieder mit Widersprüchen konfrontiert, die kaum auszuhalten sind. 

In Deutschland protestieren Fans mehrerer Clubs seit Jahren gegen Dietmar Hopp, den Mäzen der TSG Hoffenheim. Hopp hat mit viel Geld in wenigen Jahren den Dorfclub seiner Region an die Spitze der Bundesliga geführt. Für viele Fans symbolisiert Hopp damit die negative Seite der Kommerzialisierung des Fussballs: Geld steht über Tradition. Hopp ist deshalb das Feindbild für viele engagierte Fans in ganz Deutschland.

Auch Fans der Gruppierung «Schickeria» von Bayern München protestieren im Februar 2020 heftig gegen die «Hassfigur der Ultras» (eine Doku des ZDF gibt spannende Einblicke in den Konflikt). Ausgerechnet Fans von Bayern München, denke ich mir, also von jenem Club, der sich von Katar finanziell unterstützen lässt und gerne nach Doha ins Trainingslager fährt. 

Zur Erinnerung: In Katar findet nächstes Jahr die Weltmeisterschaft statt. Beim Bau der Stadien sind 6500 Menschen ums Leben gekommen. Inzwischen protestierten mehrere Nationalmannschaften – auch jene Deutschlands – gegen die Verletzung der Menschenrechte in Katar.

Mit Widersprüchen leben

Was ist schlimmer? Ein Milliardär, der seinen lokalen Club finanziert, oder Geschäftsbeziehungen mit einem Staat, der den Tod von Tausenden Arbeitern in Kauf nahm, um eine Fussball-Weltmeisterschaft durchzuführen? Wie gesagt: Als Fussball-Fan muss man viele Widersprüche aushalten können.

Auch ich werde Spiele der WM anschauen, auch wenn es mit dem vorhandenen Wissen eigentlich nicht mehr vertretbar ist. «2022 findet im homophoben, frauenverachtenden Schurkenstaat Katar eine Männer-WM statt, die unsere Beachtung nicht verdient», schreibt der Autor und Kabarettist Bänz Friedli auf Facebook und freut sich stattdessen auf die Frauen-EM 2022 in England.

Selbst bei der Lancierung der Panini-Bildchen zur Europameisterschaft in diesem Sommer stellte sich die Frage: Kann ich das Sammeln überhaupt noch geniessen? Dermassen offensichtlich werden die Sammler*innen abgezockt. Die benötigte Anzahl der Bildli wird künstlich in die Höhe geschraubt – es gibt zu den Spielern jeweils ein Porträt-Bildli und eines in Aktion. Bildchen des ganzen Teams gibt nicht mehr, dafür nichtssagende Jubel-Szenen. Richtig übel aber ist, dass die Sammler*innen gezwungen werden, Produkte eines Sponsors der EURO zu kaufen, wenn das Album voll werden soll.

Aber eben, es gibt auch die andere Seite. «Der Geruch eines frisch geöffneten Päckchens, das Heft, wie es mit jedem eingeklebten Bildchen schwerer wird, der kompetitive Reiz des Tauschens», ruft mir Lea Meister in der bz zu Recht in Erinnerung.

Der aufmerksame Fussball-Fan kommt nicht darum herum, seine Haltung zu Widersprüchen individuell zu klären. Deshalb wird in Basel gerade so viel über den Fussball und das Drumherum diskutiert. Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma, den FCB unterstützen zu wollen, ohne den Verkauf an eine Briefkastenfirma gutzuheissen? Vielleicht diesen: Am Samstag die Jahreskarte in den Fanshop bringen und gleichzeitig Mitglied des Vereins FC Basel 1893 werden. Klingt widersprüchlich, aber vielleicht bleibt der  FC Basel so ein Club für die Menschen in der Region.

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