Das ungesunde Kostenproblem bleibt
Die Vorschläge zur Gesundheitskostenumverteilung und -Senkung von SP und Mitte werden abgelehnt. Die bürgerlichen Parteien haben sich durchgesetzt. Während die grösste finanzielle Sorge zahlreicher Schweizer Haushalte bleibt, sucht Basel nach kantonalen Lösungen. Ein Kommentar.
Die Bürgerlichen und ihre Lobby haben noch einmal Glück gehabt, die Schweiz driftet nicht in «Richtung Sozialismus» ab: Das Stimmvolk hat am Sonntag gemäss Schlussresultat die Prämien-Entlastungs-Initiative mit 55,5 Prozent klar abgelehnt. Ein Ja wäre für die Linke eine Sensation gewesen beziehungsweise für die SP ein riesiger Erfolg. Eine noch deutlichere Abfuhr erhielt die Kostenbremse-Initiative der Mitte: 62,8 Prozent sagten Nein.
Das Stimmvolk dürfte angesichts des AHV-13-Erfolgs im März der beinahe unschweizerische Umverteilungs-Mut verlassen haben beziehungsweise hat dieser jetzt vermutlich eher in die Gegenrichtung ausgeschlagen. Die Stimmberechtigten scheinen dem bürgerlichen Gejammer rund um Schuldenbremse, staatliche Finanzierungslücken und andere Kapitalismus-Untergangsszenarien Glauben geschenkt zu haben. So schrieb beispielsweise die NZZ erst Anfang Juni, dass die Eidgenossenschaft vor lauter Mehrausgaben Ende Jahr ohne Budget dastehen könnte, wenn es nicht gelingen sollte, das Ruder rumzureissen. Das Nein dürfte den Erbsenzähler*innen in Bern nun mehr als recht kommen.
Das Stimmvolk dürfte dem Gejammer rund um die Schuldenbremse, staatliche Finanzierungslücken und andere Kapitalismus-Untergangsszenarien Glauben geschenkt haben.
Damit ist der halbe Ausstieg aus der «Kopfsteuer» im Gesundheitswesen bis auf weiteres vom Tisch. Nun wird hierzulande jede*r Bürger*in auch künftig unabhängig der finanziellen Leistungsfähigkeit denselben Betrag zu entrichten haben, während in anderen Ländern die Kasse in Lohnprozenten so bezahlt wird, dass hohe Löhne einen höheren Beitrag leisten.
Auch wenn das Stimmvolk keinen klaren Strich gezogen hat, sollte Bern sich dringendst an die Arbeit machen. Die deutliche Ablehnung der nicht klar definierten «Kostenbrems-Initiative» ist Ausdruck des Misstrauens, dass das bürgerlich dominierte Parlament und seine Pharmalobby keine Dämpfung der Gesundheitskosten hinbringen beziehungsweise zulassen. So glaubte kaum jemand daran, dass die Kostenbremse-Initiative sinnvoll umgesetzt würde, sinnvoll im Sinne einer Beseitigung von Fehlanreizen und Doppelspurigkeiten. Zuletzt hatte der Nationalrat mit einer Annahme des SVP-Postulats für eine – in den Augen der SP – Zweiklassenmedizin die Bedenken noch befeuert.
Auch wenn das Stimmvolk nun keinen klaren Strich gezogen hat, sollte Bern sich dringendst an die Arbeit machen.
Die Kostenexplosion, also der Kern der Prämiensteigerungen, muss auch mit dem Nein gesenkt werden: Mehr als 10 Prozent des Einkommens für Prämien sind – unbesehen des Ausgangs der Abstimmung – einfach zu viel. Und diese Senkung kann nur gelingen, wenn sowohl die Preise als auch die Leistungen transparenter werden. Es muss offen und ohne politische oder lokale Eitelkeit über kostensenkende Massnahme wie die Schliessung von Spitälern geredet werden. Es kann nicht sein, dass von Patient*innen, die jedes Wochenende 50 Kilometer zum Einkaufen fahren, ein ausserkantonaler Spitalaufenthalt als Zumutung empfunden wird.
Das Schweizer Stimmvolk sagt «Nein» zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP, im Kanton Basel-Stadt sagten mit 54,25 Prozent «Ja». Die SP Basel-Stadt deutet das als «Ausdruck der sehr hohen Prämienbelastung für die Basler*innen». Deshalb will die Partei nun eine kantonale Umsetzung der Initiativforderung. SP-Grossrätin Melanie Eberhard kündigte noch am Abstimmungssonntag eine Motion an.
Unschweizerische Umverteilungs-Mut
Zu beiden Initiativen liegen Gegenvorschläge auf dem Tisch. Die bürgerlichen Kräfte tun gut daran, diese ernsthaft umzusetzen und die Gesundheitslobby entsprechend in die Grenzen zu weisen. Denn ob rechte Ansätze für eine Zweiklassenmedin schneller eine Mehrheit beim Volk finden als die linke Forderung nach einer Einheitskasse ist auch nach diesem Abstimmungswochenende so unklar wie vorher. Klar ist, dass etwas passieren muss. Die Krankheitskosten sind – und bleiben – für zahlreiche Haushalte die Sorge Nummer 1.
Melanie Eberhard, SP-Grossrätin
Während die Basler SP-Nationalrätin Sarah Wyss am Sonntagnachmittag auf X, ehemals Twitter, eine öffentliche Krankenkasse fordert, schwebt der Basler SP bereits eine kantonale Umsetzung der Prämien-Entlastungs-Initiative vor. Der Kanton Basel-Stadt, wo die durchschnittliche Prämienlast 17 statt 8 Prozent beträgt, hat die Initiative mit 54 Prozent angenommen. SP-Grossrätin Melanie Eberhard kündigt denn auch eine Motion an, die eine Basler Umsetzung der Initiativforderung vorsieht.
Heute erhielten nur 9000 Haushalte in Basel-Stadt Prämienverbilligungen, sagt sie zu Bajour. Würde man eine Deckelung von 10 Prozent einführen, wie die Waadt oder Graubünden sie bereits kennen, würden deutlich mehr Menschen profitieren. Eine einheitliche Regelung auf nationaler Ebene hätte Eberhard, die in der Gesundheitskommission sitzt, bevorzugt. Aber aufgrund des Neins müsse man nun kantonal handeln. Auch sie findet: «Die Belastung für die Bevölkerung ist zu gross.»