Fentanyl ist erst der Anfang
In der Schweiz bereiten sich Drogenexpert*innen auf einen steigenden Konsum synthetischer Opioide vor. Das Schmerzmittel Fentanyl könnte dabei nur ein Vorbote sein.
Die Welt blickt mit Sorge nach Nordamerika, wo seit Längerem Bilder von Fentanyl-Abhängigen die Runde machen, die in sich zusammengekauert auf den Gehsteigen liegen. Die Zahlen sprechen ennet des Atlantiks ihre eigene Sprache: Hunderttausende Menschen sind hier bereits an einer Überdosis des synthetischen Opioids gestorben. Derweil rüstet sich auch die Schweiz und insbesondere Basel mit einem Masterplan gegen den möglichen Überkonsum des Schmerzmittels, welches hierzulande auch in Form von Pflastern und im Rahmen von Schmerzbehandlungen zum Einsatz kommt. Zum Masterplan gehören neben der Sensibilisierung der Fachleute auch ein Monitoring sowie die Aufrüstung der Labore, um frühzeitig zu erkennen, welche Substanzen konsumiert werden.
Der Chefarzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) in Basel, Marc Vogel, ist allerdings bereits einen Schritt beziehungsweise ein synthetisches Opioid weiter. So sagt er zu Bajour, dass ihm vor allem eine nochmals stärkere Substanz Sorgen mache: die sogenannten Nitazene, die sogar bis zu 500 Mal stärker sein könnten als Heroin. Bei Fentanyl ist von einer 50- bis 100-fachen Potenz die Rede. Vogel meint: «Wir haben die Nitazene auf dem Schirm.»
Ohnehin ist die Vorbereitung auf einen zunehmenden Nitazen-Konsum sowie die Behandlung im Falle einer Abhängigkeit die gleiche wie bei Fentanyl. Das bestätigt auch Regine Steinauer, Leiterin der Abteilung Sucht im Gesundheitsdepartement: «Fentanyle und Nitazene werden immer gemeinsam gedacht und die Massnahmen sind auf sämtliche hochpotente synthetische Opioide ausgerichtet.»
Anders als Fentanyl wurden Nitazene nie als Medikament zugelassen; das Schmerzmittel wurde allerdings in den 1950er Jahren vom Schweizer Chemieunternehmen Ciba (heute mit BASF verschmolzen) entwickelt. Vogel meint, die experimentierfreudigen Konsument*innen, die von ihm auch Psychonauten genannt werden, würden sich die Substanzen im Darknet bestellen. In Deutschland und Grossbritannien gab es bereits erste Todesfälle aufgrund von Fentanyl, aber eben auch aufgrund von Nitazenen. Wie Frank Zobel, Vizedirektor und Co-Leiter der Forschungsabteilung bei der Stiftung Sucht Schweiz gegenüber SRF sagte, sei es durchaus möglich, dass in der Schweiz bereits Nitazene, die relativ einfach in Laboratorien hergestellt werden können, konsumiert würden, und zwar in gestrecktem Heroin.
Das bereitet Suchtexpert*innen Kopfschmerzen, vor allem weil befürchtet wird, dass es aufgrund der geopolitischen Lage zu einem Engpass von Heroin kommen könnte, nachdem die Taliban in Afghanistan, dem wichtigsten Anbaugebiet der Welt, die Macht erlangt und den Opiumanbau im Land verboten haben. So würden durch den Engpass lediglich die Preise steigen, der Reinheitsgrad hingegen weiter sinken, weil mehr mit Mitteln wie Fentanyl oder Nitazenen gepanscht wird. Wenn man nicht reagiert, könnte es in kürzester Zeit Tote geben.
Von Kokain überschwemmt
Dass in Europa gleichzeitig der Konsum von Kokain sowie vom Kokain-Derivat Crack zunimmt, hängt ebenfalls mit der Verbreitung der synthetischen Opioide in Nordamerika zusammen, zumindest indirekt. Dadurch ist der wichtigste Absatzmarkt für Kokain weggebrochen; seither herrscht in den lateinamerikanischen Ländern eine regelrechte Überproduktion, weshalb nun der europäische Markt mit dem weissen Pulver zugeschüttet wird.
«Wir haben die Nitazene auf dem Schirm.»Marc Vogel, Chefarzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) in Basel
Was die polizeilichen Sicherstellungen betrifft, hat Kokain Heroin als harte Droge in der Schweiz bereits abgelöst. Laut dem Europäischen Drogenbericht 2024 wurden im Jahr 2022 in den EU-Mitgliedstaaten erneut Rekordmengen an Kokain in Höhe von mindestens 323 Tonnen sichergestellt. Damit übersteigt die Zahl der Sicherstellungen in Europa inzwischen die der Sicherstellungen in den Vereinigten Staaten.
Während Kokain auf dem Seeweg von Lateinamerika nach Europa gelangt, erfolgt der innereuropäische Kokainhandel überwiegend auf dem Landweg. «Durch ihre zentrale Lage ist die Schweiz und insbesondere Basel ein wichtiger Knotenpunkt im internationalen Kokainhandel, sowohl als Konsummarkt als auch als logistische Drehscheibe», sagt Martin Schütz, Mediensprecher der Basler Staatsanwaltschaft zu Bajour. Als Zentrum einer Agglomeration, Verkehrsknotenpunkt und Grenzstadt mit zwei Landesgrenzen sei die Stadt «naturgemäss sowohl für den legalen als auch für den illegalen Handel attraktiver als eine abgeschiedene ländliche Region». Die Hauptverkehrsachse Nord-Süd verlaufe sowohl per Autobahn als auch per Schiene durch das Stadtgebiet, und der Euroairport sei eine Drehscheibe für innereuropäische Flüge.
Eine andere Wirkung
Dass diese Infrastruktur auch von Händler*innengruppierungen im Betäubungsmittel-Bereich genutzt werde und immer wieder grössere Drogenmengen sichergestellt würden, erstaune also nicht, so Schütz weiter. Zuletzt hat 2022 der Fund einer halben Tonne Kokain in der Nespresso-Fabrik von Romont im Kanton Freiburg hohe Wellen geschlagen. Es war einer der grössten Drogenfunde in der Geschichte der Schweiz. Der Stoff war in Säcken mit Kaffeebohnen versteckt und kam aus Brasilien über Antwerpen in die Schweiz, genauer über den Containerterminal von Swissterminal in der Region Basel, von wo aus er dann weiterverladen wurde.
Trotz der grösseren Rolle, die Kokain auch in Basel spielt: Heroin wird damit nicht komplett ersetzt werden, weil die beiden Substanzen zu unterschiedlichen Abhängigkeiten führen, also anders wirken. So sagt Vogel: «Man kann eine Opioidabhängigkeit nicht mit Stimulanzien wie Kokain ersetzen. Heroin durch andere synthetische Opioide wie eben Fentanyl oder Nitazene hingegen schon.»
Drogen und Dreck – Wie verbessern wir die Situation?Dreck ist sichtbarer geworden: Sei es in Geschäftseingängen, Kirchen oder auf den Strassen vom Clara- bis zum Matthäusplatz. Aber wer macht den Dreck? Gerade mit Blick auf die warme Saison, den ESC oder die Einführung der Superblocks diskutieren wir am nächsten Drogenstammtisch, den Bajour gemeinsam mit dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel organisiert, wie wir mit Müll, Hygiene und menschlichen Bedürfnissen in unserer Stadt umgehen. Welche Projekte funktionieren – und wo brauchen wir neue Lösungen?Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht nötig.
Dienstag, 25.3.2025 19-20.30 Uhr Rheinfelderhof Hammerstrasse 61 4058 Basel
Moderation: Martina Rutschmann