Erfreuliches aus der Kriminalstatistik

Nirgends werden so viele Verbrechen angezeigt wie in Basel – so weit, so bekannt. Alles schlimm also? Nicht, wenn man ins Kleingedruckte schaut. Vier Beobachtungen aus der aktuellen Kriminalstatistik.

Handschellen Kriminalstatistik
Mehr Anzeigen gab es in der ganzen Schweiz, Basel ist keine Ausnahme. (Bild: Adobe Stock)

Schweizweit wurden 2024 mehr Straftaten angezeigt – und wieder steht Basel im kantonalen Vergleich an der Spitze der Kriminalstatistiken. 32’429 Anzeigen sind in Basel 2024 eingegangen, eine Steigerung von 6,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Es ist wichtig zu betonen: Eine Anzeigeverhaltensstatistik, wie Fachleute sie nennen, erfasst nicht die ganze Realität der Kriminalität, da gewisse Delikte gar nicht erst zur Anzeige gebracht werden.

Gerade die eh schon hohe Zahl an Vermögensdelikten (+6 Prozent) und Gewaltstraftaten (+5 Prozent) ist weiter gestiegen – höhere Anstiege gab es aber auch bei Anzeigen von Sexualdelikten (+12 Prozent), häuslicher Gewalt (+21 Prozent) und digitaler Kriminalität (+16 Prozent).

Die nüchternen Zahlen sprechen auf den ersten Blick eine deutliche Sprache – und zeichnen ein düsteres Bild von unserer Stadt. Wir haben vier Aspekte herausgepickt, die das Bild wieder ein bisschen heller machen.

Mehr Gewalt – oder doch nicht?

In der Präsentation der Kriminalstatistik wird eine Steigerung der Gewaltstraftaten um 5,2 Prozent aufgezeigt. Doch es lohnt sich, die Daten genauer anzuschauen: Bei Straftaten «gegen Leib und Leben» gab es insgesamt drei Anzeigen mehr im Vergleich zum Vorjahr. 

Die Staatsanwaltschaft versteht unter «Gewaltstraftaten» allerdings auch weitere Delikte, die über reine körperliche Gewalt hinausgehen: Raub, Erpressung, Entführung, Drohung, Nötigung und Vergewaltigungen. Wenn man allein die Vorfälle körperlicher Gewalt anschaut, sind die Zahlen in den letzten zehn Jahren schwankend gewesen – jedoch lässt sich kein Trend zu mehr körperlicher Gewalt erkennen.

Dirk Baier
«Basel ist immer noch eine sehr sichere Stadt»

Dennoch, es gibt nichts zu beschönigen – Basel führt die Kriminalitätsstatistik der Schweiz an. Das hängt allerdings auch damit zusammen, dass Basel der einzige rein urbane Kanton der Schweiz ist – und Städte stärker von Kriminalität betroffen sind als ländliche Gebiete. Über die genauen Hintergründe, warum der kantonale Vergleich Basels mit der Restschweiz wenig Sinn macht, spricht der Kriminologe Dirk Baier im Interview.

Zum Interview

Weniger Drogenkriminalität

Das liegt auch daran, dass das Bundesgericht 2017 ein entscheidendes Urteil gefällt hat: Der Besitz von bis zu zehn Gramm Cannabis ist straffrei. Vor allem die Anzeigen wegen Konsums sind seither gesunken. Einzig beim verbrecherischen Handel und Schmuggel mit Drogen steigen die Anzeigen. Und auch das ist nicht schlecht, erklärt die Leiterin der Kriminalpolizei Milena Jossen: «Basel liegt auf der Transitachse des Drogenhandels. Die Zahlen zeigen: Uns geht viel ins Netz.»

Vor allem im Sommer 2023 beschäftigte die Drogenszene das Kleinbasel. Schon seit Längerem ist jedoch ein Rückgang von «Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz» in Basel zu beobachten. Von 2017 bis 2024 hat sich die Gesamtzahl der Anzeigen mehr als halbiert – von 3968 auf 1518 Fälle.

Häusliche Gewalt wird häufiger angezeigt

Was zeigen die Zahlen der Kriminalitätsstatistik ausserdem, was auf den zweiten Blick auch positive Aspekte haben kann? Es gab vergangenes Jahr zwar 20 Prozent mehr Anzeigen wegen häuslicher Gewalt als im Vorjahr. Tendenziell wird im Trend aber seit zehn Jahren häusliche Gewalt etwas öfter angezeigt. Die Statistik pendelt seit 15 Jahren zwischen 700 und 800 Anzeigen pro Jahr, mit Ausreissern nach oben und unten. 

«Häusliche Gewalt ist ein Verbrechen, das im Verborgenen stattfindet», sagt Milena Jossen. Heisst: Die Dunkelziffer ist hoch. «Paradoxerweise könnte die hohe Zahl der Anzeigen also erfreulich sein: Möglicherweise gibt es nicht mehr Vorfälle. Vielleicht sind die Opfer auch mutiger geworden und zeigen das Vergehen öfter an.» Heisst: Das Problem der Gewalt in Paarbeziehungen ist nicht unbedingt kleiner geworden, aber die Zahlen können auch Hinweise auf strukturelle Veränderungen liefern.

Stabile Aufklärung von Gewaltverbrechen

Nichtsdestotrotz, die neuen Zahlen zeigen: Polizei und Staatsanwaltschaft haben in Basel viel zu tun. Was den Pendenzenberg angeht, konnte die Stawa 2024 «dank moderater Aufstockung», ein bisschen abgebaut werden, wie der Erste Staatsanwalt Sasha Stauffer sagt. «Aber es reicht nicht, um die strukturelle Überlastung zu beheben.» 

Weil es aber gleichzeitig mehr Anzeigen gibt, die bearbeitet werden müssen, sinkt die Aufklärungsquote von Verbrechen – allerdings vor allem bei den Vermögensdelikten, die grundsätzlich nicht die höchste Aufklärungsquote aufweisen.

Bei Straftaten gegen «Leib und Leben», also bei Gewaltfällen bleibt die Aufklärungsquote derweil stabil hoch, seit Jahren bei um die 80 Prozent. Und auch Straftaten betreffend der sexuellen Integrität wie Vergewaltigungen, sexuelle Belästigung und Nötigung werden zu rund 63 Prozent aufgeklärt.

2024-03-27 Frage des Tages Kriminalität-2
Und jetzt?

Vor einem Jahr fragten wir unsere Community, was die Kriminalstatistik und Basels Ruf als «kriminellstes Pflaster der Schweiz» mit ihnen mache. Der Grossteil der Community antwortete: Ich fühle mich sicher. In der Debatte wurde über die Ursachen der hohen Kriminalität und die Massnahmen zur Verbesserung der Situation diskutiert.

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Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitik. Way too many Anglizismen.

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