Wir stehen zu unserer Depression
Psychische Krankheiten waren lange mit Scham behaftet. In der Stadt scheint sich das zu ändern: Auf Gärngschee reden Menschen offenherzig über ihre Krisen.
Saskia ist Lehrerin. Kürzlich hatte sie eine Krise. Es ging ihr psychisch so schlecht, dass sie eine Woche daheimblieb. Als sie zurück in den Unterricht kam, erzählte sie ihren 12-jährigen Schüler*innen, was los war. Eines der Kinder sagte zu ihr: «Krank ist krank, egal ob im Körper oder in der Seele». Auch die anderen Schüler*innen zeigten Verständnis. Saskia hat sich gefreut: «Als ich 12 war, wussten wir nicht so viel darüber. Irgendein Wandel scheint zu passieren».
Lange Zeit wurden mentale Erkrankungen stigmatisiert. Menschen gestanden sich häufig nicht mal selber ein, wenn sie abstürzten. Zum Glück ist das in Basel heute anders. Das zeigt eine liebevolle Diskussion in unserer Gärngschee-Community.
Wir fragten auf Facebook: Ist psychische Krankheit noch ein Tabu in eurem Umfeld? Sprecht ihr darüber, dass ihr eine*n Therapeut*in besucht? Wie reagiert ihr, wenn euch jemand davon erzählt? Und bekamen zahlreiche Antworten.
Zum Beispiel von Gärngscheelerin Praphatsorn. Sie litt stark an Depressionen, ist deswegen schon lange in Therapie und betont, dass sie sich nicht dafür schämt, im Gegenteil. «(...) Hiermit möchte ich Betroffene ermutigen, offen über dieses Thema zu reden.» Schliesslich könne man vom Umfeld auch kein Verständnis erwarten, wenn man sich nicht mitteile. Die «innere Kriegsführung» sei für andere schwer nachvollziehbar, vor allem für Menschen, die selbst nie psychisch krank waren.
Nicole beschreibt ihre Bipolare Störung. In der Depression seien die einfachsten Dinge unmöglich, während man in der Manie die Welt neu erbauen wolle. Lange habe sie so getan, als wäre alles in Ordnung. Nach einem Zusammenbruch erhielt sie endlich Hilfe. Ihrem überforderten Umfeld gab sie das Gutachten des Psychiaters zu lesen. «Heute ist es kein Thema mehr, alle akzeptieren meine Erkrankung», schreibt sie.
Fabienne und Ariane gehen offen mit ihrer Borderline-Diagnose um. Fabienne geht seit 14 Jahren in Therapie. Neben dem Borderline Syndrom hat sie noch Depressionen. Ariane schreibt: «Bin auch Bordi» und postet ein Smiley und ein Herz-Emoji dazu.
Ariane geht seit ihrem 20. Lebensjahr offen mit ihrem Leiden um. Abwertende Kommentare treffen sie nur noch, wenn sie von ihrem nahen Umfeld kommen. «Stell dich nicht so an.» Das ist ein Satz, den sie nicht brauchen kann.
Pascale hat eine diagnostizierte Schizophrenie, Depressionen und eine Traumafolgestörung. Sie schreibt, sie sei seit ihrem dritten Lebensjahr krank, habe die Diagnose aber erst mit 18 erhalten. Weil sie anders war, wurde sie in der Schule gemobbt.
Es ist beeindruckend, wie offen Menschen in der Gärngschee-Community über ihre Erfahrungen schreiben, um anderen Mut zu machen. Doch auch heute gibt es noch traurige Geschichten zu hören.
Beffi berichtet von einem «Gaga-Stempel», den Betroffene schnell aufgedrückt bekommen. Oft fühle sie sich nicht ernst genommen, wolle sich aber trotzdem nicht verstecken.
Saskia fühlte sich von Vorgesetzten und Ärzt*innen nicht ernst genommen, als sie beinahe in ein Burnout gelaufen wäre. Auch im eigenen Umfeld stiess sie auf taube Ohren, als sie von ihren Panikattacken erzählte.
Auch Dominik plädiert für mehr Offenheit und Verständnis. Er findet es generell wichtig, psychische Gesundheit zum Thema zu machen, nicht nur für Betroffene.
Dieser Meinung schliesst sich auch Florian an, der selbst kein seelisches Leiden hat. Hätte er eines, würde er sich aber behandeln lassen und auch seinen Freunden davon erzählen. Er sieht nicht ein, warum über körperliche Krankheiten gesprochen wird, über psychische aber weniger. «Wenn ich ein defektes Auto habe und es selbst nicht reparieren kann, fahre ich zum Mechaniker.»
Eine*n Psycholog*in zu finden, ist aber nicht so einfach. Die Therapieplätze sind rar, vor allem diejenigen, die man über die Krankenkasse abrechnen kann. Zwar können Psycholog*innen ab 1. Juli theoretisch über die Grundversicherung abrechnen, aber die Krankenkassen und der Psycholog*innenverband liegen wegen des Traifs im Streit (Bajour berichtete).
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