Mann o Mann

«Mann ist Mann» heisst das Stück von Bertolt Brecht, das in Basel gezeigt wird. Es handelt davon, wie man aus einem Menschen einen Soldaten macht. Das soll ja heute wieder öfter vorkommen. Eine ernste Angelegenheit? Ja, aber lustig!

Mann ist Mann, Schauspiel, von Bertolt Brecht, Musik von Paul Dessau, Theater Basel, September 2024, Foto Lucia Hunziker



    Inszenierung – Jörg Pohl
    Musikalische Leitung – Evelinn Trouble
    Bühne und Kostüme – Lena Schön,
    Helen Stein
    Mitarbeit Bühnenbild – Jan Vahl
    Lichtdesign – Roland Heid
    Dramaturgie – Kris Merken

    Elmira Bahrami
    Jan Bluthardt
    Barbara Colceriu
    Fabian Dämmich
    Sven Schelker
    Julian Anatol Schneider
    Hanh Mai Thi Tran
    Live-Musik – Evelinn Trouble
Der liebe gute Blondschopf Galy Gay (Jan Bluthardt) wird mit Wort und Ton bearbeitet. (Bild: Lucia Hunziker)

Mit einem kurzen Vorspiel beginnt der Abend. Der Regisseur Jörg Pohl, eingesprungen für den erkrankten Kollegen Fabian Dämmich, spielt einen Affenbrotbaum, ein Elefantenkalb, die Elefantenmutter und den Mond. Die vier verhandeln einen Mordfall. Das Kalb soll seine anwesende Mutter umgebracht haben, und das lässt sich sogar beweisen. «Wer die Handlung nicht gleich begreift, braucht sich nicht den Kopf zu zerbrechen, sie ist unverständlich. Wenn Sie nur etwas sehen wollen, was einen Sinn hat, müssen Sie auf das Pissoir gehen.» Die Szene ist absurdes Theater, das sich selbst bespiegelt. Es parodiert auch die Erzählweise der Beweisführung, die im nachfolgenden Stück wichtig wird.

Pohl hebt die Rollen plastisch voneinander ab, wechselt sie anfangs mit Bedacht, beschleunigt dann den Rollenwechsel, landet im komischen Irrsinn. Er gibt Brechts «Szene vom Elefantenkalb» als Konzentrat. Das ist von grossartig gekonnter, kristallklarer, umwerfend komischer Spielmeisterschaft.

Ein Fisch, der nie gekauft wird

Danach beginnt die durchaus verständliche Geschichte vom Packer Galy Gay, der nur mal kurz auf dem Markt einen Fisch kaufen will, aber in die Fänge von drei Soldaten gerät, die zur Vervollständigung ihrer Einheit einen vierten Mann brauchen, weil sie einen Kameraden bei einem Einbruch verloren haben. Der gutmütige Galy Gay – von Jan Bluthardt berührend verkörpert – gibt zuerst nur eine kleine Hilfestellung, indem er beim Appell den Namen des verschollenen Kameraden schreit. Da dieser aber nicht mehr auftaucht, wird Galy Gay zum Soldaten «umgebaut» «wie ein Auto», so heisst es im Stück. Er verliert seine Identität und wird zur menschlichen Kampfmaschine.

Es ist ein grosse Leistung, dass die Basler Aufführung von «Mann ist Mann» Assoziationen erlaubt, ohne sie explizit auszusprechen.

Um das Jahrhundertthema vom Untergang des Individuums und der Entstehung der Masse oder des Kollektivs geht es also. Brecht setzt es allerdings in Beziehung zur Dominanz des Marktes und des Marktdenkens. In einer der gelungensten Szenen dieser Aufführung wird ein Tank verkauft. Er besteht aus jämmerlichen Latten und Tüchern, die ein paar Soldaten verbergen, welche die Geräusche eines rollenden Tanks nachahmen. Das ist doch kein Tank! Doch! Wenn er nämlich als Tank gekauft wird, IST er einer.

Dass nur der Erfolg zählt – der ökonomische wie der propagandistische – ist von unmittelbarer Aktualität. Es spielt schliesslich keine Rolle, ob die Geschichten von Haustiere fressenden Immigranten stimmen oder nicht, Hauptsache, sie wirken. Es ist ein grosse Leistung, dass die Basler Aufführung von «Mann ist Mann» solche Assoziationen erlaubt, ohne sie explizit auszusprechen.

Die Bühne als Seziertisch

Brechts Stück hat einerseits den Demonstrationscharakter der Parabel. Die These lautet: Mann ist Mann. Einer wie der andere. Und die Bühne liefert eine Beweisführung: «Aber Herr Bertolt Brecht beweist sodann, dass man mit einem Mann beliebig viel machen kann.» Stimmt das eigentlich? Ist der Mensch nach Gutdünken formbar?

Es stimmt als Gesetz, als EINE Mechanik, die in der Wirklichkeit neben anderen wirkt. Brecht nutzt das Theater als Seziertisch, er präpariert EINE mächtige gesellschaftliche Kraft heraus und lässt vieles weg, z.B. die Frage, wie verantwortlich ein Individuum, trotz aller Manipulationskräfte, für sein Handeln sei. Die ganze komplexe Wirklichkeit ist auf dem Theater nicht darstellbar. Das Stück muss «abstrakt» sein – was man ihm, v.a. von kommunistischer Seite, zu Unrecht vorgeworfen hat.

Diese Sprache ist der perfekte Ausdruck des Grunderlebnisses, dass das Individuum leer geworden ist, dass es die Welt nicht mehr fassen kann.

Gleichzeitig aber ist dieses Stück wild, rauh, aufgerissen. Die Handlung entwickelt sich oft so unwahrscheinlich und willkürlich wie die Wirklichkeit, in der wir leben. Die Dialoge sind sprunghaft, phantastisch und unlogisch. Die Sprache hat ganz eigenen coolen Humor. Das scheinbar alltägliche Geplapper der Figuren ist ironisch zugespitzt und lässt die grossen Themen und Zusammenhänge durchscheinen, ohne sie direkt zu benennen.

Die existenziellen Fragen werden dem rauhen Wind des technischen Vokabulars ausgesetzt. Diese Sprache ist der perfekte Ausdruck des Grunderlebnisses, dass das Individuum leer geworden ist, dass es die Welt nicht mehr fassen kann. Ja, das oft gar nicht mehr klar ist, was «Wirklichkeit» und was «Fantasie», Lüge oder «fake» ist.

Musikalische Highlights

Diese Sprache rüberzubringen, gelingt allerdings nicht allen Spielerinnen und Spielern gleichermassen. Sehr schön Hanh Mai Thi Tran als Frau Galy Gay. Julian Anatol Schneider gibt einen locker brutalen – und gar nicht unsympathischen! - Soldaten. Elmira Bahrami als Soldat und Barbara Colceriu als der schreckliche Sergeant zerstören manchmal durch schrilles Schreien die Verständlichkeit, den Witz und Biss der Brechtschen Sprache.

Mann ist Mann, Schauspiel, von Bertolt Brecht, Musik von Paul Dessau, Theater Basel, September 2024, Foto Lucia Hunziker



    Inszenierung – Jörg Pohl
    Musikalische Leitung – Evelinn Trouble
    Bühne und Kostüme – Lena Schön,
    Helen Stein
    Mitarbeit Bühnenbild – Jan Vahl
    Lichtdesign – Roland Heid
    Dramaturgie – Kris Merken

    Elmira Bahrami
    Jan Bluthardt
    Barbara Colceriu
    Fabian Dämmich
    Sven Schelker
    Julian Anatol Schneider
    Hanh Mai Thi Tran
    Live-Musik – Evelinn Trouble
Evelinn Trouble überzeugt mit ihrer Inszenierung der Musik von Paul Dessau. (Bild: Lucia Hunziker)

Grossartig sind Musik und Auftritt von Evelinn Trouble an der Gitarre. Ihre kurzen und energischen, musikalischen Interventionen sind eigenständige Kommentare zur Handlung. Selbstbewusst mischt sie sich in die Szenen ein. Sie hat immer wieder einen ebenbürtigen Partner: Sven Schelker singt nicht nur betörend schöne Chansons, er gibt als Kantinenwirtin Leokadja Begbick dem Abend Romantik und einen Schuss Sentimentalität. Ihm und der Musikerin obliegt es auch, das gesellschaftliche Thema des Stückes ins Existenzielle zu erweitern, etwa mit dem Lied vom ewigen «Fluss der Dinge».

Regisseur Pohl und die Basler Companie beherrschen ihren Stil mittlerweile ohne zu outrieren: Keine Requisiten, minimales Bühnenbild, viel Slapstick. Im Zentrum immer der Spieler, die Spielerin.

Ja, so muss man mit Brecht umgehen

Brecht hat sein Stück oft umgestaltet und ergänzt. Es gibt Fassungen, in denen die Verwandlung des Galy Gay durchaus positive Seiten hat: «Aber der neue Mann / ist der bessere Mann.» In den 20er-Jahren war die Utopie von einem echten, sozialen Kollektiv aus emanzipierten Personen noch präsent. Je näher der Nationalsozialismus kam, desto mehr präsentierte Brecht das Kollektiv, das entsteht, als eine autoritäre Bande. Die Basler Aufführung setzt ganz auf diese Sicht. Galy Gay wird in ein militärisches Mordkollektiv eingepasst, denn im Norden droht ein Krieg. Man traut seinen Ohren nicht angesichts der Kriegsgefahr im Norden von Israel.

Brecht selbst hat die Theaterschaffenden dazu eingeladen, sein Stück zu verändern. Die Basler Compagnie und Jürg Pohl haben es getan. Den im Stück durchaus angelegten Gender-Aspekt zu verstärken, hat der Aufführung gut getan. Frau Gay rebelliert jetzt und verlässt ihren Mann. Der brutale Sergeant ist eine Verkörperung des Männlichkeitswahns. Über andere Änderungen kann man streiten, aber klar ist: dieser vergnügliche Abend zeigt einen lebendigen Brecht. Ja, so muss man mit Brecht umgehen. «Mann ist Mann» wird da zu «Mann o Mann».

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