Live auf dem Mars
Die Wunder der Technik machen es möglich: Spaziergänge auf dem Mars. Der französische Regisseur Philippe Quesnes zeigt in Basel seine «Mars-Chroniken».
Die Landschaft um den spanischen Fluss Rio Tinto ist bei der Stadt Huelva dem Mars so ähnlich, dass Raumfahrtagenturen sie zur Vorbereitung von Mars-Missionen nutzen und sie kürzlich auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben: Eine Tourismus-Sensation.
Aber Marsspaziergänge kann man jetzt einfacher haben: im Theater Basel. Vier Spieler und zwei Spielerinnen nehmen uns mit auf ihre Mars-Expeditionen. Zuerst erkunden Sie den Planeten, danach organisieren sie eine erste Kolonisierung und dezimieren die Marsbewohner, indem sie die Windpocken einschleppen, schliesslich wird der Mars zum Zufluchtsort, weil ein Atomkrieg die Erde zerstört hat.
Das Ganze sieht ärmlich aus. Auf dem Bildschirm aber erscheint ein perfekter Ritt.
Fürs Publikum ist das einmalige Erlebnis dabei eine Art Zwei-Kanal-Theater. Einmal sind die Spielenden auf der Bühne zu sehen. Sie agieren dort, wie Schauspieler eben agieren. Gleichzeitig aber werden sie live mit der Green-Screen-Technik gefilmt und auf einen riesigen Bildschirm projiziert.
Dort erscheinen sie in einer völlig anderen Welt, dort ist alles möglich: Sie spazieren durch weite Marslandschaft, Figuren erscheinen, verschwinden, lösen sich auf. Gesichter, Körperteile, Objekte schweben frei im Raum. Das Faszinierende dabei: Ich kann zwischen Bühnenrealität und Filmrealität frei hin- und herblicken.
Auf der Bühne sehe ich einen einsamen Schauspieler, der «reiten» imitiert. Er hüpft breitbeinig auf der Stelle und schlägt das nicht vorhandene Pferd mit einer nichtvorhandenen Peitsche. Zwischen ihm und der Kamera schüttelt ein anderer Spieler eine mickrige Perücke mit grauen Haaren. Neben den beiden steht eine Kollegin und imitiert mit Metallschuhen die Galoppgeräusche. Das Ganze sieht ärmlich aus.
Auf dem Bildschirm aber erscheint ein perfekter Ritt, der Mann jagt wild wie ein Cowboy durch eine grossartige Landschaft, vor ihm flattert die Mähne des Pferdes im Wind, die Hufe schlagen im Takt.
Realitäts-Kuddelmuddel
Eine andere Szene: Mitten auf dem Mars erscheint ein gemütliches Haus, darin ein gemütliches Zimmer – und, oh Schreck, die Haare, die Brille, die Stimme der längst verstorbenen Grossmutter. Mit unsichtbaren Armen umklammert sie ihren Enkel. Auf der realen Bühne sehe ich nur eine Schauspielerin scheinbar sinnlos herumtapsen.
Insbesondere im ersten Teil des Abends kommt man aus dem kindlich-wohligen Staunen nicht heraus. Die Marsbewohner wehren sich mit Telepathie und Gedankenleserei gegen die Eindringlinge von der Erde. Da sie wissen, was in den Köpfen und Herzen der Erdlinge vorgeht, können sie sie verblüffen. Kaum denkt einer an seine Grossmutter, so erscheint sie schon.
Es entsteht ein Kuddelmuddel, das daran erinnert, dass wir auch sonst in unserem Leben nicht mehr so genau wissen, was «Wirklichkeit» und was «Fiktion» ist.
Auf der Bühne sehen wir reale Personen, die aber fiktive Figuren darstellen. Auf der Leinwand sehen wir diese fiktiven Figuren nochmals, aber in einer anderen Fiktion, nämlich auf dem Mars.
Und wenn dann Figuren, von denen diese Leinwandmenschen nur träumen, im Bild erscheinen, dann entsteht ein amüsantes und verwirrliches Kuddelmuddel, das von ferne, mit ganz eigenen ästhetischen Mitteln, daran erinnert, dass wir auch sonst in unserem Leben nicht mehr so genau wissen, was «Wirklichkeit» und was «Fiktion» ist.
Grosse Bilder
Die Video- und Lichtdesigner Robin Nidecker und Mario Bubic machen das technische Wunder möglich. Philippe Quesnes, geboren 1970, international gefragter französischer Regisseur, kommt von der bildenden Kunst. Er inszeniert grosse Tableaus. Bühne und Spieler vereinigen sich zu Gemälden, zu farblich durchkomponierten Welten. Seine Produktionsfirma Vivarium Studio stellt auf ihrer Webseite seine Arbeiten ausschliesslich mit Bildern ohne Text vor.
Für die «Chroniken vom Mars» liess sich Quesnes von den «Martian Chronicles» des US-amerikanischen Schriftstellers Ray Bradbury (1920 – 2012) anregen. Bradbury wurde berühmt mit dem dystopischen Roman «Fahrenheit 451», den François Truffaut 1966 verfilmte. Bradburys 1950 erschienenen Mars-Chroniken sind kein Roman, sondern eine Sammlung von Kurzgeschichten.
So wunderbar das Zwei-Kanal-Theater ist, inhaltlich bietet es wenig, es bleibt beim technischen Glanz.
Das merkt man auch Quesnes Inszenierung an: Sie zerfällt in Episoden. So wunderbar das Zwei-Kanal-Theater ist, inhaltlich bietet es wenig, es bleibt beim technischen Glanz.
Die Botschaft von der Schlechtigkeit des Kolonialismus und der Ausbeutung der Natur kommt knüppeldick, die Bilder vom Atomkrieg sind konventionell. Quesnes lässt auch den Autor Bradbury selbst auftreten – allerdings agiert er kaum und bleibt, trotz zwei Lesungen blass. Schauspielerisch ragen die beiden Basler Frauen Annika Meier und Gala Othero Winter heraus.
Am Schluss erscheint ein zynischer Optimist, der mit den Flüchtlingen von der atomverseuchten Erde sein Geschäft machen will. Er eröffnet einen Hot-Dog-Stand auf dem Mars. Die Szene arbeitet zwar mit einem argen Yankee-Klischee, aber sie bringt doch noch etwas Schmiss in den Abend, kurz bevor er zu versanden drohte. Was bleibt: Die Freude über die perfekt genutzte Technik.
Nächste Vorstellungen:
- 20.10., 18:30 Uhr
- 24.10., 19:30 Uhr
- 25.10., 19:30 Uhr
- 28.10., 19:30 Uhr
Alle Termine und Tickets gibt es hier: theater-basel.ch