Ausgebremst

«Wer bremst, bleibt», so heisst das Stück des Basler Autors Silvan Rechsteiner, entstanden im Auftrag des Theater Basel. Hauptperson ist ein frustrierter 38-jähriger Zugbegleiter. Wo sind die Erregungen seiner Jugend geblieben? Ausgebremst!

Wer bremst, bleibt
Was war denn das? Zugbegleiter Bruno blickt zurück auf sein Leben. (Bild: Ingo Höhn)

Zugbegleiter Bruno ist in der Midlife-Crisis. Das Stück «Wer bremst, bleibt» erzählt seine Geschichte. Eine grelle, laute und sehr fremde Welt entfaltet sich auf der kleinen Bühne des Theater Basel. Ob das dem Stück von Autor Silvan Rechsteiner gerecht wird, ist fraglich.

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Zur Person

Silvan Rechsteiner, geboren 1994 in Basel, arbeitete als Zugbegleiter bei der SBB, bevor er am HyperWerk der Fachhochschule Nordwestschweiz einen Bachelor machte. Er perfektionierte sich in Zürich, Berlin, Wien und kam dann ins «Stück Labor», ein vom Theater Basel initiiertes Förderprogramm. Aus dieser Talentschmiede waren in Basel schon mehrere Stücke zu sehen: «Kranke Hunde» von Ariane Koch, «Die beste aller Zeiten» von Michelle Steinbeck und «MILF» von Anne Haug.

Als Teilnehmer des «Stück Labors» wurde Rechsteiner in der Spielzeit 2023/24 Hausautor am Theater Basel. bekam einen honorierten Stückauftrag und Betreuung beim Schreiben. So entstand «Wer bremst, bleibt».

Rechsteiners Stücke wurden in letzter Zeit in Berlin, Leipzig, Hamburg, Koblenz und Wien gezeigt. 2023 war in Basel seine «Erna» zu sehen. Sein Stück «Mosaik» stand auf der Shortlist für den im Dezember erstmals vergebenen «Berliner Stückepreis für ein junges Publikum».

Das Stück

Rechsteiner, der, bevor er zum Theater kam, selber als Zugbegleiter arbeitete, entwickelt ein erzählendes Theater, in dem die Spielenden keine festen Identitäten haben, sondern ihre Rollen schnell wechseln, verschiedene Figuren darstellen und durch viele Zeiten tanzen. «Wer bremst, bleibt» nutzt das bekannte Bild der Zugreise als Sinnbild der Lebensreise, ergänzt es aber durch die Metapher von der Bremsung. 

Das Bremsen ist ein neues und starkes Bild für die Desillusionierungen und Verluste von Begeisterung, Gefühlen etc., die den Menschen im Laufe ihres Lebens zugemutet werden. Dabei hält das Stück die Balance zwischen der Wiedergabe konkreter Wirklichkeit und Phantasieszenen. 

Einerseits sind Zugdurchsagen zu hören («Geschätzte Fahrgäste, in Kürze erreichen wir…»), Reisende beschweren sich oder fordern das Unmögliche («Wir sind eine Gruppe. Können Sie noch zwei Wagen anhängen?»), die Chefin reagiert mit Zuckerbrot und Peitsche. All das ist ganz realitätsnah – man kann sich gut vorstellen, dass Rechsteiner wie Bruno solche Situationen erlebten. Andererseits aber taucht Bruno in seine Erinnerungen ab, assoziiert, phantasiert, hat Träume und Albträume. Er singt: «Flohst Du von mir? Du, mein lieber Traum? 10 Jahre Bremsen und Billette. War es das? Ist es das?» 

Mit Bruno stehen auf der Bühne die Berufsberaterin, die ihn einst aufgrund einer zufallsgenerierten Entscheidung ihres Computers in eine Lehre bei den SBB gedrängt hat, und eine Darstellerin der verschiedenen Fahrgäste. Eingebaut ist auch eine Romanze mit einer jungen Frau, die Bruno im Zug kennenlernt und bald wieder verliert.

Die Inszenierung

Die Regisseurin Patricija Katica Bronić und ihre Spielenden Barbara Colceriu (Berufsberaterin und andere Rollen), Dominic Hartmann (Bruno) und Katharina Gieron (Marta und andere Rollen) haben die realistischen Teile des Stückes in den Hintergrund gedrängt und sind ins Groteske und Comicartige gegangen.

So entsteht eine Bildergeschichte mit überzeichneten Karikaturen. Abgesehen von ganz wenigen Entspannungsmomenten stehen die Figuren unter ständigem Druck. Sie spielen ganz aus dem Frust der Midlife-Crisis heraus. 

«Gestern war mein 38. Geburtstag und ich hab im stinkenden Personalzimmer gefeiert», beginnt Bruno die Erzählung seiner Geschichte, und fügt wenig später dazu: «Meine Geschichte ist wohl, dass ich keine habe.» Ratlos fuchtelt er immer wieder mit seinen Händen im Leeren herum. Angestrengt schiebt er über die kahle, neonbeleuchtete Bühne eine schwere Treppe mit zwei Säulen, die auf dicken, am Boden liegenden Balken gleitet.

Er trägt groteske, kurze Hosen aus kariertem Stoff. Die Berufsberaterin kommt im unpassenden, bonbonfarbenen 50er-Jahre-Look daher, ihre Schreie sind schrill, ihre Energie ein Albtraum für den armen Bruno. In seinen Phantasien erscheint sie ihm als Schauspielerin, die mit ihm endlos den Satz «nächster Halt St. Gallen» einstudiert: «Muss von innen kommen, mit Gefühl!!», kreischt sie.

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Die Berufsberaterin und eine Zugreisende. (Bild: Ingo Höhn)

Am Erzählen und Ausmalen von Lebenssituationen ist diese Inszenierung wenig interessiert. Es dominiert der Schlagabtausch unter den Spielenden und das Textschleudern ins Publikum, wenn die Spielenden parallel zur Rampe stehen.

Rechsteiners Stück ist schwer zu erkennen und schwer zu beurteilen. Sein Text ist auf weite Strecken unverständlich artikuliert und zu wenig ausgelotet. Vielleicht hätte man das Stück zur Uraufführung doch einer Regisseurin geben sollen, die weniger auf ihrem eigenen Stil beharrt und sich eher dem Stück widmet. Es ist ein interessantes, aber nur teilweise geglücktes Experiment.

Das Stück «Wer bremst, bleibt» wird aktuell auf der kleinen Bühne des Theater Basel aufgeführt. Infos zu Terminen und Tickets gibt es hier.

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