So geht Hexenkessel

Die Handballer vom RTV Basel besiegen Stäfa im Rankhof vor über 1000 Zuschauer*innen und steigen in die Nationalliga A auf. Spiel und Stimmung: erstklassig.

RTV Basel gegen Stäfa Aufstiegsspiel
Hexenkessel Rankhof. (Bild: Jan Soder)

Am Mittwochabend bildet sich auf der Sportanlage Rankhof eine Schlange an Handballfans. Sie wartet auf Einlass in die Sporthalle, wo die Spieler des RTV Basel ihre letzte Partie der Saison gegen Handball Stäfa bestreiten werden. Ein Mädchen verteilt Ballons in den Farben des Heimteams: schwarz und weiss. Abseits der Schlange werden Biere getrunken, Burger verspeist und Hände geschüttelt. Man kennt sich, die Stimmung ist familiär und friedlich. In einer Traube von Auswärtsfans gibt es ebenfalls Ballons: Stäfa-Gelb. 

Die beiden Teams beendeten die reguläre Saison auf den obersten beiden Tabellenplätzen der Nationalliga B. Jetzt duellieren sie sich um den Aufstieg in die höchste Liga. Aus dieser ist der RTV erst letzte Saison abgestiegen. Das erklärte Ziel: der direkte Wiederaufstieg. In den bisherigen vier Partien der Best-of-Five-Playoff-Serie gewannen beide Teams je zwei Spiele. So kommt es zum alles entscheidenden letzten Spiel im Basler Rankhof. Wer gewinnt, steigt auf. 

Zuvorderst in der Schlange werden Stempel auf Handgelenke gedrückt, ähnlich wie im Technoclub. Dem gleicht auch die Stimmung im Innern – zumindest der Lärmpegel. Schlagerhits wechseln sich mit Rockhymnen ab. Der Hallenspeaker heizt dem Publikum 15 Minuten vor Anpfiff ordentlich ein. Laola-Wellen werden initiiert, Holzratschen geschwungen, auf Pauken gehauen und Lufthörner zum Dröhnen gebracht. Erinnerungen an die Fussball-WM 2010 kommen hoch.

RTV Basel Aufstiegsspiel 2024
Kurz davor zu platzen: der Aufstiegstraum einer der beiden Mannschaften. (Bild: Jan Soder)

In der Halle wird das Familiäre durch Kampfgeist abgelöst. Die beiden Fangruppen stehen sich links und rechts des Spielfelds gegenüber. Schwarz-Weiss auf der einen, Gelb auf der anderen Seite. Wobei sich auch einige RTV-Anhänger*innen auf die «böse» Seite setzen müssen. Der Andrang ist schlicht zu gross. Einige besonders junge Fans sitzen auf dem Hallenboden direkt am Spielfeldrand und bilden eine Art Kinder-Ultras-Block. Hot Dogs, Pommes und viel Lärm – was will man an einem Sportanlass mehr? Die Fans zeigen stolz ihre neuen RTV-Hoodies und alten Vintage-Trikots. Eine junge Zuschauerin trägt das Vereinslogo als Abziehtattoo im Gesicht. 

Nach einer Verschnaufpause setzt der Hallenspeaker zur Spielervorstellung an. Die Fans machen dabei so viel Lärm, dass es zur Unmöglichkeit wird, einen Namen zu verstehen. Zwei Stäfa-Spieler stacheln die beachtliche Auswärtsfankurve an. Die Gegentribüne antwortet: «R-T-V!» 

Kaum ist die Partie angepfiffen, füllt der Duft des Harzes die Halle. Die beiden Fankurven stimmen – scheinbar aus Versehen – in denselben Rhythmus ein: «Stä-fa» gegen «De-fense». Das Spiel beginnt mit drei Paraden, zwei technischen Fehlern und einem Zeitspiel, bis Babic in der fünften Minute das Heimpublikum mit dem ersten Treffer erlöst. Sogleich schnellen die schwarzen und weissen Ballone in die Luft. 

RTV Aufstiegsspiel 2024
Die Fans geben alles. (Bild: Jan Soder)

In der ersten Halbzeit brillieren vor allem die beiden Abwehrreihen und die Goalies. Zur Pause steht es gerade mal 8:9 für die Gäste. Der RTV hadert mit dem Gegner und die Fans mit dem Schiedsrichter. Quasi-Experten lassen auf den Rängen nicht lange auf ihre Meinung warten. «Hey Schiri! – Wächslet mol dä Ball! – Schrittfehler!»

In der Pause erobern sich die jüngsten Fans das Spielfeld und werfen sich kleine Handbälle zu. Die älteren der über 1000 Zuschauer*innen strömen nach draussen. Burger, Bier, Pipi- und Rauchpause. Die Stimmung ist angespannt. Die meisten Basler Anhänger*innen haben wohl mit einem besseren Ergebnis zur Pause gerechnet. Wirklich erstklassig war die Leistung ihres Teams – zumindest offensiv – noch nicht. Ein älterer RTV-Fan meint zu seinen Kollegen: «Dä Goalie gwinnt dä Match elai!»

RTV Aufstiegsspiel 2024
RTV, chum bring en hei. (Bild: Jan Soder)

Bevor alle Fans verpflegt sind, beginnt schon die zweite Halbzeit. Die Emotionen steigen. Es wird bei jedem Goal lauter gejubelt, bei jeder Parade intensiver gefeiert und bei jedem vermeintlichen Fehlentscheid des Schiris übler geflucht. Ein Sprechchor löst den anderen ab: «De-fense!, De-fense! – R-T-V!, R-T-V! – U-se!, U-se!» Der Rankhof wird nach und nach zum Hexenkessel, was die Spieler auf dem Feld zu beflügeln scheint. Nach 40 Minuten steht es 23:16 für die Heimmannschaft. Stäfa sieht sich gezwungen, ein Team-Timeout zu nehmen. Im kurzen Unterbruch erklingt Baschis «Bring en hei» aus den Lautsprechern. 

In den letzten zehn Minuten setzen die Gäste auf schnelle Abschlüsse und offensive Abwehr. Alles oder nichts. Doch der RTV trifft und trifft und sein Goalie Guàrdia hält und hält. Der Aufstieg scheint zum Greifen nahe. Die Lufthörner dröhnen unermüdlich. Hier ist die Tinnitus-Gefahr höher als im Technoclub.

RTV Aufstiegsspiel 2024
Wenige Zentimeter von den Profis entfernt: der Kinder-Ultras-Block. (Bild: Jan Soder)

In den letzten Spielminuten wird die Anspannung durch Freude abgelöst. Es kommt zu Standing Ovations und durchgehendem Klatschen neben und trickreichen Spielzügen auf dem Feld. Spieler und Fans geniessen diese letzten Sekunden der Handball-Saison. 

Dann setzen die Rufe ein: «Drei – zwei – eins». Abpfiff. Der Kinder-Ultras-Block stürmt das Feld, die Spieler fallen sich in die Arme, «We Are the Champions» erklingt. Die Auswärtsfans zollen ihrer Mannschaft Respekt, während die Heimkurve aus Anerkennung ihrer Aufstiegshelden reihenweise die Ballons platzen lässt. 

RTV Aufstiegsspiel 2024
Hier gibt es kein Halten mehr: Platzsturm im Rankhof. (Bild: Jan Soder)

Die Stimmung war es bereits, ab kommender Saison ist es auch der Handball wieder: erstklassig. Der direkte Wiederaufstieg in die Nationalliga A ist geglückt. Ab September darf sich der RTV wieder mit den besten Schweizer Mannschaften messen. 

In der Halle weichen sich die Fronten auf, die familiäre Stimmung kehrt zurück. Spieler umarmen ihre Liebsten, der Cheftrainer trinkt Bier auf der Tribüne, die jungen Fans holen sich Autogramme, einer ergattert sich sogar ein Spielertrikot, aus den Lautsprechern dröhnt «Oh, wie ist das schön». Die Halle leert sich langsam. Der harte Kern der Basler Anhänger*innen verbleibt. Ein junger Fan ruft seinem Vater zu: «Kumm mir fyyre no e bizli!»

RTV Aufstiegsspiel 2024
Ab nächster Saison wieder erstklassig: dr RTV. (Bild: Jan Soder)

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Das ist Jan (er/ihm):

Nachdem er einen 1-Mann-Musikblog führte, stiess Jan für fünf Monate als Praktikant zu Bajour. Währenddessen moderierte er die lokale Radiosendung BSounds auf Radio X. Nun ist er neben dem Studium bei Bajour als Briefing-Schreiber und Beat-Beauftragter tätig.

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