Schnelltest bitte nach Basler statt nach Bündner Art
Endlich! Der Bundesrat will Covid-Schnelltests fördern. Dabei hat er – vorerst – die Wahl zwischen dem Bündner und dem Basler Modell.
Zunächst zum aktuellen Normalzustand: Meine Grippensymptome sind immer noch da. Ich kriege morgen einen Test-Termin und weitere zwei Tage später kommt der Bescheid. Positiv. Zehn Tage Isolation. Damit kann ich während gut der Hälfte meiner infektiösen Periode immer noch andere anstecken. Weil es aber zusätzlich immer wieder mal einen Lockdown gibt, gelingt es uns trotz dieser schlechten Test-Strategie – die Ansteckungsrate (den R-Wert) rund um 1 schwanken zu lassen.
Jetzt zum Idealzustand: Ich wache morgens auf, spucke auf einen 2 Franken teuren Teststreifen und weiss: Heute bin ich nicht ansteckend. Wenn doch, gehe ich in Isolation und ergreife sofort einfache Gegenmassnahmen wie Vitamin D und C schlucken, Gurgeln, schonen. Modellrechnungen zeigen, dass der R-Wert auch dann schnell weit unter 1 sinkt, wenn nur alle 3 Tage getestet wird und der Test eine Falsch-Negativ-Rate von 10% hat, also nur 90 von 100 Ansteckenden erwischt.
Nun zum Bündner Modell: Ich gehe am Morgen zur Schule, zur Arbeit oder in den Frühstücksraum meines Altersheims. Dort spucke ich in ein Fläschchen. Dieses wird ins Labor geschickt und einem PCR-Test unterworfen. Zwei Tage später kriege ich Bescheid – und eine Rechnung über 119 Franken allein für das Labor (Details hier).
Das Prozedere wird alle sieben Tage wiederholt. Damit werden Angesteckte während etwa 70% der infektiösen Periode aus dem Verkehr gezogen. Die Bündner Regierung schätzt, dass es genügt, 30% der Bevölkerung auf diese Weise regelmässig zu testen, um den R-Wert auch ohne Lockdown deutlich unter 1 zu senken.
Das Basler Modell verdankt seinen Namen der Tatsache, dass der Antigen-Test oben im Bild vom Basler Pharmakonzern Roche produziert – und für 5.50 Franken verkauft – wird: Wie im Bündner Modell gehe ich am Morgen zur Arbeit, spucke dort aber nicht in ein Fläschchen, sondern «erleide» einen Nasenabstrich. Das ist unangenehm. Ein Minuspunkt. Fünf Pluspunkte gibt es aber dafür, dass der Ergebnis schon nach 15 Minuten feststeht. Ich gewinne zwei Tage. Bei einem Test pro Woche verkürzt sich die infektiöse Phase um –Grössenordnung – 85 bis 90%.
Angesichts des enormen Zeit- und Kostenvorteils spricht alles für den Roche-Test. Und noch etwas kommt dazu: Inzwischen haben etwa 20% der Bevölkerung mit dem Corona-Virus Bekanntschaft gemacht, und laufen deshalb Gefahr, PCR-positiv getestet zu werden, auch wenn sie nur noch tote Fragmente des Virus aufweisen. Antigen-Tests fallen praktisch nur dann positiv aus, wenn die Virenlast gross genug, bzw. wenn die getestete Person schon oder noch ansteckend ist. Ist der Test trotz Symptomen negativ, sollte man das bis zum Abklingen der Symptome als Anzeichen werten, dass die Krankheit im Anmarsch ist.
Bleibt die Frage, warum man nicht schon längst auf Antigen-Schnelltests in Betrieben oder auch zuhause (das gibt es auch schon) setzt.
Zwei Gründe:
- Haben öffentliche Test-Zentren den Vorteil, dass der Staat erfährt, wer positiv ist und so die Isolation überprüfen kann. Doch selbst wenn sich 10% der privat getesteten nicht an die Isolation halten, sind Antigen-Schnelltest immer noch viel effizienter.
- Gelten Antigen-Tests als wenig präzise. Beim Roche-Test etwa fallen 3,5 von 100 Positiven durch die Maschen. Doch auch PCR-Tests sind gemäss dem Swiss Medical Forum vor allem kurz nach der Ansteckung nicht absolut verlässlich. Zum Zeitpunkt der ersten Symptome werden sogar 38 von 100 Erkrankten nicht erkannt. Auch wenn sich die Treffsicherheit inzwischen verbessert haben sollte, ist dieser «Vorteil» der PCR-Tests illusorisch.
Und dann ist da noch die Kostenfrage.
In Graubünden brauchte es im Schnitt 80 Tests zu insgesamt rund 150 Franken, um einen PCR-Positiven zu erwischen. PCR-positiv zu sein, bedeutet aber noch lange nicht, dass man auch ansteckend ist. So scharf (40 bis 45 Zyklen) wie die PCR-Tests heute normalerweise eingestellt werden, sind von 100 Positiven oft nur die Hälfte effektiv ansteckend.
Das heisst, dass wir mit solchen Tests etwa 25'000 Franken ausgeben müssen, um eine*n Ansteckende*n in Isolation zu schicken. Mit einem billigeren Antigen-Test kann man mit gleich viel Geld mindestens 10 mal mehr Menschen testen.
«Dutzende von Anbieter*innen von Schnelltests warten darauf, dass die Zulassungsbedingungen gelockert werden.»
Inzwischen bahnt sich nicht nur in der Schweiz sondern etwa auch in Deutschland in Sachen Tests ein Umdenken an. Und Dutzende von Anbieter*innen von Schnelltests warten darauf, dass endlich die Zulassungsbedingungen gelockert werden. Das Potential zur Bekämpfung von Covid-19 ist gewaltig.
Wir stehen vor einem schnellen Lernprozess, der hoffentlich bald einmal den Idealzustand (siehe oben) erreichen wird. Das Bündner Modell ist noch weit davon entfernt. Doch irgendjemand musste den Anfang machen. Allegra!
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Werner Vontobel ist gebürtiger Basler und einer der bekanntesten Wirtschaftsjournalisten der Schweiz. Auf Bajour bringt er sich regelmässig zu volkswirtschaftlichen Themen, konjunkturpolitischen Grundsatzdebatten und ökonomischen Sinnfragen ein.