Von Freigeistern und Kleingeistern
Das Schyssdräggzygli «Wie de wotsch» bummelt seit 17 Jahren mit kreativen Ideen durch die Fasnacht. Das Fasnachtsmotto «Syg wie de wotsch» scheint massgeschneidert für das Duo.
Ein Gespenst geht um in Basel. Besser gesagt zwei. Es sind die Geister des Eurovision Song Contest, die sich in diesem Jahr auf die Stadt legen. Zunächst aber sind sie erstmal an der Basler Fasnacht unterwegs: Zwei weisse Bettlaken mit roten ESC-Herzchen auf der Rückseite – und mit Beinchen, die in Pailletten, Rüsche und Strapsen den Glamour des Mega-Events symbolisieren.
«Manche bewundern unsere Beine und erschrecken dann, wenn sie hochschauen», erzählt Michael Freivogel, dem zwei der Beinchen gehören. Die anderen sind die von Beatrice Kern. Zusammen bilden sie das Schyssdräggzygli «Wie de wotsch», das seit 2008 an der Fasnacht durch die Strassen geistert. Dieses Jahr wollten sie eben den «Spirit» des ESC einfangen, der sich auf zwei Arten in der Stadt ausdrückt: Als «Freigeist» von ESC-Begeisterten oder als «Kleingeist» à la EDU, der sich gegen den Event wehrt.
Beatrice, SRF-Kulturjournalistin, und Michael, Geologe beim Umweltamt, kennen sich schon seit vielen Jahren aus dem Chor. Beide stammen aus fasnachtsbegeisterten Familien. «Aber in einer Clique Fasnacht zu machen, kam für uns nie infrage», sagt Beatrice. «Da ist es uns zu organisiert und fast schon – das sage ich in den grösstmöglichen Anführungszeichen – zu ‹militärisch›.»
Aber nur passiv an der Fasnacht zuzuschauen, reichte ihnen dann auch nicht mehr, als sie nach dem Morgestraich 2008 zusammen in einer Beiz sassen. «Wir haben beschlossen, dass wir einfach mal schauen, was wir so für Kostüme bei uns zuhause finden.» Michael fand eine Kufiya, die er zu einem arabisch-muslimischen Outfit kombinierte. Beatrice holte eine Mönchskutte und eine Kreuzkette aus dem Schrank. Weil damals noch eine weitere Freundin mitzog, die ein (Friedens-)Taubenkostüm besass, hatten sie schnurstracks das Thema: Versöhnung unter den Religionen.
«Der anarchische, freie Aspekt ist für uns ein wichtiger Teil der Fasnacht.»Michael Freivogel
Aber nur passiv an der Fasnacht zuzuschauen, reichte ihnen dann auch nicht mehr, als sie nach dem Morgestraich 2008 zusammen in einer Beiz sassen. «Wir haben beschlossen, dass wir einfach mal schauen, was wir so für Kostüme bei uns zuhause finden.» Michael fand eine Kufiya, die er zu einem arabisch-muslimischen Outfit kombinierte. Beatrice holte eine Mönchskutte und eine Kreuzkette aus dem Schrank. Weil damals noch eine weitere Freundin mitzog, die ein (Friedens-)Taubenkostüm besass, hatten sie schnurstracks das Thema: Versöhnung unter den Religionen.
Zack, war ein Schyssdräggzygli geboren. «Der anarchische, freie Aspekt ist für uns ein wichtiger Teil der Fasnacht. Genau das, was wir selbst am liebsten auf den Gassen sehen, wollen wir auch mit unseren Sujets ausleben», sagt Michael. Seither kommen sie jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr zusammen, schauen sich Jahresrückblicke an und überlegen, was im vorherigen Jahr beschäftigt hat. Es sei schön, wie viel Kreativität dieser Prozess freisetze, findet Beatrice.
«Für uns kam nie infrage, in einer Clique Fasnacht zu machen.»Beatrice Kern
An ihrer zweiten Fasnacht bewegte die Welt der grosse Hadronenbeschleuniger im Genfer Forschungszentrum CERN in Genf – und die Frage, ob dieser aus Versehen ein Schwarzes Loch kreieren könnte. Beatrice und Michael verkleideten sich als zwei Albert Einsteins und gingen mit einer präparierten Bohrmaschine durch die Gassen – mit dem Angebot, die Blaggedden «schwarz zu lochen». «Am Anfang waren die Leute skeptisch, aber irgendwann haben sie uns ihre Blaggedde quasi aufgedrängt», erinnert sich Beatrice.
Auch Löcher in den Wänden und manche Schlüssellöcher überklebten sie damals mit Stickern, auf denen «schwarz gelocht» stand. In vielen Jahren verteilt das Duo zum Sujet passende Sticker – «manche sieht man heute noch an der ein oder anderen Stelle», sagt Michael. In diesem Jahr haben sie – natürlich – herzförmige Glitzersticker mit einem freundlichen Regenbogen-Geist produziert.
«Es ist schön, etwas zu verteilen», so Michael. «Wir hatten auch schon Zeedel und Buttons – und in einem Jahr ein Beizli, in dem es Chili con carne. Fasnacht soll auch interaktiv sein – das versuchen wir immer auf die ein oder andere Weise einfliessen zu lassen.» In manchen Jahren, wie in diesem, reicht es ihnen aber auch, mit ihren Kostümen etwas zu präsentieren. Und manchmal wird ihr Schyssdräggziigli zur regelrechten Perfomance. Nach der Brexit-Abstimmung errichteten sie, als englische Bulldoggen verkleideten, mit Absperrband mitten in den Strassen eine fasnachtsfreie Zone, in der sie Tee tranken.
Als 2012 der Maya-Kalender endete (und popkulturell über das Ende der Welt sinniert wurde), verkleidete Michael sich als Biene Maya und Beatrice als Bienerich Willy, mitsamt Maya-Kalender-Bollerwagen im Schlepptau. «Wenn immer möglich, vertauschen wir bei den Kostümen die Geschlechter», sagt sie. Entsprechend schlüpfte Beatrice Jahre später in das Blätzlibajass-Goschdym und Michael in jenes der Alte Dante. Es war eine Hommage an die klassische Fasnacht – und hat entsprechend viel Zeit in Anspruch genommen, um die Kostüme zu basteln und selbst zu nähen.
Mit ihrem 2008 entstandenen Namen «Wie de wotsch» haben die beiden ausgerechnet in diesem Jahr einen Nerv getroffen. «Das Comité hat uns den Namen geklaut», sagt Beatrice und lacht. Und Michael ergänzt: «Wir warten noch auf den Scheck.»