Nicht nur «happy problems»
Kaum ist der Eurovision Song Contest vorüber, wird Bilanz gezogen. Während Regierungspräsident Conradin Cramer nach wie vor (zumindest verbale) Freudentänze macht, gibt es auch verhaltenere Stimmen.
Selten wurde an einer Medienkonferenz so viel Dank ausgesprochen – und so viel Eigenlob. Regierungspräsident Conradin Cramer gab selbst zu, die Konferenz zur Bilanz des Eurovision Song Contest (ESC) habe zu 30 Prozent aus Dank bestanden. Der Grund: Laut Medienmitteilung schreibt Basel nun ESC-Geschichte.
Es folgten zahlreiche Superlative: Es gab das grösste Public Viewing der Geschichte des ESC, erstmals fand das Eurovision Village in einer Halle statt, das kulturelle Begleitprogramm setzte neue Massstäbe und auch die SRG zieht eine «überaus positive» Bilanz. Der Basler ESC mit mehr als einer halben Million Besucher*innen und über 250 Stunden Live-Musik sei ein «einzigartiges Erlebnis» gewesen. Cramer zitierte gar den österreichischen Gewinner JJ mit den Worten : «My wildest dreams sind true gekommen.»
Basel habe als «Weltmetropole im Pocket-Size-Format» in die Welt hinaus geglänzt. Wir zoomen ein wenig näher heran und beleuchten die einzelnen Bereiche.
Happy SRG
SRG-Direktorin Susanne Wille zeigt sich nach dem ESC vor allem beeindruckt von der Organisation des Grossanlasses in Basel. Sie hebt neben der Basler Regierung vor allem die beiden Co-Gesamtprojektleiter des ESC, Reto Peritz und Moritz Stadler, hervor, die «alles gegeben» hätten. Wille kündigt sogar an, das Motto der beiden für die SRG zu kopieren: «Alle Hürden sind happy Problems!» Diese Einstellung sei «echtes Leadership».
Es sei gelungen, den ESC in die Gesellschaft zu tragen, sagt Wille. Dies sei im Sinne des Bildungs- und Musikföderungsauftrags der SRG. Schüler*innen und Studierende sind in den Wettbewerb ebenso einbezogen worden wie auch gehörlose Menschen, da der ESC erstmals komplett in internationaler Gebärdensprache durchgeführt wurde. Ihr Lob geht auch an Conradin Cramer («Wir waren immer gut gelaunt.») und an Stephanie Eymann, mit der sie aufgrund der zu besprechenden Sicherheitsthemen gemeinsam «viel Kopfschmerzen» gehabt habe.
Fordernde Sicherheit
Kein Wunder also, dass Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann vor allem erleichtert an der Medienkonferenz auftrat. «Es ist eine riesige Anspannung von mir gefallen», sagt sie. Und betont, dass sie es – im Gegensatz zu ihren Vorrednern – nicht nur mit «happy problems» zu tun gehabt habe.
Rückblickend resümiert sie erleichtert: «Die Einsatzkräfte ziehen insgesamt eine positive Bilanz. Bis auf einzelne Störaktionen durch Demonstranten verlief die Grossveranstaltung ohne gewalttätige Zwischenfälle. Es hat sehr sehr gut funktioniert.»
Eymann nimmt den Lobfaden sogleich wieder auf und hebt besonders die bikantonale Zusammenarbeit positiv hervor. Erstmals seien 1300 Polizist*innen aus der ganzen Schweiz gemeinsam in Basel im Einsatz gewesen.
Auch wenn der ESC ein «schönes Beispiel» dafür sei, wie Sicherheit funktioniert, erwähnt die Sicherheitsdirektorin auch die «Störaktionen» in Form von Demonstrationen, die die Einsatzkräfte besonders am Eröffnungs- wie auch am Finaltag auf Trab gehalten haben. Eymann sagt zu Bajour: «An der Kundgebung am Finaltag hatten wir es mit militanteren Kreisen zu tun, als in der Woche davor. Die Beteiligten haben sich gar nicht dialogbereit gezeigt.» Es seien Flaschen auf die Einsatzkräfte geworfen worden, drei Polizist*innen sind durch Böller verletzt worden.
«In der Gesamtschau ist der ESC sehr gut und auch friedlich über die Bühne gegangen.»Stephanie Eymann, Sicherheitsdirektorin
«Hier hat es Grenzen», so Eymann. «Die Polizei hat meines Erachtens zurecht gesagt: Jetzt ist fertig.» In der Gesamtschau aber sei der ESC sehr gut und auch friedlich über die Bühne gegangen. Auch die Israelitische Gemeinde Basel blickt trotz mehrerer Anti-Israel-Demos während des ESC «insgesamt positiv» auf die vergangene Woche zurück. Zudem sei bisher, so Eymann, auch noch keine Anzeige wegen Sexualdelikten eingegangen.
Gespaltene Gastronomie
Strahlend gibt sich auch die Direktorin von Basel Tourismus, Letizia Elia, die den ESC touristisch fürs Erste als Erfolg verbuchen kann. Basel habe sich als Kunst- und Kulturstadt präsentiert und die Hotellerie wie auch das Gastgewerbe hätten profitiert. Besonders auf dem ESC-Boulevard, in der Steinenvorstadt oder an den Orten, an denen der ESC stattgefunden hat.
War der ESC also ein Erfolg für die Gastronomie? Maurus Ebneter, Präsident des Wirteverbands Basel-Stadt, sagt zu Bajour: «Ja. Wenn auch nicht für alle gleichermassen. Der individuelle Erfolg war vom Standort und der Betriebsart abhängig.» In einer Medienmitteilung zieht der Wirteverband zwar ein positives Fazit zum ESC, hier schreibt Ebneter aber auch: «Bars, Cafés, Kneipen und Imbissbetriebe liefen sehr gut, während bediente Restaurants im mittleren und oberen Preissegment weniger profitierten.»
Das bestätigt auch ein Blick in die sozialen Medien, in denen ESC-Gänger*innen kritisierten, dass Basel (und die Schweiz allgemein) ein teures Pflaster sei.
«Wir haben etwas mehr erwartet, sind jedoch nicht enttäuscht.»Isabelle Bouarasse-Segesser, Mitinhaberin des Restaurants Schnabel
«Die ESC-Gäste sind nur vereinzelt zu uns gekommen», wird Isabelle Bouarasse-Segesser, Mitinhaberin des Restaurants Schnabel, in der Mitteilung zitiert. «Wir haben etwas mehr erwartet, sind jedoch nicht enttäuscht.»
Alice Flota, Mitinhaberin des Restaurants Besenstiel, räumt ein, dass sie wenig Mehrwert durch den ESC gespürt habe. «Manche Stammgäste hatten bereits zuvor angekündigt, die Stadt wegen des Grossandrangs zu meiden: So hat uns diese Woche ‹unser› Publikum etwas gefehlt.» Für Jürg Wartmann, Mitinhaber der Brasserie Küchlin und Präsident von «Pro Steinen» war der ESC hingegen ein voller Erfolg. Er war mit den Umsätzen «sehr zufrieden», denn das Geschäft sei vor allem abends klar besser gelaufen als normalerweise.
Glückliche Hotellerie
Die Hotelbranche hat während der ESC-Woche profitiert, wie die Zahlen belegen. Insgesamt wurden rund 50’000 Logiernächte verbucht. Die Auslastung der Hotels lag zu Wochenbeginn bei 85 Prozent und erreichte in der zweiten Wochenhälfte sogar 95 Prozent – dies ist im Vergleich zum üblichen Mai-Durchschnitt von rund 60 Prozent ein deutlicher Anstieg.
«Anfangs ist es etwas ruhiger gewesen als gedacht, aber insgesamt ist das Ergebnis sehr zufriedenstellend.»Franz-Xaver Leonhardt, Präsident von Hotellerie Suisse Basel und Region
Franz-Xaver Leonhardt, Präsident von Hotellerie Suisse Basel und Region, bestätigt die positive Bilanz. Anfangs sei es etwas ruhiger gewesen als gedacht, aber insgesamt sei das Ergebnis sehr zufriedenstellend. Leonhardt räumt ein, dass die Erwartungen zu Beginn teils noch höher gewesen seien, weil sehr viele Zimmer für die Bewerbung ins Kontingent gegeben worden seien. «Wir dachten, wir würden noch mehr ausgelastet sein, aber das lag auch daran, dass wir keine Erfahrungswerte hatten.» Insgesamt hätten die Hotels aber «deutlich mehr Buchungen als im Mai 2024» gehabt, so Leonhardt: «Wir sind insgesamt sehr happy.»
Gelebte Nachhaltigkeit
Eine weitere gute Nachricht darf Reto Peritz, Co-Gesamtprojektleiter des ESC überbringen. Dem ESC in Basel sei es erstmals gelungen, das Green Motion Label für Nachhaltigkeit zu erreichen. Ein wichtiger Punkt ist hier der ÖV, der rege genutzt wurde. Dies bestätigt Matthias Steiger, BVB-Mediensprecher: «Wir sind zufrieden mit der Auslastung und froh, dass viele Menschen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln angereist sind.» Genaue Zahlen über die ESC-Woche liegen aber noch nicht vor. Fabienne Thommen, Mediensprecherin der SBB, äussert sich ebenfalls positiv und sagt: «Wir sind sehr zufrieden, dass unser Angebot so gut genutzt wurde.»
Die grosse Mehrheit der Gäste reiste mit öffentlichen Verkehrsmitteln an, selbst am Finaltag waren die Parkhäuser der Stadt nur knapp zur Hälfte gefüllt. Insgesamt verehrten während der ESC-Woche in Basel 700 zusätzliche Tram- und 150 zusätzliche Buskurse, ergänzt durch über 100 Extrazüge aus der ganzen Schweiz.
Wichtige Freiwillige
Rund 700 Volunteers aus der ganzen Schweiz haben während des ESC mehr als 6500 Schichten geleistet. Sie seien das «Herzstück» des ESC gewesen und hätten massgeblich zum Erfolg des ESC beigetragen. Was von den ganzen Superlativen bleibt und wie nachhaltig der Erfolg des ESC für Basel sein wird, bleibt abzuwarten. Letizia Elia sagt, es seien wertvolle Kontakte geknüpft worden und sie hoffe auf eine langfristige Wertschätzung für Basel.
Am Ende der Medienkonferenz erinnerte Cramer daran, dass der Erfolg nicht nur ökonomisch gemessen werde könne. «Der ESC war ein Wagnis, wir sind es eingegangen und haben es als Stadt erfolgreich gemeistert.»
Besucherzahl Opening Ceremony: über 100’000
Besucherzahl Shows (St. Jakobshalle und Arena plus): ca. 100’000
Besucherzahlen City Venues total: ca. 343’000
- davon Eurovision Village: 190’000
- davon Eurovision Square: 135’000
- davon EuroClub: 18’000