Von wegen unsichtbar
Das Projekt «screening invisibilities» in der Kaserne Basel schrammt an der Grenze zum plakativen Agitationstheater entlang, wird unter dem Strich aber zum aussergewöhnlichen Bühnenkunstwerk.
Es beginnt auf der mit Ausnahme von drei gewellten Paravents leeren Bühnenfläche mit ganz zurückhaltenden und leisen Gesten. Fein und langsam streichen die Hände der vier Performer*innen ihren Armen empor, gelangen zum Hals und zum Kopf und schliesslich stracks in die Höhe. Bis eine der Figuren in eine expressive Mischung zwischen Tanz und Gebärdensprache hinübergleitet und die anderen ihr mit Bewegungen folgen, die an Tai Chi erinnern.
Warum hier der Begriff Gebärdensprache? Tanz ist ja eigentlich vom Prinzip her Gebärdensprache. Aber die Betonung auf diesen Begriff liegt in der Anlage des Projekts. Es versteht sich als ein Akt, zusammen mit gehörlosen Menschen bestehende Normen des sprachlichen Ausdrucks, der Kommunikation zwischen Menschen zu hinterfragen respektive zu erweitern. Auf der Bühne stehen und tanzen zwei hörende und in diesem Sinne auch sprechende und singende Performer*innen zwei gehörlosen Künstlerkollegen gegenüber.
«Aus Gebärden, Gesten, Bewegung, Tanz und Musik wird eine eigene Körpersprache entwickelt», heisst es im Programmzettel. Nun ja, es wird auch gesprochen. Und mit Musik sind eher wummernde Bässe und scharfes Rauschen gemeint, welche die Laute im Zwerchfell spürbar werden lassen.
«Ich stehe hier, um das Schweigen zu brechen», sagt eine der Perforemer*innen in ein Mikrophon. Sie tut es auf Englisch – mit einer schriftlichen Übersetzung auf Deutsch, die auf die Rückwand projiziert wird.
Ob das wirklich als Übersetzung für das hörende Publikum gedacht ist, ist nicht so klar. Eher wohl als szenische Geste an diejenigen, die nicht hören können. Eine einseitige Geste übrigens: Denn die nachfolgende Erläuterung des Tauben Kollegen werden nicht übersetzt. Müssen sie auch gar nicht, denn die von einem anschwellenden Tinitus-Ton begleitenden und in emotionalen und übergrossen Gebärden dargebrachten Sätze sind irgendwie auch so verständlich.
Der Abend lebt und fasziniert durch das beherzte Auftreten der vier Performer*innen (Eyk Kauly, Jan Kress, Kihako Nariswa und Thorbjörn Björnsson). Sie legen in fulminantem Tanz, emotionaler Gestik und Gesang und einmal auch mit einer witzigen Zaubereinlage dar, wie facetten- und ideenreich Kommunikation funktionieren kann. Alles ist Spiel mit den Kommunikationsmöglichkeiten an diesem Abend: Auch die Scheinwerfer stimmen in den Tanz ein, und die Paravents setzen sich angetrieben von heftigen Schallwellen von selber in Bewegung.
Das alles würde für einen künstlerisch und inhaltlich überaus ansprechenden Theaterabend ausreichen. Doch Regisseur Zino Wey und die gehörlosen Darsteller wollen offensichtlich mehr. Sie wollen ein «poetisch-politisches Manifest für die Sichtbarkeit» der Gehörlosen darbieten. Das ist dann packend, wenn es auf die hintersinnig-poetische Weise geschieht, etwa wenn einer der Performer versucht, eine «Anleitung, um unsichtbar zu werden» umzusetzen, was ihm natürlich nicht wirklich gelingen kann. Das wirkt dann aber etwas aufgesetzt, wenn über hingeworfene Plakatreihen politische Botschaften respektive Pamphlete dargebracht werden.
Alles in allem ist es ein überaus fruchtbarer Theaterdiskurs zum Thema Kommunikation. Als «eine assoziative Auseinandersetzung mit der Unsichtbarkeit» beschreibt der Theatermann Zino Wey sein Projekt im Programmzettel. Das Performer*innen-Quartett ist aber alles andere als unsichtbar und überzeugt durch ein hohes Mass an Sichtbar-, Hörbar- und Fühlbarkeit.
Weitere Vorstellungen bis 8. März in der Reithalle der Kaserne Basel.
Dominique Spirgi ist langjähriger Kulturjournalist. Dieser Text ist zuerst auf seinem Stadtblog erschienen. Bajour darf ihn übernehmen.
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