Kulturbändigerin Sonja Kuhn wird Präsidentin
Basel dürfte im Kampf gegen den SRG-Abbau eine tragende Rolle spielen. An der Front wird voraussichtlich Sonja Kuhn stehen. Sie ist fürs Präsidium nominiert. Die ehemalige Basler Co-Kulturchefin wird die Kulturszene hinter sich zu scharen versuchen.
In der Politik ist Kommunikation fast alles. Doch in der Kommunikation ist Politik oft nichts. Dafür ist Gilles Marchand, Generaldirektor der SRG, lebender Beweis.
Als die SRG im Jahr 2018 die No-Billag-Initiative gewonnen hatte, war sein erster Schritt ein Kniefall vor den politischen Gegner*innen. Alle vier Sprachregionen hatten sich mit insgesamt 72,8 Prozent für «unser Radio und Fernsehen» ausgesprochen. Und das erste, was Marchand tat, war ein Sparpaket anzukündigen, in der falschen Hoffnung, damit mehr Goodwill von politischen Gegner*innen und den Zeitungsverleger*innen zu bekommen.
Er zog es durch und verstimmte dabei unter anderem die Lobbygruppe, die der SRG massgeblich zum Abstimmungssieg verholfen hat: die Kulturschaffenden. «52 beste Bücher» wurde gestrichen, bei Klassik und Jazz gespart, Rezensionen fielen weg. Die Kulturschaffenden fühlten sich verraten.
«Mein erstes Ziel wird sein, jüngere Mitglieder zu finden.»Sonja Kuhn
Für die Sparmassnahmen mag es gute Gründe geben. Auch die SRG darf, ja muss sogar, ihr Programm dem Zeitgeist anpassen. Doch jetzt steht sie vor einer kniffligen Aufgabe: Sie muss die Kulturschaffenden, die sie verärgert hat, wieder ins Boot holen. Denn der Bundesrat will den Öffentlich-Rechtlichen das Budget kürzen. Und die Halbierungsinitiative steht auch noch an. Die Initiant*innen wünschen sich «mehr Markt und weniger Staat» im Medienbereich und eine finanzielle Entlastung der Gebührenzahler*innen.
Der SRG Basel könnte im Abstimmungskampf eine wichtige Rolle zukommen. Basel ist nicht nur selbsternannte Kulturhauptstadt. Hier ist auch die Abteilung Kultur, Wissenschaft und Religion im neuen Meret-Oppenheim-Hochhaus von Herzog und de Meuron daheim.
Just zu diesem Abstimmungskampf bekommt die SRG Basel eine neue Chefin: Und diese heisst ziemlich sicher Sonja Kuhn. Am Dienstag wählt die Generalversammlung eine neue Präsidentin. Der Vorstand hat die 55-Jährige nominiert. Der jetzige Präsident Niggi Ullrich tritt aufgrund der Amtszeitbeschränkung zurück.
Sonja Kuhn…, ist das nicht? Doch, genau. Das ist die ehemalige Co-Leiterin Kultur Basel-Stadt. Zusammen mit Katrin Grögel hat sie 2017 die Leitung der Abteilung Kultur übernommen.
Das «Top-Sharing», wie sie es nannten, sorgte für Diskussionen. Als Kuhn nach fünf Jahren aufhörte, «um sich neuen beruflichen Herausforderungen zu stellen» und Grögel das Amt alleine weiterleitete, fühlten sich Kritiker*innen bestätigt – im Stil von, «wir haben es immer gewusst, Co-Leitung geht nicht».
Unter den beiden Chefinnen und der damaligen Regierungsrätin Elisabeth Ackermann hatte das Amt für Kultur einige Baustellen aufzuräumen, etwa die Affäre Fehlmann im historischen Museum, die Museumsstrategie, Geldprobleme beim Kunstmuseum oder die Kulturvertragspauschale.
Je nachdem, wen man fragt, fällt die Bilanz von Kuhns Wirken gemischt aus.
Sicher ist: Sie hat ein grosses Netzwerk zu kulturellen Institutionen und Geldgebern in der Region und darüber hinaus. Vor ihrer Tätigkeit als Co-Leiterin Kultur war Kuhn Geschäftsführerin des Berufsverbands für visuelle Kunst visarte Schweiz, führte die Schweizerische Management Gesellschaft SMG. Und seit zwei Jahren arbeitet sie in der Mitarbeitenden- und Führungsentwicklung bei Getabstract.
So ein Netzwerk ist zwingend. Bereits Kuhns Vorgänger, der jetzige Präsident Niggi Ulrich, war Leiter der Kulturförderung Baselland.
Angesichts des politischen Drucks auf die SRG wird es Kuhns Aufgabe sein, die Kulturlobby zu mobilisieren und zu vermitteln, warum es die Öffentlich-Rechtlichen in diesem Ausmass braucht. Wenn es nach SVP-Bundesrat Albert Rösti geht, sollen diese sich auf Information und Kultur fokussieren.
Der jetzige Präsident Niggi Ullrich sagte kürzlich aber zu Bajour, der mögliche SRG-Abbau von 900 Stellen in Folge von Röstis Sparprogramm gefährde den Standort Basel als Ganzes.
Kuhn ist jedenfalls parat. Sie sagt am Telefon: «Die kulturelle Berichterstattung ist vielfältiger geworden, seit die Kulturredaktionen in Basel verankert sind.» Das sei ihr subjektiver Eindruck. Sie befürchtet, der drohende Sparhammer bei der SRG könnte diese Vielfalt wieder einschränken.
Das Modell mit den regionalen Trägerschaften ist einzigartig, sagt Medienjournalist Nick Lüthi. Es sei eine riesige Chance: «Die Zivilbevölkerung kann die SRG mitgestalten und sich so regional verankern.»
Das Medienhaus könnte in der Tat von einer Community-Aktivierung oder gar einer Grassroots-Bewegung zur Stützung des Service Public profitieren. Doch Lüthi schränkt ein. Das Ganze berge leider auch dieselben Probleme, die viele Vereine haben: «Häufig sitzen in den Trägerschaften eher ältere Personen. Wobei der Generationswechsel mancherorts langsam anläuft.»
Sonja Kuhn hat die Problematik auf dem Schirm. «Mein erstes Ziel wird sein, jüngere Mitglieder zu finden.» Vieles habe der Vorstand bereits angerissen. Kuhn verweist auf den «Brandtisch», an dem Medienschaffende mit jungem Publikum aktuelle Themen diskutieren.
Und auch Lüthi sieht gute Beispiele in der Region. So hat die SRG Region Basel in Liestal jüngst einen niederschwelligen Zugang zur lokalen Radiogeschichte ermöglicht. Hörer*innen können durch das Stedtli flanieren und per QR-Code via Handy «Archiveperlen» anhören, die das Radio über die jeweiligen Orte ausgestrahlt hat.
Das Ziel: Radio «erlebbar» zu machen. Lüthi sagt: «Genau solche Dinge sollte eine Trägerschaft organisieren.»
«Die kulturelle Berichterstattung ist vielfältiger geworden, seit die Kulturredaktionen in Basel verankert sind.»Sonja Kuhn
Doch auch wenn sich Basel Kulturhauptstadt nennt: Es reicht nicht, über die «Vielfalt der Schweiz» zu referieren. Es gilt, sie zu leben. Viele Normalbürger*innen können wohl wenig anfangen mit dem von Kuhn verwendeten Ausdruck «Kohäsion». Ausserdem schaut eine Abonnent*in des Sinfonieorchesters aus Arlesheim vielleicht andere Sendungen als ein Lehrling aus Hersberg.
Diesen Spagat möchte Kuhn machen: «Die öffentlich-rechtlichen Medien sind für die ganze Region da.» Deren Bedürfnisse möchte sie auch in die SRG Schweiz einbringen.
Das ist nötig. Denn dass Superdirektor Marchand den Ton nicht trifft, den die SRG für eine Aktivierung ihrer Freund*innen braucht, hat er letzte Woche wieder in einem Interview im Ex-Cathedra-Stil bewiesen.
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