Sorry, Angie! – Es ist Zeit, sich bei der der deutschen Bundeskanzlerin zu entschuldigen.

Auf dem vierten Bolzplatz nimmt euch Didi-Kolumnist Benedikt Pfister mit in die Vergangenheit. Es war 2005, als eine Gruppe FCB-Fans in Bremen auf die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel traf – und ihre Wahlkampfrede mit der Darbietung eines Ballermann-Hits unterbrochen hat.

Angela Merkel

Es ist einsam geworden um Angela Merkel. Es war auch fies von der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», die deutsche Bundeskanzlerin 2012 als heimlichen Fan des FC Bayern München zu outen. Dabei ist Merkel Ehrenmitglied beim FC Energie Cottbus.  

Den Wutbürgern stösst aber weniger die Liebe zum FC Bayern sauer auf. Sie vermissen bei Merkel ein Bekenntnis ihrer Liebe zu Deutschland. Seit über fünf Jahren trifft sich ein Teil dieser Wutbürger bei den montäglichen Pegida-Demonstrationen in Dresden. Mit dumpfen Parolen wie «Merkel muss weg», «Das Volk an die Macht» oder «Grundgesetz vor Merkel schützen» marschieren sie durch die barocke Kulturstadt. Merkel ist das Feindbild geworden für eine Menge von Menschen, die sich lieber in Verschwörungstheorien verlieren als an einer konstruktiven Zukunft mitarbeiten. 

Ich habe deshalb gemischte Gefühle, wenn ich an den 24. August 2005 in Deutschlands Norden zurückdenke. Der FCB traf im Rückspiel der Play Off zur Champions League auf Werder Bremen. Die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel befand sich zufälligerweise am gleichen Tag auf Wahlkampf-Tour in der freien Hansestadt. Also hiess es für uns: Los, sagen wir Angie Hallo.

Wir fühlten uns sehr lustig, als wir Merkels Auftritt mit dem bierselig angestimmten Ballermann-Knaller «Du hast die Haare schön» mehrfach störten. Die «Bremer Nachrichten» schrieben am Tag danach von «lautstarken Gesängen» der Basel-Fans, die Merkels Rede mehrfach unterbrochen hätten. Der Haare-Song von Tim Toupet war brandneu. Unserem Auftritt haftete deshalb etwas Pionierhaftes an.

Angela Merkel reagierte souverän auf die Unterbrüche. Sie war auf ihrer Tour gegen den amtierenden SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder in bestechender Form. «Liebe Fans aus Basel, schonen sie doch ihre Stimmen für heute Abend», sagte sie in unsere Richtung. Ok, nicht schlecht. Und dann ergänzte sie wieder mit Blick auf das Bremer Publikum mit einem süffisanten Lächeln: «Vielleicht sollten wir sie schreien lassen, damit sie am Abend keine Stimme mehr haben». Wow. Nicht schlecht, Frau Specht! Damit gewann Merkel in der traditionell roten Stadt Bremen sicher einige Sympathiepunkte. 
 

Die humorvolle und schlagfertige Angela Merkel schlug ein paar Wochen später in der Bundeswahl den zu siegessicheren Gerhard Schröder knapp und ist seither Bundeskanzlerin.

Im Gegensatz zum FCB, der in Bremen Schiffbruch erlitt.

Der FCB verlor das Rückspiel in Bremen diskussionslos 0:3 und schied aus. Ich war bedient. Und lustig war das Spiel auch nicht gewesen. Die FCB-Fans hatten zwar gleich zu Beginn einen farben- und rauchfrohen Auftritt gezeigt, der die Bremer Volksseele kochen liess. 30'000 Menschen pfiffen und schrien aus voller Kehle – so zumindest meine Wahrnehmung im Stadion – «Scheiss Basel» oder sowas in der Art.

Lubomir Faktor beschrieb den bitteren Moment nach dem dritten Gegentor im wunderbaren Buch «Unentwägt unterwägs» der Muttenzerkurve: «Und der FC Baaasel?» Der Stadionsprecher versuchte sachlich und neutral zu klingen, aber die Stimme aus den Lautsprechern konnte weder Hohn und Spott noch die Verachtung verstecken. «Nuuuuulllll!», tönte es von den Rängen des Weserstadions von den Fischköppen, den Muschelstupsern, den Pissern, Nazienkeln und Kuttenparty-Deutschland-Fans zurück. Das wars – endgültig.»


Ich habe bei meinen wenigen internationalen Auswärtsreisen nie eine solche Feindschaft gespürt wie in Bremen. Heute bin ich überzeugt, dass wir aus einem bestimmten Grund durch dieses emotionale Fegefeuer getrieben wurden: Es war die Rache von Angela Merkel.

In den Augen der Wutbürger ist Merkel ja für alles Übel in der Welt verantwortlich. Da konnte sie sicher auch Einfluss auf ein Fussballspiel nehmen. Indem sie zum Beispiel die «Umvolkung» beim FCB vorantrieb und die Verantwortlichen von Olympique Marseille dazu bewog, kurz vor dem Bremen-Spiel dem FCB Topstürmer Christian Gimenez abzuwerben.

Es ist also Zeit für eine Entschuldigung. Sorry, Angie! Unser Gesang war nicht gegen Dich persönlich. Du hast damals in Bremen nämlich gute Fragen angesprochen. Du hast – wie die «Bremer Nachrichten» berichteten – über die zu vielen Arbeitslosen in Deutschland geredet und darüber, dass es dem Mittelstand so schlecht gehe. «Wie können wir wieder zu mehr Wachstum kommen?», hiess deshalb deine wichtigste Frage. Nun, Deutschland ist unter deiner Regierung wirtschaftlich tatsächlich gewachsen. Aber offenbar schützt auch mehr Wachstum nicht vor Einsamkeit.

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Benedikt Pfister (41) ist freischaffender Historiker und Geschäftsführer des Didi Offensiv. Im Oktober 2019 konnte das Didi bereits seinen 5. Geburtstag feiern. Benannt ist die Beiz nach Claude «Didi» Andrey, dem FCB-Aufstiegstrainer von 1994.

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